¥ Prolog ¥

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,,Lauf!", rief Chris Adams während er über einen verrosteten Metallzaun hinweg sprang. Durch seinen Körper sprudelte das Adrenalin wie kochendes Wasser und sein Blutdruck lief auf Hochtouren.
,,Ich laufe doch schon! Alter, wenn die uns kriegen sind wir gefickt!", brüllte sein bester Freund Hal Dalton zurück, der ihm dicht auf den Fersen folgte.
Aus seiner Stimme war wie immer das Grinsen herauszuhören welches verriet, wie sehr er diese mehr als heikle Situation genoß. Anders jedoch als Chris, der sich von Panik ergriffen, kaum mehr in den Griff bekam.
Sie mussten weiter.
Chris musste es, denn er durfte unter keinen Umständen geschnappt werden.
Ansonsten würde alles auffliegen, dachte er sorgenvoll, bevor er sich dazu bewegte noch schneller zu rennen. Bei dem Gedanken aufzufliegen drehte sich ihm der Magen um.
Wenn herauskam, dass er nicht der war für den er sich ausgab oder schlimmer: dass er seinen Besten Freund belog seitdem er ihn kannte — dann wäre sein Leben vorbei, so viel stand fest. Falls es die Typen, die hinter ihnen her waren es nicht schon vorher beendeten.
Chris liebte seinen Freund wie einen Bruder und auch wenn Chris fast zwei Jahre jünger war als Hal, war es als gäbe es das Alter nicht, keine Regeln oder stereotypische Verhaltensweisen die man sich vorspielen müsste. Und genau weil das so war, musste Chris das schützen was sie trotz ihrer Brüderlichkeit trennte: sein Geheimnis.
Sollte Hal es erfahren, könnte sich Chris das Chaos das es verursachen würde niemals auch nur im Traum verzeihen.
Nicht nur das; Hal würde ausflippen! Er würde ihn verstoßen wie er jeden anderen von sich stieß und das könnte er nicht verkraften. Ohne ihn hätte sein langweiliges Leben einfach keinen Sinn mehr und er war sich ziemlich sicher, dass es Hal dann ähnlich erginge.
Chris zerstörerische Lügen und vor allem das abgekartete Spiel, bei dem sie beide als dämliche Figuren in einem ausgeklügelten Plan missbraucht wurden, musste er also für sich behalten.
Denn es ging hier um weit mehr als um einen Haufen Kohle, Drogen und Waffen. Viel mehr standen die zwei möglichen Auswege ihrer beider Leben im Vordergrund: das pure Überleben oder das qualvolle Dahinsiechen, sollte man erwischt werden.
Und Chris war ersteres definitiv lieber.
,,Hast du die Kohle?", schrie Hal ihm plötzlich zu und Chris stand kurz vorm Ausrasten.
Er konnte mit Druck nur schlecht umgehen und an ihm hing so viel mehr Last, als auf den Schultern seines reichen Freundes der immer alles in den Arsch geschoben bekam.
,,Na klar hab ich sie, du Idiot!"
Wieso sollte er denn auch sonst einen ganzen Meter hinter seinem Freund herlaufen? Er war nämlich der Schnellere von den beiden, was bedeutete, dass der Grund ganz einfach der war, dass die verdammte Kohle in dem großen silbernen Koffer eine Tonne wog und ihm wie ein Klotz am Bein hing.
Hal warf sich gleich über die nächste Barrikade, als plötzlich Schüsse die Luft zerrissen.
Hal und Chris hielten für einen kurzen Moment wie versteinert inne und blickten über die Schulter zurück. Ihre verschreckten Blicke trafen sich und in beiden Gesichtern die Todesangst herauskristallisierte, weil sie realisierten, dass sie ihnen jetzt dicht auf dem Fersen waren.
Fuck! Dachte Chris verstört.
Weiter... ich muss weiter, gleich habe ich es geschafft.
Sie waren kurz vorm Sieg, er durfte jetzt nicht einfach aufgeben und sich von der Panik, die ihm die Kehle abschnürte, übermannen lassen.
,,Wir schaffen es nicht mehr Chris, wenn wir weiter zusammenbleiben! Wir müssen uns trennen. Wir treffen uns morgen beim Versteck!", keuchte Hal beim sprinten und warf ihm von der Seite einen besorgten Blick zu. Chris wusste genau, was Hal dachte. Sein Freund hatte Angst um sein Leben, genauso wie er selbst und um ihn zu schützen und seine einzige Chance zu ergreifen, nickte er eifrig und konnte sich ein erleichtertes Grinsen nicht verkneifen. Eine weitere Mission war geschafft ohne, dass Hal etwas von seinen heimlichen Machenschaften mitgekriegt hatte. Doch das könnte sich ändern und dafür reichte es aus, geschnappt zu werden.
