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"Hast du den Einkaufszettel?", rief Nate mir zu, als ich in meine Schuhe schlüpfte. Ich griff in die Taschen meines Mantels, doch der Einkaufszettel war nicht darin.
"Ja", log ich und lief eilig zurück ins Haus, nahm den Zettel vom Tisch und stopfte ihn achtlos in meine Tasche. "Was würdest du tun, wenn du mich nicht hättest, hm?", neckte Nate mich, als ich ins Auto stieg.
"Ohne Einkaufszettel einkaufen gehen", erwiderte ich und schlug die Tür zu. Nate lachte leise, startete den Motor und fuhr los.
"Ich hätte wirklich auch alleine einkaufen gehen können", beteuerte ich erneut. "Ich weiß, wie sehr du einkaufen hasst."
Er zuckte mit den Schultern. "Ist schon gut. Und außerdem hättest du dann den Einkaufszettel nicht mitgenommen, schon vergessen?"
Ich verdrehte die Augen. "Nächstes Mal kannst du alleine einkaufen gehen", murmelte ich und zog einen Schmillmund.
"Oh, ist da jemand beleidigt?" Ich kicherte und verpasste Nate einen sanften Schlag auf den Arm.
Der Weg zum Supermarkt war nicht sonderlich weit und bald schon standen wir auf dem großen Parkplatz und ich schob einen Einkaufswagen vor uns her.
"Also", sagte Nate und studierte den Einkaufszettel. "Wir brauchen Salat, eine Avocado, Bananen, Tomaten und Äpfel von hier." Die große Gemüse- und Obstabteilung, welche sich vor uns erstreckte, war nicht sonderlich voll von Menschen und wir hatten schnell alles in Tüten gepackt und in den Einkaufswagen gelegt.

"Babe, kannst du noch Nudeln holen?", bat ich Nate, während ich vor dem Kühlregal stand und die unzähligen Produkte betrachtete. "Klar."
In meinem Kopf fand gerade einen hitzige Diskussion mit mir selbst statt, ob ich den Schoko- oder den Erdbeerjoghurt mitnehmen sollte, als ich eine vertraute Stimme hörte.
"Hey." Ich wirbelte herum und blickte Shawn direkt in die braunen Rehaugen.
"Shawn", begrüßte ich ihn. Das unerwartete Wiedersehen gestern hatte mich schon genug aus der Bahn geworfen und ihn in so kurzer Zeit nochmal zu sehen, hatte ich definitv nicht erwartet.
"Ich wollte mich entschuldigen, dass ich gestern einfach aufgetaucht bin und so schnell wieder abgehauen bin. Das war komisch..." Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf. "Ja..", antwortete ich verwirrt.
"Du schon wieder", tönte es neben mir. Nate, der sichtlich genervt war, hatte sich mit Nudeln in der Hand zu uns gesellt und musterte Shawn mit einem Blick, der töten könnte.
Shawn ignorierte Nate jedoch komplett und wandte sich mir zu. "Ich weiß, wir haben uns schon ewig nicht wirklich gesehen und ich würd einfach mal wieder mit dir reden. Du weißt schon.. Wie's dir so geht."
"Ich denke nicht, dass sie das will. Und offensichtlich geht es ihr gut", antwortete Nate mit scharfem Ton. "Ich hab nicht dich gefragt", schoss Shawn zurück ohne seinen Blick von mir abzuwenden.
"Ja", sagte ich unschlüssig,"Ich denke, das wäre schön."
Shawns Blick war so intensiv, dass ich ihn kaum erwidern konnte und meine Haut begann, warm zu werden.
"Ja." Er warf Nate einen triumphierenden Blick zu und sah dann wieder mich an. "Soll ich dir schreiben?"
Ehe ich antworteten konnte, erblickte ich hinter Shawn Karen.
"Lyra!", rief sie erfreut und umarmte mich fest.
"Hey!"
"Wie geht's dir? Wir haben uns ja ewig nicht mehr gesehen." Sie schenkte mir ein strahlendes Lächeln, aber der kurze, vorwurfsvolle Blick, den sie Shawn zuwarf, entging mir nicht.
"Ja, schön dich endlich mal wieder zu sehen! Mir geht's wirklich gut. Das Studium läuft echt super! Und wie geht's dir und Manny?"
"Oh uns geht's auch gut. Wir werden nur langsam alt", erwiderte sie lachend. "Hast du gerade Semesterferien oder wieso bist du hier?"
"Wir", ich deutete auf Nate, "haben uns ein paar Tage freigenommen. Ich wollte am Todestag hier sein", erklärte ich.
Karen nickte verständnisvoll. "Ja, natürlich. Und wer ist der junge Mann an deiner Seite?", fragte sie mit einem schelmischen Lächeln auf den Lippen.
"Das ist Nate, mein Freund."
Nate, der davor nur stumm neben mir gestanden hatte, zwang sich zu einem Lächeln und einer leisen Begrüßung. "Ihr seid wirklich süß zusammen. Ich bin froh, dass du jemanden gefunden hast." Karen lächelte uns an und sah dann mit einem Killer-Blick zu Shawn. Ich hatte nach unserer Trennung einige Male mit Karen gesprochen und es war klar geworden, dass sie auf meiner Seite gewesen war und Shawns Handlungen für absolut idiotisch befunden hatte. Wäre Nate nicht neben mir gestanden, hätte ich gelacht, aber es kam mir unangebracht vor und ich wollte Nate, der angespannt wie ein Flitzebogen neben mir stand und meine Hand so fest hielt, dass es beinahe wehtat, nicht provozieren. "Also es war schön euch wiedergesehen zu haben, aber wir müssen jetzt leider los", verabschiedete ich mich, um die Situation aufzulösen.
"Ja klar, aber melde dich mal wieder bei mir, Lyra", bat mich Karen. "Natürlich." Ich nickte Shawn, der ein leises "Bis dann" von sich gab und winkte Karen, ehe ich Nate und den Einkaufswagen zum nächsten Regal zog.

