- 17 -

676 41 3
                                    

Zum hundertsten Mal drehte ich mich im Bett hin und her. Egal, wie oft ich die Seiten wechselte, ich konnte nicht schlafen. Alles, was zwischen Shawn und mir passiert war, hatte sich in meinen Kopf eingebrannt. Wir hatten mehrmals miteinander geschlafen und wir hatten beim Schlittschuhlaufen eine Art Date gehabt. Egal, wie sehr ich versuchte, mir selbst einzureden, dass da nichts zwischen uns war, so konnte ich meine Gefühle für ihn nicht leugnen. Natürlich war ich mit Nate glücklich und ich liebte ihn doch auch, aber es fühlte sich nicht mehr an wie früher. Wie sollte es auch? Ich hatte ihm die ganze Zeit ins Gesicht gelogen, während ich ihn hinter seinem Rücken ständig betrog. Ich musste ihm die Wahrheit sagen, das war mir bewusst, aber ich brachte es einfach nicht übers Herz. Diesen Fehler würde er mir nicht verzeihen und das konnte ich ihm keineswegs übelnehmen. Wenn er mich betrogen hätte, wäre ich explodiert. Aber ich war hier die Böse, die ihm ewig vorgelogen hatte, dass alles in Ordnung war, obwohl das so garnicht stimmte. Da es schon 5 Uhr war, beschloss ich aufzustehen, da meine Gedanken mich sowieso nicht mehr schlafen lassen würden.
Ich frühstückte, obwohl mir der Hunger eigentlich vergangen war und  checkte dann meine Nachrichten.
Ich kann es kaum erwarten, wenn wir uns wiedersehen, hatte Nate geschrieben, aber auch eine Nachricht von Shawn war dabei.
Ich hatte viel Spaß gestern.
Ich lächelte, als ich an den gestrigen Tag zurückdachte. Es hatte sich wie ein richtiges Date angefühlt. Obwohl ich mir einredete, dass ich Shawn nicht mehr liebte, spürte ich doch die Spannung zwischen uns. Ich hatte Gefühle für ihn und er hatte noch Gefühle für mich.
Ich öffnete wieder Nates Nachricht und seufzte. Es fühlte sich an, als hätte ich einen Stein im Magen. Ich musste es ihm sagen. So früh wie möglich. Überstürzt von Schuldgefühlen, rief ich seinen Kontakt an. Ich wollte wieder auflegen, doch mein Körper war erstarrt. Nach ein paar Sekunden antwortete er mit müder, kratziger Stimme. "Lyra?"
"Hey", flüsterte ich, mit Tränen in den Augen.
"Es ist gerade mal halb 6", murmelte er. "Normalerweise würdest du noch tief schlafen."
"Ich weiß", murmelte ich, als ich mir eine Träne wegwischte.
Am anderen Ende herrschte kurz Stille, bevor Nates Stimme klar erklang. "Ist alles in Ordnung?"
Weitere Tränen flossen meine Wangen hinunter, bevor ich den Kopf schüttelte.
"Lyra?"
"Ja, alles okay", log ich, doch das Abbrechen meiner Stimme verriet mich.
"Weinst du?"
Sag es ihm einfach.
"Was ist los?", hakte er besorgt nach.
"Ich-"
Ich konnte es ihm nicht sagen. Nicht übers Telefon. Das hatte er nicht verdient. Ich hatte ihn nicht verdient.
"Die letzten Tage waren nicht so einfach für mich. Wegen meiner Familie", murmelte ich.
"Ich weiß", erwiderte er. "Willst du darüber reden?"
"Nein", flüsterte ich. "Ich will einfach nicht allein sein."
"Das bist du nicht und du wirst es auch nie sein, hörst du?"
Ich nickte nur. "Ich weiß. Ich vermisse dich."
"Ich vermisse dich auch, Lyra."

Pünktlich um 13 Uhr klopfte es an die Tür. Ich machte auf und sah Luke vor mir, den ich schon seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte.
"Hey", rief er mir entgegen und fiel mir um den Hals. "Was gibt es für einen Notfall?"
"Vielleicht sollten wir uns hinsetzen."
Als ich uns Tee und Kekse vorbereitet hatte, setzte ich mich neben Luke aufs Sofa.
"Ich hab Scheiße gebaut. Und ich drehe komplett durch."
"Okay", erwiderte er. "Schieß los!"
"Also Nate-"
"Oh mein Gott! Bist du schwanger?"
"Was?", entgegenete ich empört. "Nein!"
Luke sah mich fragend an.
"Schon ein paar Wochen vor Weihnachten habe ich mich mit Shawn verabredet. Er wollte mich küssen, aber wir haben uns nicht geküsst. Und dann haben wir uns nochmal getroffen und ich habe mit ihm geschlafen", platze es so aus mir heraus.
Luke klappte die Kinnlade runter. "Nein."
"Doch", erwiderte ich und vergrub mein Gesicht in meinen Händen. "Und das war nicht das einzige Mal."
"Erzähl schon!", drängte Luke mich und sah mich erwartungsvoll an.
"Als ich Weihnachten bei ihm verbracht habe, ist es nochmal passiert. Und wir hatten so eine Art Date."
"Heilige Scheiße", sagte er nach ein paar Momenten der Stille. "Liebst du ihn?"
"Shawn? Keine Ahnung. Ich bin verwirrt. Zwischen uns sind Gefühle aufgekommen, von denen ich eigentlich dachte, sie wären längst erloschen", murmelte ich. "Nate weiß noch nichts davon. Ich habe ihn die ganze Zeit angelogen, ihm gesagt, ich hätte keine Gefühle für Shawn mehr."
"Scheiße."
"Das kannst du laut sagen", erwiderte ich und warf seufzend den Kopf zurück. "Wenn ich wieder nach Hause fahre, dann erzähle ich ihm alles. Er wird mich hassen, aber er hat etwas besseres verdient. Er verdient die Wahrheit."

Tides [german] Dove le storie prendono vita. Scoprilo ora