Hal gab Chris jetzt ein Zeichen weiterzulaufen, bevor sie sich letztlich trennten. Chris der verstand nickte zustimmend und dann bretterten sie an den heruntergekommen Häusern des Moss Side Viertels vorbei, ehe Hal bei der Abzweigung hundert Meter weiter vor ihnen, nach links deutete.
Chris der verstand nickte erneut, während Hal in die linke Seitenstraße abbog und Chris in die Rechte.
Und ohne es zu wissen, trennten sich die Wege der beiden Freunde, nicht nur bis zum morgigen Tag...
Er vernahm das Gebell der Hunde ganz in der Nähe und fluchte vor sich hin.
Sie hatten Hal's Plan durchschaut und waren ihm gefolgt. Sie hatten sich nicht abhängen lassen.
So ein verdammter Mist! Das geschah sonst nie!
Doch Chris versuchte sich positiv zu stimmen, denn es würde nicht mehr lange dauern, dann hätte er es geschafft, er musste nur in die Crimson Street gelangen.
Und bis dahin waren es von hier nur noch zwei Blöcke.
Das Adrenalin in seinem Körper brachte ihn auf einen Höhenflug, der es ihm erlaubte nochmal Vollgas zu geben, doch es war bereits zu spät, denn das Gebell der Hunde und das Getrampel von hunderten von Schritten hatten ihn nun endgültig erreicht.
Nur noch ein Block...
Plötzlich ertönte das Geheul eines losgelassenen Kalibers, der Chris ohne Vorwarnung in den Rücken traf.
Haut, Fasern und Muskeln wurden durchtrennt bis die Kugel aus der Brust wieder austrat und ihn brüllend zum fallen brachte.
Er musste nur-
Die Schmerzen erreichten ihn nun.
Sie wurden immer schlimmer sodass er schrie, um sie zu vertreiben, was nicht ein bisschen half.
Seine Schulter wurde augenblicklich taub und er spürte die warme rote Flüssigkeit austreten wie aus einer Fontäne.
Aber er rappelte sich tapfer wieder auf und sprintete weiter, doch Chris verlor rapide an Schnelligkeit, da der enorme Blutverlust ihm eine Menge Kraft kostete.
Chris bemerkte deutlich das laute Hecheln der Pitbull-Terrier, welche ihn mittlerweile eingeholt hatten und rammten. Sie besprangen ihn und er hatte kaum Energie um sich gegen sie zu wehren.
Sie bissen ihn in die Beine, dann folgten seine Arme,
aber er ließ sich nicht stoppen.
Er trat mit letzter Kraft nach ihnen und schüttelte sie somit ab.
Weiter! Ich hatte es gleich geschafft! Chris sammelte den Rest seines Mutes, seines Adrenalins und seiner Beherrschung, um weiterzulaufen.
Doch genau im selben Moment ertönte ein zweiter Schuss.
Es folgte ein Dritter.
Alle trafen sie Chris, doch er kämpfte sich zu dem schwarzen Jeep inmitten des Gehwegs, der samt weit geöffneter Tür für ihn bereitstand.
Als der vierte Schuss explodierte, hatte sich Chris schweratmend auf die Rückbank gehievt den Koffer neben sich geschmissen und war wild blutend zusammengebrochen.
,, ... Boss, er ist völlig durchlöchert! Er verbluten! Er wird es nicht mehr rechtzeitig schaffen!", keifte der Fahrer des Jeeps in sein Handy, der in einer unglaublichen Geschwindigkeit losraste, während er die Hunde, samt Männer und ihren Killerwaffen zurückließ.
,,Hey, Junge, bleib wach! Ich bringe dich ins Krankenhaus! Dein Vater wird auch da sein.", rief der Fahrer zu Chris Adams nach hinten, doch er reagierte nicht.
Den Fahrer erfüllte plötzlich eine Heidenangst und er trat noch doller aufs Gaspedal. Die Bank sowie der Boden des Autos waren getränkt mit dickflüssigen Blut, welches unaufhörlich nachstockte, als wäre der Bengel ein endloser Blutspender.
Aber der Fahrer wusste, das dem nicht so war und der Blutverlust den Jungen töten würde.
Also zog er sich mitten im Fahren hektisch den Pulli aus und presste ihn auf die Einschusswunde in Chris' rechter Brust.
Verdammt! Glatter Durchschuss!
Der Mann am Steuer fluchte.
Auch wenn er wusste, dass es nicht viel brachte den Pulli auf die Wunde zu pressen, da der Kleine an drei weiteren Stellen getroffen wurde, tat er es, denn er musste einfach irgendetwas tun.
Der Kleine war doch noch ein Kind! Er war gerade mal erst fünfzehn, dachte er mitleidig und sah betrübt auf Chris hinunter und behielt gleichzeitig die Straße im Blick. Aber das war den Drahtziehern hinter all dem völlig egal. Sie waren skrupellos und scherten sich um so etwas nicht.
Der Mann seufzte verzweifelt.
Es war erstaunlich, dass es Chris überhaupt mit den Verletzungen geschafft hatte, sich zum Auto zu schleppen. Aber so war er nun mal. Zielstrebig und willensstark, genau wie sein Vater.

