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Nervös klopfte ich mit meinen Fingernägeln auf meinen Oberschenkel, während im kleinen Fenster des Flugzeugs der Boden immer näher kam. Der Flug würde in wenigen Minuten zu Ende sein und dann konnte ich Shawn nicht mehr länger aus dem Weg gehen. In den letzten Tagen hatte ich auf seine Nachrichten nur knapp geantwortet, aus Nervosität etwas falsches zu sagen und aus Angst, dass ich mich nur erneut von ihm um den Finger wickeln ließ. Ganz egal was er mir am Telefon gesagt hatte, ein kleiner Teil in mir konnte es einfach nicht lassen an ihm und seinen Gefühlen für mich zu zweifeln, ganz egal wie sehr ich das mit uns wollte. Das Flugzeug landete unsanft auf dem Asphalt und ich atmete erleichtert aus. Die Landung war für mich schon immer der schlimmste Teil des Flugs gewesen. Während die Maschine langsam über die Landebahn rollte, atmete ich einige letzten Male tief ein und aus. Das hier war meine Chance. Meine Chance vielleicht endlich wieder mit Shawn zusammen zu sein. Ich war glücklich über seinen Sinneswandel, doch wie gesagt, Zweifel nagten an mir und ich hatte non-stop das Gefühl, als dürfte ich diese Entscheidung nicht so leichtfertig treffen.
Ich wurde von meinem Nebensitzer aus den Gedanken gerissen, der mich bat aufzustehen. Ich nickte nur schnell und erhob mich um das Flugzeug zu verlassen. Jetzt da ich hier war, packte mich auch die Vorfreude, Shawn endlich wieder zu sehen. Ganz abgesehen davon, ihn vielleicht bald wieder küssen zu können. Ich war erbärmlich. Er hatte mich fest in der Hand, genau genommen rannte ich ihm hinterher wie ein Welpe. Aber die Willenskraft daran etwas zu ändern, hatte ich nicht. Besonders jetzt nicht, wo es endlich doch gut zu laufen schien.
Ich eilte den anderen Passagieren meines Fluges hinterher zum Gepäckband und wartete ungeduldig auf meinen Koffer. Shawn hatte mir versprochen, er würde sich den Tag frei nehmen, um mich abzuholen. Suchend wanderte mein Blick über die fremden Gesichter, während ich in Richtung Ausgang lief. Ich hatte ihm bereits geschrieben, dass ich gelandet war. Wenige Sekunden später sah ich ihn. Seine Locken sahen genauso perfekt aus wie immer und auch in einer einfachen Jeans und einem grauen Shirt sah er aus, als sei er einem Katalog entsprungen.
"Hey!", begrüßte er mich strahlend, noch bevor ich ganz bei ihm war. "Hey Shawn", erwiderte ich, als ich ihn erreicht hatte. Er zog mich in eine etwas unbeholfene Umarmung. Er war wahrscheinlich, naja eher hoffentlich, mindestens genauso nervös wie ich. "Ich bin froh dich endlich wieder zu sehen, Lyra." Ich löste mich aus seinen Umarmung.
"Ja, ich freu mich auch", antwortete ich und lächelte ihm zu.
"Also... Sollen wir?", fragte er und kratzte sich am Hinterkopf. Ich nickte schnell und folgte ihm dann. Die Spannung zwischen uns war spürbar und noch war die ganze Situation irgendwie ein bisschen seltsam. Keiner von uns beiden wusste so recht, was er sagen sollte und ich war froh, dass Shawn auf dem Weg zum Wagen hauptsächlich davon redete, wie schlimm der Verkehr zur Zeit sei.
Er gab sich wirklich Mühe höflich zu mir zu sein.
"Wie war der Flug?", wollte er wissen, während wir an einer roten Ampel standen.
"Gut, gut. Gab keine Probleme. Und danke nochmal für das Ticket."
