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Gemütlich packte ich meinen Ordner in meine Tasche und sah mich im Hörsaal um. Jedem hier stand es ins Gesicht geschrieben, wie sehr er sich aufs Wochenende freute. Es war eine harte Woche voller Prüfungen gewesen und ich hatte sie alle mit einem einigermaßen guten Gefühl hinter mir gelassen und war froh, es endlich hinter mir zu haben. Es gab zwar kaum Zeit um sich so richtig auszuruhen, bevor die nächsten Prüfungen anstanden, aber für die nächsten 2 Tage hatte ich mir selbst frei genommen. Ich hatte einfach keine Lust mehr auf das ewige Lernen. Ich verließ den Raum und genoss die Wärme der Sonne auf meiner Haut. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits später Nachmittag war und da mein Magen bereits seit Beginn der Vorlesung knurrte, kaufte ich mir beim Bäcker um die Ecke eine belegtes Brötchen und aß es auf dem Weg nach Hause auf.

"Du hast Besuch", begrüßte mich Erin schelmisch grinsend, mich bevor ich die Tür hinter mir geschlossen hatte. Sie stand an die Küchentheke gelehnt mit einem Glas voll mit Orangensaft in der Hand.
"Was?", fragte ich, als hätte ich sie nicht ganz verstanden. Mein Herz machte einen Satz. Shawn?  Noch in der selben Sekunde, in der mir der Gedanke kam, zerschlug ich diese Fantasie meines Hirns. Er war in New York. "Du hast Besuch, es ist Sebastian. Ich hab ihm gesagt er soll oben warten, ich hoffe das ist okay."
"Äh ja klar! Danke, Erin", erwiderte ich und fuhr mir mit der Hand durchs Haar. Auch wenn meine und Sebastians Beziehung mittlerweile wirklich rein körperlich war, war er mir dafür doch ein bisschen zu anhänglich und auch anstrengend, wenn ich ehrlich war.
Ich hängte meine Jacke in die Garderobe und lief die Treppe hoch zu meinem Zimmer.
"Hey", begrüßte ich Sebastian mit einem halbherzigen Lächeln.
"Lyra!" Er erinnerte mich irgendwie an einen erwartungsvollen, mit dem Schwanz wedelnden Welpen. Er grinste mich breit an und legte seine Hand auf meine Hüfte. Ich schob sie mehr oder weniger sanft fort und entfernte mich etwas von ihm. "Ich bin grad erst heimgekommen und bin ziemlich müde... Heute nicht, okay?"
Ich schob mich an ihm vorbei, warf meine Tasche auf meinen Schreibtischstuhl und setzte mich auf mein Bett, in der Hoffnung Sebastian würde es akzeptieren und mir meine Ruhe lassen. 
"Natürlich, aber ich kann doch trotzdem bleiben. Wir können einen Film schauen, oder wir -" Er wurde von dem Klingeln der Haustür unterbrochen ich hörte wie Erin öffnete. "Lyra!", brüllte sie kurz darauf zu uns hoch. Ich seufzte, deutete Sebastian kurz zu warten und ging nach unten.

