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Als ich langsam wach wurde, spürte ich die Sonne, die durch die Fensterscheibe einfiel, auf meiner Haut. Ich lächelte in mich hinein, während ich mich noch näher an den Körper, der mich hielt, schmiegte. Shawns muskulöse Arme waren um meinen Körper geschlungen und erst jetzt bemerkte ich, was hier eigentlich vor sich ging. Waren wir etwa so eingeschlafen? Gerade als ich meine Augen öffnen wollte, spürte ich wie Shawn mir mit seiner Hand sanft über den Rücken streichelte und mir einen zarten Kuss auf die Stirn drückte. Es fiel mir schwer, meine Augen geschlossen zu lassen, doch ich wusste, dass es noch peinlicher werden würde, wenn ich sie jetzt öffnete.
Er strich sanft eine Haarsträhne aus meinem Gesicht und eine Weile lang tat er gar nichts, bevor ich ihn flüstern hörte. "Ich vermisse dich, Lyra."
Mein Herz fing wie verrückt an zu klopfen, weshalb ich mich leicht drehte und so tat, als würde ich aufwachen, bevor er merkte, dass ich die ganze Zeit wach gewesen war. Ich rieb mir die Augen, worauf Shawn seine Arme von meiner Hüfte nahm und mich lächelnd ansah.
"Tut mir leid. Bin ich etwa so auf dir eingeschlafen?"
"Kein Problem", sagte er lächelnd und verschränkte die Arme vor seiner Brust. Hatte er gezwinkert oder war das nur Einbildung gewesen? "Fast wie in alten Zeiten."
"Ja, aber die alten Zeiten sind vorbei."
Sein Lächeln verschwand schlagartig von seinem Gesicht und er nickte, bevor er sich räusperte. "Ja. Du hast Recht. Ich meine, sie müssten es nicht sein. Aber sie sind es. Das ist total okay für mich. Ehrlich."
"Okay?"
"Also was machen wir heute?"
"Die Sonne scheint. Wie wär's, wenn wir gleich frühstücken gehen?", schlug ich vor.
"Klingt gut", erwiderte Shawn.
"Ich gehe nur kurz duschen", erwiderte ich und nahm einen Schluck aus meiner Wasserflasche auf dem Tisch.
"Brauchst du Gesellschaft?", fragte Shawn grinsend, worauf ich mich fast an meinem Wasser verschluckte.
"Was?!"
"Nur ein Scherz", erwiderte er.
Ich zwang mich zu lachen, doch es klang einfach nur falsch. "Also dann. Ich gehe duschen."
"Ich warte hier", sagte er grinsend.
"Okay."
Ich beeilte mich extra unter der Dusche, obwohl ich sie eigentlich nicht verlassen wollte. Warum musste Shawn auch so dumme Witze machen? Das machte die ganze Sache zwischen uns noch viel schlimmer. Egal wie sehr ich versuchte mich von ihm abzulenken, Shawn ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Hatten wir uns nicht darauf geeinigt, dass er keine Anspielungen mehr machen sollte? Er hatte sich gerade mal ein paar Tage daran gehalten und jetzt bot er mir an, mir unter der Dusche Gesellschaft zu leisten. Warum war er überhaupt hergekommen? Selbst wenn er mich vermisste, tat er das nur als Freund. Ich hätte von Anfang an wissen sollen, dass es nicht funktionieren konnte, solange ich noch Gefühle für ihn hatte.
Sobald ich mich angezogen hatte, ging ich wieder nach unten, wo Shawn auf dem Sofa saß.
"Ich bin soweit", sagte ich und griff nach meiner Tasche.
Shawn blickte von seinem Handy auf und stand vom Sofa auf. "Du siehst toll aus."
"Danke, Shawn." Ein Freund konnte einem ja Komplimente machen, oder?

