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Seitdem ich wieder zu Hause, beziehungsweise an der Uni war, hatte mir Shawn kein einziges Mal geschrieben und ich war erstaunlicherweise sogar froh darüber. Ich vermisste ihn zwar, jedoch brauchte ich die Zeit wirklich, um mich von diesem ganzen Drama zu entfernen und um in Ruhe darüber nachdenken zu können. Ich konzentrierte mich also auf die Uni, verbrachte meine meiste freie Zeit mit Lernen und hing oft mit Erin ab. Sie wusste zwar von Shawn und natürlich hatte sie Nates und meine Trennung mitbekommen, aber, und dafür war ich ihr unfassbar dankbar, mied sie das Thema genauso wie ich und stellte mir keinen unangenehmen Fragen. Die erste Woche seit meinem mehr oder weniger schönen Aufenthalt in New York war bereits vergangen und ohne jegliche Lebenszeichen von Shawn gelang es mir ganz gut, ihn so weit wie möglich aus meinem Gedächtnis zu verdrängen. 

"Na, was machst du dieses Wochenende?", fragte mich Stephanie, ebenfalls eine meiner Mitbewohnerinnen, als ich mir in der Küche  einen Tee machte. Die Brünette setzte sich auf einen Stuhl, zog ihre Knie an ihre Brust und blickte mich fragend an. "Naja, eigentlich nicht viel", sagte ich und deutete auf mein Outfit, welches aus Kuschelsocken, einer schwarzen Leggings und einem Hoodie in Oversized-Größe. Sie gab ein leises Lachen von sich. "Nicht in Partystimmung, hm?", hakte sie neugierig nach. Eigentlich war Stephanie ein wirklich nettes Mädchen und ich hatte nichts gegen sie, aber sie war die Art von Studentin, die ständig über den neuesten Klatsch und Tratsch informiert war und einem Informationen aus der Nase zog, die man nicht preisgeben wollte. Ich zuckte deshalb nur mit den Schultern und rührte meinen dampfenden Tee um. "Gehst du heute Abend noch weg?" Sie nickte eifrig. "Dieser heiße Typ aus dem Semester über uns feiert eine Party mit ein paar Kumpels, weißt du wen ich meine?". Ich schüttelte resigniert den Kopf. "Naja egal", schnatterte sie fröhlich weiter,"Ich bin mir sicher, dass man dort Spaß haben kann." Sie zwinkerte mir mit einem zweideutigen Grinsen zu. Natürlich wusste sie von mir und Nate und seit unserer Trennung schlug sie mir ständig vor, sie auf Partys zu begleiten, auf denen man 'Spaß haben' konnte. "Danke, aber nein danke", winkte ich ab und nahm meine Tasse in die Hand um mich damit in mein Zimmer zu verziehen, bevor sie mich über mein Sexleben ausfragte. "Aber viel Spaß dir", wünschte ich ihr ehe ich die Treppen hochlief. Ich war sicher die letzte Person, die Leute dafür verurteilten, wenn sie bedeutungslosen Sex hatten... Nicht nach Shawn. Trotzdem konnte ich darauf im Moment sehr gut verzichten.  Ich machte leise Musik an und klappte meinen Laptop auf um etwas zu lernen, als ich nach fünf Minuten allerdings immer noch keine Motivation gefunden hatte, klappte ich den Laptop wieder zu, ließ mich auf mein Bett fallen und griff nach meinem Handy. Gelangweilt scrollte ich durch meine Kontakte durch, bis ich an Kaitlyns hängen blieb. 

"Hey, Lyra!", begrüßte sie mich fröhlich, als sie nach dem dritten Klingeln ranging.
"Na, wie gehts?" Ich drehte mich auf meinen Bauch.
"Gut, denk ich...Aber erzähl du erstmal ein bisschen, okay?" Es hatte fast etwas tröstliches Kaitlyn dabei zuzuhören, wie sie von ihrem scheinbar unkomplizierten Leben erzählte. Ich genoss es einfach ihre Stimme mal wieder zu hören und ließ sie reden, während ich ab und zu wenige Worte einwarf. "So. Und jetzt will ich bitte mal alles über New York wissen", befahl sie. Natürlich hatte ich ihr erzählt, dass ich Shawn besuchen würde, jedoch noch nicht, wie es abgelaufen war. Ich erzählte ihr also alles, wie ich ihn mit einer anderen erwischt hatte, den Gesprächen zwischen uns und wie ich versucht hatte, das alles wegzustecken. "Weißt du, ich verstehe einfach nicht, wie er mir sagen kann, ich bin ihm nicht mehr auf diese Art wichtig und wie er dann solche Texte über mich schreiben kann.  Für mich macht das keinen Sinn, wenn er solche Texte über mich schreibt, muss doch noch irgendwas da sein", sprach ich schlussendlich den Gedanken aus, der mir schon die gesamte letzte Woche immer wieder in den Sinn gekommen war. Kaitlyn schwieg kurz, bevor sie antwortete. "Vielleicht tut er das Lyra. Aber wer weiß das schon? Du wirst genau genommen doch schon seit Jahren nicht mehr aus ihm schlau. Ich sage nicht, dass es endgültig vorbei ist mit euch, aber ich finde, du solltest es realistisch sehen. Vielleicht ist es wirklich an der Zeit ihn einfach, naja, aufzugeben." Ich seufzte laut auf. Ich wusste, dass Kaitlyns Rat Sinn machte und  ich dadurch wahrscheinlich am wenigsten verletzt werden würde, aber ich hielt immer noch an dem Fünkchen Hoffnung fest, dass er es doch tief in sich ernst gemeint hatte mit mir.  "Du hast Recht, aber ich glaub nicht, dass ich ihn aufgeben kann", sprach ich meine Gedanken aus. "Herrgott nochmal Lyra, sei doch nicht so dramatisch. Du bist noch jung und du hast was besseres verdient", feuerte sie gegen mich. "Ich weiß, aber-" "Kein aber Süße, das wird schon, okay? Ich muss jetzt los, bis dann", verabschiedete sie sich. "Bis dann." Ich wünschte mein Körper würde das, was Kaitlynn gesagt hatte einfach akzeptieren, aber wie gesagt, er konnte nicht. Und jetzt wo ich das ganze Thema erneut durchgekaut hatte, konnte ich es nichtmehr aus meinen Gedanken vertreiben. Kurzerhand entschied ich mich in das Fitnessstudio zu gehen, welches zu dem Campus gehörte. Seit dem Unfall konnte ich einfach nicht mehr so tanzen wie früher  und insbesondere seit ich auf die Uni ging, fand ich auch kaum noch Zeit dazu. Glücklicherweise gehörte auch ein kleiner Raum zum Tanzen zum Fitnessstudio, welcher die meiste Zeit leer war. Ich schlüpfte in meinen Ballettschuhe und tanzte die ersten Schritte. Mir war es nicht bewusst gewesen, aber ich hatte das Tanzen extrem vermisst. In der Sekunde in der mein Körper eins mit dem Takt der Musik war, waren alle Gedanken an Shawn verflogen und ich fühlte mich das erste Mal endlich wieder frei.

Tides [german] Where stories live. Discover now