"Shawn?"
Er stand, mit perfekten Haaren - wie immer -, vor der Tür und lächelte mich freundlich an. "Hey!"
Er zog mich in eine Umarmung, die ich überrascht erwiderte. "Ich dachte du bist in New York?" Er trat neben mir ins Haus ein und schloss die Tür hinter sich. "War ich auch. Jetzt aber nicht mehr, wie du siehst."
"Und was machst du dann hier?", fragte ich, immer noch sichtlich verwirrt. "Ich hab meine Familie besucht und dachte ich komm fürs Wochenende zu dir. Zuerst wollte ich es ankündigen, aber dann fand ich es besser dich damit zu überraschen."
"Das ist ja nett, aber -"
"Wer ist es denn?",fragte plötzlich Sebastian und sah von der Treppe runter auf mich und Shawn.
"Shawn", murmelte ich, während Sebastian die Treppe runterkam.
"Shawn, das ist Sebastian, Sebastian, das ist Shawn", stellte ich die beiden einander vor und knetete nervös meine Hände. Ihre Blicke sagten mehr als tausend Worte. Die Beiden gaben sich widerwillig die Hand. "Also Sebastian ich will dich wirklich nicht rauswerfen, aber ich habe Shawn schon länger nicht mehr gesehen..."
"Ja, schon gut",winkte er genervt ab, umarmte mich zur Verabschiedung extra lang und warf Shawn keinen einzigen Blick mehr zu.
"Du kannst auch Zeit mit... Deinem Freund verbringen, wenn du willst",sagte Shawn und sah mich leicht wütend an.
"Können wir das nach oben verlegen?", fragte ich leise, denn Erin stand immer noch in der Küche.
Er folgte mir also in mein Zimmer kaum hatte ich die Tür geschlossen hakte er nach: "Was soll das?"
"Was soll was?", fauchte ich.
Shawn wollte antworten, aber ich kam ihm zuvor. "Erstens, ist er nicht mein Freund und zweitens, selbst wenn es so wäre, dann ist es nichts, was dich wütend zu machen hat."
"Er scheint ziemlich arrogant zu sein", maulte Shawn weiter. "Er ist nett. Wirklich. Und du bist nicht der einzige, der Spaß haben darf."
Erneut öffnete Shawn seinen Mund, um etwas zu sagen. "Du bist sicher nicht gekommen, um dich mit mir zu streiten, oder? Und ich freue mich, dass du hier bist, aber ich habe auch keine Lust mit dir über etwas zu diskutieren, was nicht diskutierbar ist, okay?" Er sah mich schuldbewusst an und nickte.  "Tut mir Leid, ich hatte es nur nicht erwartet."
"Ist schon gut", beschwichtete ich ihn und setzte mich auf mein Bett.
"Also, erzähl, wie geht's dir?" Shawn ließ sich neben mir nieder und begann von seinem Album und die Planung einer eventuellen Tour zu sprechen. Ich liebte den Glanz in seinen Augen, wenn er von diesen Dingen sprach, aber ich konnte den Wunsch nicht verdrängen, dass er, wenn er von mir sprach auch so ein Glitzern in den Augen hatte. "Ich hab es vermisst einfach so zu reden", meinte er schlussendlich. "Ich meine, persönlich und nicht über WhatsApp." Ich nickte zustimmend. "Ja, ist einfach nicht zu vergleichen." Ich lächelte leicht und ließ die Worte im Raum klingen. Auch Shawn sagte nichts mehr. "Ach ja",wechselte ich das Thema weil diese Stille definitiv nicht angenehm gewesen wäre, "Wie lang bleibst du denn?"
"Also der Plan war das ganze Wochenende, aber ich wollte mir noch ein Hotelzimmer nehmen", erklärte er und spielte mit meiner Bettwäsche zwischen seinen Fingern. "Du kannst auch unser Sofa unten haben, dann sparst du dir das Geld", bot ich an und er lächelte dankbar. "Wenn es keine Umstände bereitet..." Ich zuckte nur mit den Schultern. "Ach was! Nur ich bin schon ziemlich müde, deswegen denk ich wird dein Rücken nach der langen Nacht leider wehtun." Shawn zog eine Schmollmund. "Dann muss ich dich wohl noch irgendwie wachhalten", witzelte er, ehe ihm auffiel wie zweideutig es klang. "Oh Gott aber nicht so", lachte er nervös.
Ich kicherte: "Schon klar. Wie wärs mit einem Film?" Shawn war sofort einverstanden also suchten wir uns gemeinsam einen auf Netflix heraus. Es ging keine 15 Minuten und mir begannen die Augen zuzufallen. "Nicht einschlafen", flüsterte Shawn und ich hörte ihn grinsen.
"Zu spät", murmelte ich, bereits halb weggedriftet und zog mir die Decke ans Kinn, ehe ich komplett weg war.

Tides [german] Where stories live. Discover now