"Ich denke wir sind bald mit dem Album fertig", sagte Shawn und biss von seinem Bagel ab.
"Das ist ja toll, Shawn", erwiderte ich. "Ich bin stolz auf dich."
"Du solltest stolz auf dich sein, immerhin schreibe ich fast ausschließlich über dich."
Ich starrte ihn verwirrt an.
"Was? Hab ich was im Gesicht?"
"Nein, nein. Alles gut. Dein Gesicht ist perfekt", sagte ich, doch wollte es sofort wieder zurücknehmen.
"Danke", erwiderte Shawn und verkniff sich ein Lachen.
Auch ich lächelte und sah peinlich berührt auf meinen Teller hinunter. Gerade in dem Moment klingelte mein Handy auf dem Tisch und Sebastians Name poppte auf dem Bildschirm auf. Ich drückte ihn schnell weg und blickte zu Shawn, der mich erwartungsvoll ansah. "Ärger im Paradies?"
"Was?"
"Hab ich euch gestern bei was unterbrochen?"
"Nein", erwiderte ich.
"Ist das was Ernstes zwischen euch?", hakte er nach.
"Nope."
"Denkst du, dass es noch was Ernstes wird?"
"Warum willst du das alles wissen?", fragte ich.
"Komm schon."
"Es geht dich nichts an."
"Wir sind doch Freunde. Komm schon", sagte Shawn.
"Wir haben Sex, Shawn. Sebastian und ich schlafen nur miteinander. Ist es das, was du hören wolltest?"
"Nein, nicht unbedingt das, was ich hören wollte, ab-"
"Shawn, mein Sexleben geht dich nichts mehr an, okay?"
"Jep. Ist angekommen. Ich hatte nur nicht gedacht, dass du der Typ für sowas bist."
"Bitte, ich habe all meine Würde verloren, als ich Nate mit dir betrogen habe."
"Ach, komm schon. Es hat dir gefallen."
"Shawn, wir sind Freunde. Bitte lass uns nicht darüber reden wie wir miteinander geschlafen haben."
"Okay, okay. Wir müssen nicht darüber reden."
"Gut", erwiderte ich.
"Bist du fertig?", fragte Shawn nach, worauf ich nickte. "Sollen wir los?"
"Meinetwegen."
"Ich bezahle nur schnell", sagte er und stand auf.
"Shawn, das musst du nicht."
"Das mache ich gern, Ly-"
Ich stand auch auf. "Das hier ist kein Date."
"Ich weiß. Aber ich schulde dir das."
"Bist du sicher?", fragte ich nach.
"Ganz sicher."
Shawn bezahlte unser Essen und wir verließen das Café.
Statt dem zuvorigen Sonnenschein prasselte jetzt Regen auf das Glas-Vordach des Cafés.
"Oh, Mann. Das war's dann wohl mit unserem Tag in der Stadt."
"Komm schon, Lyra! So ein bisschen Regen ruiniert doch nicht unser Wochenende!", sagte Shawn motiviert. "Es sind nur ein paar Blocks zu deinem Apartment. Wir laufen einfach durch den Regen."
Er zog sich seine Jacke aus und hob sie über uns beide wie ein Schirm.
"Los, komm!"
Lachend folgte ich ihm und da seine Jacke nicht allzu groß war, musste ich so nah wie möglich neben ihm laufen, um nicht nass zu werden. In diesem Moment fühlte es sich fast wie früher an. So, als müsste Shawn nicht übermorgen wieder gehen und als wäre zwischen uns nie etwas gewesen. Als hätten wir uns in erster Linie nie getrennt.
Als wir mein Wohnhaus erreicht hatten und Shawn gerade zur Tür wollte, hielt ich ihn auf.
"Warte!"
"Was ist?", fragte er und blickte auf seine Hand, an der ich ihn zurückhielt.
"Ich liebe Regen", sagte ich und zog Shawn näher zu mir, während meine Haare immer nasser wurden.
"Ich weiß", erwiderte er lächelnd.
Ich ließ seine Hand los und ließ den Regen so auf mich niederprasseln. Shawn sah mich liebevoll an, bevor er mir seine Jacke umlegte.
"Danke", gab ich zurück und lächelte ihn an. Ich musterte seine Gesichtszüge. Seine schokoladenbraunen Augen.
"Du bist einfach atemberaubend", flüsterte Shawn. Seine Locken klebten an seiner nassen Stirn, als er mein Gesicht in seine Hände nahm. Es war als existierten nur Shawn und ich. Die Funken zwischen uns sprühten förmlich. Shawn lehnte sich immer näher zu mir und unsere Lippen waren kurz davor sich zu berühren, bis ich wieder in die Realität zurückkehrte. Shawn wollte nichts von mir. Dieser Kuss bedeutete nichts.
"Shawn", sagte ich und drückte ihn weg. "Ich kann das nicht."
Er blickte mich verdutzt an, worauf ich ihm seine Jacke zurückgab und zur Haustür lief.
"Lyra!", rief Shawn mir hinterher und hielt mich zurück. "Es tut mir so leid."
"Shawn, warum tust du das immer wieder? Wir können-"
"Lyra. Hör mir bitte zu. Ich weiß nicht, was da eben in mich gefahren ist. Du bedeutest mir wirklich sehr viel und ich werde dich nicht wieder verletzen. Wir sind Freunde. Das ist alles. Ich will, dass du glücklich bist."
"Okay", erwiderte ich. "Nur Freunde."

"Tut mir leid wie das gelaufen ist", sagte Shawn und setzte sich neben mich auf das Sofa.
"Schon gut. Ich weiß, dass du keine Gefühle mehr für mich hast."
"Warum lassen wir das Thema nicht einfach?"
"Gute Idee", erwiderte ich und musste niesen.
"Ach komm schon, du wirst doch nicht etwa krank. Von den paar Sekunden im Regen?!"
"Halt die Klappe, Shawn", sagte ich und verpasste ihm einen sanften Schlag auf den Arm.
"Also was machen wir?"
"Erin ist nicht da, also können wir den ganzen Tag Filme auf dem Sofa schauen."
"Klingt gut", erwiderte Shawn. "Shrek?"
"Du kennst mich einfach zu gut", gab ich zurück.
Der Film lief schon etwa eine Stunde, als ich anfing wegzunicken.
"Wie kann man die ganze Nacht schlafen und jetzt schon wieder müde sein?", fragte Shawn lachend.
"Ich bin nicht müde, ich trainiere für meine Beerdigung."
"Sehr witzig", sagte Shawn und streckte seine Arme aus. "Komm her."
Er sah mich erwartungsvoll an. "Jetzt komm schon, hab dich nicht so!"
Ich seufzte, bevor ich mich an Shawn anlehnte. "Nur 5 Minuten."
"Klar", sagte Shawn lachend und drückte mich an sich.

Tides [german] Where stories live. Discover now