"Ich mag Shawn nicht", merkte Nate an und stellte die Einkaufstüten auf den Tisch.
"Echt? Ich hatte den Eindruck, du fandest ihn toll", zog ich Nate lachend auf.
"Er macht mir dir Schluss und kreuzt einfach wieder auf, obwohl du glücklich in einer Beziehung bist", beschwerte er sich weiter.
"Stimmt schon, aber hör mal, Shawn ist keine Bedrohung für dich, glaub mir. Wir haben nur eine Menge gemeinsam durchgemacht und er hat mich durch eine schwere Zeit in meinem Leben begleitet. Und auch wenn er ein Arschloch war, bin ich ihm dankbar."
Nate gab ein mürrisches Geräusch von sich.
"Ich liebe dich, okay?" Ich legte meine Hände um seinen Körper und küsste ihn sanft.
"Ich liebe dich auch."
"So. Siehst du, kein Grund zur Sorge. Und jetzt lass uns nicht mehr darüber reden, sondern die nächste Folge Stranger Things anschauen."
Ich zog ihn an seiner Hand ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein.
Die Folge war schon beinahe vorbei, als mein Handy vibrierte. Da ich auf eine Nachricht von Kaitlyn wartete, entsperrte ich es und sah, wer mir geschrieben hatte. Es war jedoch nicht Kaitlyn.

Shawn:
Hey, ich bin's Shawn

Shawn:
Ich wusste nicht, ob du meine Nummer überhaupt noch hast

Shawn:
Denkst du, du könntest wirklich mal einen Tag für mich freischaufeln?

"Wer schreibt?", wollte Nate wissen. "Oh, nur Kaitlyn", log ich. Zum Glück wandte sich Nate wieder dem Bildschirm zu. Ich tippte noch schnell "Ich schreib dir, wenn ich Zeit hab" als Antwort, ehe ich das Handy aus der Hand legte.

Tides [german] Where stories live. Discover now