20 - Von Schuld

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Ich stehe in einer dunklen Gasse, einer Seitenstraße der Nokturngasse, wenn ich dem Schild neben mir glauben darf, und stütze mich an einer Wand ab. Ich keuche, als wäre ich gerannt. Ich trage einen schwarzen Umhang. Das Dunkle Mal ist auf meinem Unterarm eingebrannt. Es ist Nachts, doch die Sonne scheint bald auf zu gehen. Das ist alles, was ich gerade weiß. Ich fühle mich als wäre ich brutal aus dem Schlaf gerissen worden, als hätte mir jemand einen Kübel voll Eiswasser über den Kopf geschüttet. Langsam versuche ich meinen Atem zu beruhigen und richte mich auf. Mit wackeligen Schritten und zitternden Knien gehe ich vorsichtig in die Richtung, in die ich die Winkelgasse vermute und gelange auf den Hauptweg der Nokturngasse. Es ist ruhig und leer, wie ausgestorben. Die dunklen Schaufenster mit den fragwürdigen Waren dahinter scheinen mich anzustarren, als ich einsam den Weg entlang wanke. Ich fühle mich von allen Seiten beobachtet und taste langsam nach meinem Zauberstab. Noch immer ist kein Mensch zu sehen und allmählich bekomme ich es mit der Angst zu tun. Wo ist dein Gryffindormut, du Memme?, schießt es mir plötzlich durch den Kopf. Ärgerlich vertreibe ich den Gedanken wieder. Selbstzweifel kann ich nun wirklich nicht gebrauchen. Während ich laufe, versuche ich mich krampfhaft daran zu erninnern, warum ich hier bin und was ich hier wollte, doch ich weiß nichts. Mein Kopf scheint wie leergefegt zu sein. Auf einmal meine ich eine Erinnerung zu sehen, schwach und verblasst, doch immer hin etwas. Ich sehe mich mit mit einem schwarzhaarigem,hübschen Jungen. Und da ist ein rothaariges Mädchen und noch drei Jungs, der eine mit braunen, der andere mit schwarzen, verstrubbelten Haaren und einer Brille und der letzte mit dünnen, blonden Haaren und Pickeln im Gesicht. Und wir lachen. Für ein paar Sekunden klammere ich mich an der Erinnerung fest. Sie ist das einzige, was ich habe. Und plötzlich bricht alles über mich hinein. Sirius, Lily, Remus, James und Peter. Hogwarts und die Zeit danach. Der Streit, meine Entführung, die Qual und die Folter, die ich im Malfoy Manor erleiden musste. Und dann bricht alles abrupt ab und ich erinnere mich an nichts mehr. Intuitiv weiß ich, dass ein paar Jahre vergangen sein müssen seit meiner letzten Erinnerung und jetzt.

Gestärkt von den Erinnerungen werden meine Schritte sicherer und als ich von weitem die Winkelgasse sehe, werde ich schneller und gehe hoffnungsvoll im Laufschritt darauf zu. Doch als ich in der vertrauten Einkaufsstraße ankomme, ist sie wie leer gefegt. Die Scheiben der meisten Läden sind zerbrochen, die wenigen Waren, die noch da sind, verstaubt und kaputt. Eine Welle der Einsamkeit überkommt mich und ich wünsche mir Gesellschaft so sehr wie nie zuvor. Langsam gehe ich durch die Straße und betrete schließlich den zerstörten Eissalon der Fortescues, mein Lieblingsladen, als ich noch Schülerin gewesen bin.

„Hallo? Ist jemand da?", frage ich mit dünner Stimme. Keine Antwort. Natürlich nicht. Gerade will ich resigniert weiter gehen, da höre ich ein Klappern, dann ein Krachen und schließlich ein unterdrücktes Fluchen. Die Trümmer im Laden bewegen sich und ein junger Mann kommt hustend heraus gestolpert.

„Sind sie weg, die Todesser von eben?", fragt er ohne mich anzusehen und klopft sich den Staub von den verschlissenen Klamotten.