Er warf mir einen kurzen Blick zu. "Nichts zu danken, weißt du doch." Ich nickte dankend und strich mir eine Strähne hinters Ohr. Der Weg zu seinem Apartment kam mir wie Stunden vor. Die Stimmung war angespannt und die Luft surrte förmlich von der Nervosität, die wir beide austrahlten. Als er endlich parkte und wir die Treppen zu seinem Apartment hochgingen war ich gottfroh.
"Willst du was trinken? Oder vielleicht was essen?", bot mir Shawn an und stellte meinen Koffer ab. Ich schüttelte langsam den Kopf, nicht mehr gewillt zu warten.
"Ich will jetzt endlich reden, Shawn." Shawn nickte. "Ist wohl langsam aber sicher an der Zeit, hm?", versuchte er die Stimmung aufzulockern. Ich zwang mich zu einem Lächeln.
"Naja also, im Prinzip weißt du alles. Ich hab dich so gern um mich, Lyra, aber eben nicht mehr nur als beste Freundin. Was ich abgezogen hab war scheiße und glaub mir, ich würde es ohne zu zögern ändern, hätte ich die Chance dazu. Und damit meine ich beide Male, die ich ruiniert habe. Ich will dich einfach wieder halten können, dich küssen, ohne dass du mich von dir wegschiebst, ohne dass du dieses wehmütigen Ausdruck in deinen Augen hast. Ich will wieder so mit dir sein, wie wir damals waren als wir das erste Mal zusammen waren. Verdammt, ich dachte so lange ich wäre über dich hinweg, Lyra, aber du bist wie eine Droge und ich komm einfach nicht mehr los von dir." Er sah mir mit seinen braunen Augen direkt ins Gesicht und ich konnte mein Herz förmlich schlagen hören. So einen Gefühlsausbruch hatte ich nicht erwartet. "Mir geht es genauso Shawn, das weißt du ja. Du bist mein bester Freund und auch wenn es in letzter Zeit drunter und drüber ging und du mir wehgetan hast, schaffe ich es nicht mehr mich von dir loszureißen. Du bist mit mir durch dick und dünn gegangen. Du hast mir durch die schlimmste Zeit meines Lebens geholfen und das bindet mich auf eine Art und Weise an dich, die ich selbst nicht verstehe. Du bist mir einfach so unfassbar wichtig."
Shawns Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen. "Aber, es ist nunmal so, dass du mich verletzt hast. Zweimal schon und du weißt selbst dass es eine Scheißaktion von dir war. Klar, Einsicht ist der erste Weg zur Besserung, aber wenn du wirklich noch eine Chance willst, Shawn, dann will ich mir sicher sein, dass sowas nicht wieder passiert." Shawns Augen waren noch immer fest in meinen verankert und er nickte langsam. "Natürlich. Ich würde alles tun, um dich wieder bei mir zu haben, Lyra."
"Ich bin froh das zu hören." Erleichtert atmete ich auf. Shawn hatte sich schon zig mal entschuldigt für das, was er getan hatte und mehr konnte ich nicht verlangen. Alles was ich wollte war, dass er merkte wie ich mich fühlte und dass er in Zukunft mehr Rücksicht nahm. Er machte jedoch auch den Anschein als läge ihm mein Wohlbefinden im Moment sehr am Herzen.
"Gott, ich bin so froh, dass wir das geklärt haben", platzte es auf einmal aus Shawn heraus und er begann breit zu lächeln.
"Glaub mir ich auch, Shawn!" Seine Hand fand den Weg auf meinen Oberschenkel.
"Denkst du, du würdest es jetzt zulassen, wenn ich versuche dich zu küssen?", scherzte er und kam mir bereits näher.
"Ich glaube nicht, dass ich dich davon abhalten könnte", murmelte ich, bevor seine Lippen endlich, endlich wieder auf meinen lagen.

Tides [german] Where stories live. Discover now