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Zitternd vor Kälte laufe ich durch die dunklen Straßen Londons. Ich bin obdachlos. Ein Blutsverräter. Familienlos. Ein Sirius 2.0, in weiblicher Form. Was hab ich mir eigentlich dabei gedacht, mit meiner Familie zu brechen? Sie zu verraten? Für Sirius, mit dem ich in eineinhalb Monaten sowieso Schluss machen werde. Für meine Freunde, die ich wegen einer Wette kennenlernt habe und die mir nicht halb so viel bedeuten, wie meine Freunde in Slytherin. Warum habe ich nicht einfach eingelenkt? Nichts getan, wie sonst immer? Seit wann bin ich so anders geworden, so rebellisch und ehrlich? Seit wann bilde ich mir meine eigene Meinung und lasse mir nicht mehr von meinen Eltern vorschreiben, was ich sagen, tuen und denken soll?
Wohin soll ich gehen? Wovon soll ich leben? Fürs erste könnte ich bestimmt bei James unterkommen. Er hat ja auch Sirius aufgenommen, da wird er mich bestimmt auch für eins, zwei Nächte auf dem Sofa schlafen lassen. Er hat mal erwähnt, dass er in Godric's Hollow wohnt. Wenn ich dahin apperiere und mich dann durchfrage, könnte ich ihn finden. Ich bin zwar seit dem Apperier-Kurs in den Sommerferien nicht mehr allein apperiert oder disapperiert, aber mit etwas Glück werde ich schon nicht zersplintern. Und Glück könnte ich jetzt echt gut gebrauchen.
Ich schließe die Augen und beschwöre ein Bild von Godric's Hollow vor meinem inneren Auge herauf. Ich war da mal mit meinen Eltern im Urlaub. Zwar habe ich nur noch schwache Erinnerungen daran, aber sie werden hoffentlich reichen. Ich konzentriere mich auf das Bild und schon spüre ich das drückende Gefühl, als würde ich durch einen Schlauch gepresst. Eine Sekunde später ist es auch schon vorbei und ich stehe mit all meinen Sachen und zum Glück auch noch mit allen Gliedmaßen auf der Hauptstraße von Godric's Hollow. Etwas orientierungslos sehe ich mich um und laufe einfach gerade aus.
„Entschuldigung!", rufe ich einer älteren Frau hinterher. Sie dreht sich fragend um.
„Wissen Sie vielleicht wo die Potters wohnen? James Potter? Sagt Ihnen der Name etwas?" Sie nickt und lächelt mich an.
„Natürlich, Liebes. Jeder hier im Dorf kennt die Potters. Seltsame Familie ist das." Während wir laufen, erzählt sie mir haarsträubende Geschichten über James und seine Eltern. Angeblich, sagt sie, sei James als er klein war, mal vom Kirchendach gefallen und habe sich nichts getan.
Als wir ankommen, verabschiedet sie sich und tippelt mit kleinen Schritten zur Kirche.
Etwas nervös atme ich einmal tief durch und öffne das Gartentor. Es quietscht einmal laut und ich zucke erschrocken zusammen.
„Sirius? James? Seid ihr das?", ruft jemand und eine kleine Frau mit schwarzen, wuscheligen Haaren, die James eindeutig von ihr geerbt hat, kommt aus der Haustür.
„Huch? Wer bist du denn?", fragt sie überrascht.
„Louise Preston", murmele ich.
„Ach!", ruft sie,„Du bist also du mysteriöse Louise. Sirius redet die ganze Zeit nur von dir! Wie schön dich endlich kennenzulernen! Ich bin Miranda, James leibliche und Sirius Adoptivmutter. Komm doch rein, du bist ja ganz durchnässt vom Regen."
Ich lächele sie an.
„Danke."
„Sirius und James sind gerade mit Sirius neuen Motorrad in London, aber sie dürften jeden Moment wieder da sein", erklärt sie mir, während sie mich durch den Hausflur in die Küche führt.
„Stell deine Sachen doch einfach hier hin. Möchtest du etwas trinken? Etwas essen? Setz dich ruhig. Warum bist du überhaupt hier? Nicht, dass ich dich nicht hier haben möchte, es wundert mich nur, da weder James noch Sirius von deinem Besuch gesprochen haben." Ich beiße mir auf die Unterlippe.
„Ich...", stammele ich,„meine Familie- Ich wurde rausgeschmissen und da dachte ich... Weil Sirius ja hier wohnt und ich mit James befreundet bin... Vielleicht..." Mirandas Augen weiteten sich.
„Oh Schätzchen! Natürlich kannst du hier schlafen! Sirius kann bei James einziehen oder du kannst mit Sirius in einem Zimmer wohnen. Ihr seid doch zusammen, oder nicht?" Ich nicke. Plötzlich hören wir Schritte im Flur.
„Mum! Bin Zuhause!", ruft James und ich stehe sofort auf und gehe in den Flur.
„Louise?", fragt Sirius erstaunt während er seine Schuhe auszieht,„was machst du denn hier?" Ich schlucke und plötzlich bricht meine Mauer, die ich mir die Woche über aufgebaut habe in sich zusammen und ich breche in Tränen aus. Die kalte, emotionslose und unnahbare Schlampe aus Slytherin, die ich früher war, ist nicht mehr zusehen. Stattdessen nur noch ein trauriges Mädchen, ohne Heimat oder Familie. Sofort nimmt Sirius mich in den Arm und ich klammere mich an ihn, wie an einen Rettungsring. Vergessen ist die Wette und die alten Rivalitäten.
„Hey!", flüstert Sirius und streichelt meine Haare,„alles ist gut." Er wartet, bis ich mich ein wenig beruhigt habe und führt mich dann auf das Sofa im Wohnzimmer.
„Jetzt erzähl mal: Was ist passiert?" Ich atme einmal tief durch und fange an zu erzählen. Es sprudelt alles aus mir raus, meine Todesser-Eltern, Amelie und ihre kurze Nachricht, dass sie mich an meine Eltern verraten hat, die Ohrfeige meines Vaters. Sirius sitzt da und hört mir zu. Er nimmt an den richtigen Stellen meine Hand und drückt sie an Stellen, wo ich kurz davor bin wieder in Tränen auszubrechen.
Als ich fertig bin, nimmt er mich wortlos wieder in den Arm und sofort fühle ich mich sicher und geborgen. Dann legt er seine Hände auf meine Schultern und sieht mir in die Augen.
„Hör mir zu", sagt er und ich nicke.
„Du kannst niemanden gebrauchen, der dir sagt, was richtig oder falsch ist. Oder was du denken und fühlen sollst. Mit wem du befreundet sein sollst oder in welches Haus du gehen sollst. Du kannst niemanden gebrauchen, der dich schlägt, wenn du nicht tust was er sagt. Der dich alleine lässt und dir keine Sicherheit, Liebe oder kein Glück bieten kann.
Das einzige, was du im Moment brauchst, dass sind wir. James, Remus, Alice, Marlene, Peter, Lily und ich. Wir sind deine Freunde. Und ab heute auch deine neue Familie. Okay?"
„Okay", flüstere ich leise mit Tränen in den Augen. Aber nicht vor Trauer oder Verzweiflung, sondern vor Rührung.
Plötzlich hören wir ein leises Schniefen von der Tür und drehen uns um. Miranda steht mit James am Türrahmen und wischt sich kurz über die Augen.
„Ihr seid so ein wunderbares Paar", lächelt sie und James nickt bekräftigend.

Dreimal Klischee zum Mitnehmen, bitteWhere stories live. Discover now