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Shawn
Passt halb 4 für dich?

Seufzend blickte ich auf die Nachricht, die mir Shawn geschrieben hatte. Es war nicht so, dass ich es bereute, mich mit ihm auf einen Kaffee verabredet zu haben, im Gegenteil, ich freute mich sehr auf das Treffen. Ich war um ehrlich zu sein schon etwas neugierig, wie es Shawn in dem letzten Jahr ergangen war. Die Tatsache aber, dass ich Nate nach wie vor nicht gesagt hatte, dass ich mich mit Shawn treffen würde, bedrückte mich.
Das Richtige wäre gewesen, es ihm einfach zu sagen, es war ja vor allem nichtmal etwas schlimmes dabei. Wir waren im Prinzip nur zwei alte Freunde die sich wiedersahen. Gut, ich muss zugeben, der Fakt dass wir früher zusammen gewesen waren, war für Nate natürlich nicht gut anzunehmen, aber er vertraute mir. Trotzdem war ich mir nicht sicher, ob ich ihm verkünden konnte, dass wir uns wieder annäherten, im rein freundschaftlichen Sinne, ohne dass er sauer oder misstrauisch wurde. Und auch wenn ich es hasste ihn zu belügen, wollte ich nichts daran ändern. Noch nicht.

Lyra
Ja, ist perfekt! Bis später

Es war erst früher Nachmittag und ich entschloss mich, meine Zeit zu vertreiben, in dem ich das Haus mal wieder etwas durchputzte. In der Zeit in der ich auf dem College war, sammelte sich eine Menge Staub auf den vielen Regalen und da ich noch einige Tage bleiben würde, wollte ich nicht ständig niesen müssen. Ich staubte also sämtliche Flächen im Haus ab und vergaß dabei so die Zeit, dass es, als ich endlich auf die Uhr sah, bereits viertel nach 3 war.
"Mist", fluchte ich leise vor mich hin und eilte ins Bad. Schnell putzte ich mir die Zähne und bürstete mir das wiederspenstige braune Haar. Danach tauschte ich meine Jogginghose mit einer Jeans und schnappte mir meine Schlüssel, mein Handy und meinen Geldbeutel.
Zu dem Zeitpunkt, zu dem ich aus der Garage herausfuhr war es schon kurz nach Halb. Trotzdem zwang ich mich verkehrsgerecht zu fahren.
Als ich endlich das kleine, gemütliche Café erreichte, war ich völlig außer Atem und fast eine Viertelstunde zu spät. Ich erblickte Shawns dunkel gelockten Kopf an einem Zweiertisch am Fenster. Er saß vor einer Tasse Kaffee und rührte diesen gedankenverloren um.
"Hey! Tut mir Leid ich hab die Zeit total vergessen", entschuldigte ich mich. Er erhob den Blick von der Tasse und sein Mund verzog sich zu einem erleichterten Lächeln. "Hey", begrüßte er mich mit seiner warmen Stimme. "Ich hab mir einfach schonmal was bestellt, ich hoffe das war okay." 
Ich schlüpfte aus meiner Jacke, hängte sie über den Stuhl und setzte mich. "Dir sei verziehen", scherzte ich. Er lachte leise, doch ich konnte hören, dass er nervös war. Eine Kellnerin kam, um meine Bestellung aufzunehmen. Als sie wieder verschwunden war, faltete Shawn seine Hände auf dem Tisch. "So." 
"So?" Unentschlossen kratzte er sich am Hinterkopf.
"Wie ging es dir? Also über das letzte Jahr?", fragte er.
"Naja... Das College läuft gut, falls du das meinst. Und sonst, ich bin mit Nate zusammen...Ich weiß nicht, was du hören willst, ich kann schlecht 1 Jahr in ein paar Sätzen zusammenfassen", erklärte ich und lächelte ihn mit schiefem Blick an.
Er zuckte mit den Achseln. "Denkst du, Vancouver hätte dir besser gefallen?"
Ich schnaubte. "Natürlich hätte mir Vancouver besser gefallen, Shawn." Er sah schuldbewusst auf seine Hände. Die Kellnerin kam zurück und stellte die dampfenden Tasse Tee, welche ich bestellt hatte, vor mich. Leise bedankte ich mich und schenkte dann meine Aufmerksamkeit wieder Shawn.
"Ich wollte mich entschuldigen, Lyra, dass ich dir damals diese einzigartige Chance genommen habe. Das war absolut selbstsüchtig von mir. Ich wollte dir nicht dein Leben verbauen. Ich war damals nur so... verliebt in dich."
"Keine Sorge, ich bin schon lange nicht mehr böse. Natürlich wäre Vancouver fantastisch gewesen, aber hey... Ich hätte sonst Nate nie kennengelernt, also ist es eigentlich gut so wie es ist", beruhigte ich ihn. "Ja", antwortete er nur knapp und nahm einen Schluck Kaffee.
Es entstand eine kurze Stille, ehe ich wieder begann zu sprechen. "So und jetzt erzähl mal: Deine Karriere", fragte ich neugierig.
Shawn lächelte stolz. "Nachdem ich in New York ein paar meiner Songs aufgenommen und veröffentlicht hatte, bin ich dank Andrew, der für die nötige Publicity gesorgt hat, schnell etwas bekannter geworden. Ich hatte schon den ein oder anderen Hit im Radio und spiele jetzt immer wieder in kleineren Hallen."
"Du hast es echt geschafft, das zu tun, was du wolltest, oder?"
Er nickte langsam. "Naja, ich bin jetzt nicht gerade Justin Bieber, aber es läuft wirklich gut. Andrew will mir für das nächste Jahr einen Job als Voract besorgen und er meint, dass ich danach wahrscheinlich fast schon eine eigene Tour starten könnte."
"Wow", brachte ich heraus. "Ich bin echt stolz auf dich, Shawn."
"Ich auch. Und ich liebe mein Leben so wie es gerade ist, aber das was ich dafür geopfert habe, ist es trotzdem nicht wert." Er sah mir mit seinen schokobraunen Augen so intensiv in meine, dass ich es nicht schaffte den Blickkontakt zu trennen.
"Äh ja", sagte ich peinlich berührt. "Und für wie lange bleibst du jetzt wieder hier?"