Als sie im Krankenhaus ankamen, atmete Chris Adams längst nicht mehr.

••••

Hal's Handy klingelte am späten Abend des nächsten Tages.
Er hatte sich große Sorgen um seinen besten Freund gemacht, weil er weder zum Treffen erschienen war, noch angerufen hatte um abzusagen.
Eigentlich trafen sie sich immer so schnell es ging wenn sie Geld gestohlen hatten, um es gerecht aufzuteilen, doch Chris kam einfach nicht. Das er von den Blödmännern erwischt worden sein könnte war so absurd, dass Hal diesen Gedanken gar nicht erst in Erwägung zog. Sein Freund war viel zu geschickt und flink dafür. Viel zu sehr der Angsthase, der sich mehr vor dem Tod fürchtete als sonst irgendwer, als sich kriegen zu lassen.
Hal langweilte sich in seinem Geheimversteck, kommandierte seine weitaus älteren Untertanen durch die Keller des Moss Side Viertels und hörte den anderen Jungs aus seiner Gang nebenbei beim Schwafeln zu.
Chris war noch nie so unverantwortlich gewesen, etwas stimmte nicht, dass wusste Hal nur zu gut.
Es war genau 22 Uhr als sein Handy plötzlich klingelte.
Er nahm ab in der Hoffnung es sei Chris, doch er wurde bitter enttäuscht:
,, ... Hal Dalton? Wir müssen Ihnen bedauernswerter Weise mitteilen, dass Chris Adams heute an einer Überdosis Kokain verstorben ist. Sein letzter Wunsch ist es gewesen, sie zu kontaktieren." Bevor Hal in sich zusammenfiel und das Handy fallen ließ, rief er sich das Bild seines Freundes ins Gedächtnis.
Das konnte nicht sein.
Chris und tot.
Sein Bester Freud war tot?!
Was sollte das? Spielte Chris ihm einen Streich? Das musste es sein, er liebte solche Scherze.
Chris nahm schließlich nie alleine Drogen und schon garnicht Kokain.
Er war, was das betraf, ein ziemliches Weichei gewesen...
Irgendetwas stimmte hier einfach nicht.
Ganz und garnicht, doch bevor Hal sich das Handy erneut schnappen und nachhaken konnte, vernahm er das Geräusch eines Piepen.
Der anonyme Anrufer hatte aufgelegt.
Und Hal hatte Chris seitdem nie wieder gesehen.

Badboy Next DoorWhere stories live. Discover now