„Hab's vorhin im Radio gehört", fährt er fort, ohne meine Antwort abzuwarten und rappelt sich auf, „er ist gestorben. Er, dessen Name nicht genannt werden darf ist tot!" Was? Das kann nicht sein. Immer noch völlig geschockt stehe ich stumm vor dem Mann, während er mich überglücklich in die Arme schließt, immer noch ohne mich eines Blickes zu würdigen.

„Ich... Also...", stottere ich und er lässt mich los, um mich anzusehen. Erschrocken schreit er auf und macht einen Satz nach hinten, woraufhin er über ein auf dem Boden liegendes Holzstück stolpert und prompt wieder auf dem Boden sitzt. Panisch tastet er auf dem Boden herum, vermutlich auf der Suche nach seinem Zauberstab, während er immer weiter von mit wegrutscht.

„Bitte, tu mir nichts", wimmert er ängstlich und rutscht bis an die nur noch zur Hälfte existierenden Wand des Ladens. Verwirrt sehe ich ihm dabei zu.

„Ich mache doch gar nichts", bringe ich schließlich heraus und er zuckt schon zusammen, als ich den Mund öffne.

„Was? Aber du bist doch... Das kann nicht sein. Du... Du willst mich doch nur in eine Falle locken, du Schlange! Aber das bringt dir nichts mehr. Dein ach so toller Herr ist tot!"

„Warum sollte ich dich in eine Falle locken wollen?"

„Was weiß ich, du bist Joline Finley! Woher soll ich wissen, was in deinem kranken Hirn vorgeht?", ruft er und seine Stimme wird hoch vor Panik, während er immer noch nach seinem Zauberstab sucht.

Plötzlich überkommt mich ein dunkler Verdacht.

„Was ist die letzten Jahre passiert?", frage ich leise.

„Das weißt du selber, das muss ich dir nicht sagen." Langsam gerate ich in Panik.

„Bitte, sag es mir! Was ist passiert? Was habe ich gemacht?"

„Du miese, kleine-"

„Was ist passsiert, verdammt noch mal?", brülle ich verzweifelt, greife wie aus Reflex zu meinem Zauberstab und halte ihn dem Mann an die Kehle. Sofort verschwindet der Funken Mut, der vorher in ihm aufgekeimt ist wieder und er hebt schützend die Hände.

„Du bist- warst Todesserin und hast ganz viele Menschen getötet und Mugglestämmige gejagt und warst eine der gefürchteten Menschen im Lande", rattert er panisch herunter, „aber bitte, tu mir nichts, bitte." Den letzten Satz schreit er schon fast und ihm treten Tränen in die Augen. Fassungslos starre ich in an.

„Ich soll was getan haben?", hauche ich entsetzt und lasse meinen Zauberstab sinken. Das kann nicht sein, das darf nicht sein. Misstrauisch verfolgt der Mann jede meiner Bewegungen mit seinen Augen und als ich meinen Zauberstab fallen lasse und er klappernd auf den Boden fällt, rappelt er sich auf und rennt aus dem Laden. Ich versuche nicht, ihn aufzuhalten, sondern realisiere erstmal, was er eben gesagt hat. Ich bin eine Mörderin. Ich habe Menschen getötet, wahrscheinlich sogar ganze Familien. Kindern ihre Eltern genommen, gequält und gefoltert. Ein Schluchzer kriecht meine Kehle herauf und mir kommen die Tränen. Entsetzt schlage ich die Hände vors Gesicht und meine Beine knicken zusammen. Verzweifelt breche ich auf dem Boden zusammen und werde von Schluchzern immer wieder durchgeschüttelt. Was habe ich getan? Wie viele Menschen habe ich zu Tode gequält, wie viele aus ihren Häusern vertrieben, wie vielen habe ich das Leben genommen? Mir bleibt die Luft weg, ich versuche mich aufzurichten, doch meine Beine können mein Gewicht nicht mehr tragen. Resigniert sinke ich auf dem staubigen Boden zusammen. Der Tränenstrom versiegt, die Schluchzer werden weniger. Übrig bleibt Schuld und sie wird immer bleiben, bis an meinen Tod.

Dreimal Klischee zum Mitnehmen, bitteWhere stories live. Discover now