Auch wenn es kurz nach Shawns Bemerkung etwas komisch gewesen war, hatten wir uns beide am Riemen gerissen und die Stimmung hatte sich schnell wieder gelockert. Beinahe 3 Stunden hatten wir uns in dem schnuckeligen Café aufgehalten. Nun saßen wir gemeinsam in meinem Auto, da Shawn vorher mit seiner Mutter mitgefahren war, die einkaufen gegangen war. Leise Musik spielte im Radio und ich trommelte meine Finger im Takt auf das Lenkrad, während Shawn mitsummte.
Bald schon kam das Haus der Familie Mendes in Sicht und ich stellte das Auto in der Einfahrt ab.
"Danke für heute. Es war wirklich schön", bedankte sich Shawn, als er sich langsam anschnallte. 
"Ja, fand ich auch. Können wir gerne wiederholen."
Ich schenkte ihm ein Lächeln. "Also dann..."
Ich wartete darauf, dass er das Auto verließ, doch stattdessen lehnte er sich zu mir vor. Ich war wie gelähmt. War Shawn dabei mich zu küssen?
Seine Lippen kamen meinen immer näher und alles in meinem Kopf schrie "Aufhören", doch bis mein Körper reagierte, konnte ich seinen warmen Atem auf meiner Haut spüren. 
"Shawn?!", platzte es aus mir heraus, nachdem mein Körper sich endlich dazu entschlossen hatte, zu kooperieren.
Er bewegte sich ruckartig weg von mir.
"Sorry, war aus Gewohnheit", murmelte er. Entgeistert sah ich ihn an, doch er mied meinen Blick.
"Bis dann." Eilig verließ er den Wagen und lief zur Tür. Auch als er im Haus verschwunden war, war ich immer noch unfähig, zu realisieren, was hier gerade um ein Haar passiert wäre. "Verdammt, Shawn",fluchte ich und umklammerte das Lenkrad. In was hatte ich mich jetzt schon wieder reingeritten?

Tides [german] Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt