Kapitel 30

508 23 20
                                    

Jake

Noch immer sitze ich mit Cecilia in meinen Armen und dem Rücken gegen das Sofa gelehnt auf dem Boden.

Ich fühle mich furchtbar.

Mein Vater hat mich bereits gestern angerufen, um mich über die neuesten Entwicklungen auf den aktuellen Stand zu bringen. Während des Telefonats habe ich erfahren, dass Olivia es nicht geschafft hat.

Ich wusste einfach nicht, wie ich Cecilia schonend beibringen sollte, dass ihre Freundin gestorben ist. Doch dass sie es auf diesen Weg erfährt, ist nicht mein Plan gewesen.

Ich hatte keine Ahnung, dass es der Presse zu Ohren gekommen ist. Doch offenbar hat ihr Insider kein Detail ausgespart.

Erschöpft lasse ich meinen Kopf in den Nacken fallen und schließe meine Augen für einen kurzen Augenblick. Der Boden ist unbequem und ich bin müde, doch all das spielt in diesem Augenblick keine Rolle. Solange Cecilia wohlauf ist, ist mir alles andere egal.

Langsam öffne ich meine Augen und mustere das schlafende Mädchen. Sanft streiche ich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und platziere einen Kuss auf ihrer Stirn.

Obwohl sie in meinen Armen liegt, vermisse ich sie. In den vergangenen Tagen haben wir so gut wie gar nicht miteinander kommuniziert. Nur beim Essen sitzen wir im selben Raum, reden allerdings kein einziges Wort miteinander.

Ich vermisse es, mit ihr zu reden. Doch ich weiß, dass ich sie verletzt habe. Cecilia glaubt, dass ich nichts für sie empfinde, doch das ist nicht wahr. Ich habe Emil angelogen. Für mich ist Cecilia längst nicht mehr nur die Prinzessin, die es zu beschützen gilt.

Inzwischen ist mir einiges bewusst geworden. Die Zeit mit Cecilia ist kostbar. Und man kann nie wissen, wie viel Zeit einem mit den Menschen bleibt, die man liebt. Von jetzt auf gleich kann alles vorbei sein. Einfach so.

Sowohl die Ereignisse der letzten Tage und Wochen, als auch der heutige Abend haben mir das bewiesen. Sie in meinen Armen zu halten, fühlt sich so richtig an. Auch, wenn die Umstände schrecklich sind. Sie so am Boden zerstört zu sehen, hat mich wahnsinnig mitgenommen. Mein Herz ist gebrochen und ich würde alles tun, um ihres trotzdem zu heilen.

In diesem Augenblick treffe ich für mich selbst die Entscheidung, alles zu tun, um sie glücklich zu machen. Ich schaffe es nicht länger, gegen meine Gefühle für sie anzukämpfen.

Alles, was ich mir wünsche, ist ein Lächeln auf ihrem Gesicht und ein Strahlen in ihren wunderschönen braunen Augen.

***

Die darauffolgenden Tage sind verdammt schwer.

Cecilia trauert um ihre Freundin. Nachts plagen sie heftige Alpträume, die zusätzlich auch an mir nagen. Inzwischen schlafen wir beide auf dem Sofa im Wohnzimmer. Beim Essen stochert sie bloß teilnahmslos in dem Inhalt ihres Tellers herum. Und den Rest des Tages sitzt sie einfach nur da und starrt auf den Fernsehbildschirm ohne sich zu rühren oder ein Wort zu sagen.

Ich weiß nicht, wie viel sie von dem, was in den Nachrichten gesagt wird, tatsächlich aufnimmt.

Körperlich scheint sie anwesend zu sein, doch mental ist sie unerreichbar.

Die Nachricht über Olivias Tod hat sie in eine Art Schockzustand versetzt. Ich habe bereits mit Dad telefoniert und ihn über die Lage aufgeklärt. Er sagt, ich solle ihr Zeit geben und sie nicht aus den Augen lassen.

Sein Ratschlag ist gut gemeint, dennoch fühle ich mich etwas verloren in der Situation. Ich möchte ihr helfen, doch ich weiß nicht, wie.

„Du solltest etwas essen", sage ich zu Cecilia, nachdem sie sich ohne einen Bissen von den Pfannkuchen, die ich gemacht habe, zurück auf das Sofa setzt. Eine Antwort darauf erhalte ich nicht. Um ehrlich zu sein rechne ich inzwischen auch nicht mehr damit. Es ist, als würde ich mit mir selbst sprechen. Dennoch höre ich nicht auf, mit ihr zu reden. Sie soll wissen, dass ich da bin.

Ihre Blick ist auf den Fernsehbildschirm gerichtet. Ihre braunen Augen wirken glasig und leer und werfen dunkle Schatten. Sie schläft nicht viel, da sie ständig von Alpträumen geweckt wird.

„Okay", sage ich ernst. Kurzerhand greife ich nach der Fernbedienung und schalte den Fernseher aus. Die Stimme des Nachrichtensprechers verstummt. Stille kehrt ein. Einen Moment lang starrt Cecilia auf den dunklen Bildschirm. Daraufhin sieht sie zu mir. Es ist das erste Mal seit jenem Abend, dass sie mir in die Augen sieht. Doch gleichzeitig fühlt es sich an, als ginge ihr Blick einfach durch mich hindurch.

„Mach ihn wieder an", bringt sie mit kratziger Stimme hervor. Ihre Stimme zu hören, gibt mir Hoffnung. Gleichzeitig jagt mir ein eisiger Schauer über den Rücken.

„Nein", sage ich bestimmt.

Cecilia öffnet den Mund, als wolle sie etwas sagen, schließt ihn daraufhin jedoch wieder. Erschöpft lässt sie die Schultern hängen und senkt ihren Blick.

„Du musst etwas essen, du hast seit Tagen kaum einen Bissen angerührt", versuche ich an ihren Verstand zu appellieren.

„Ich habe keinen Appetit", erwidert sie unbeeindruckt von meinen Worten und zuckt gleichgültig mit den Schultern.

Ein Seufzen entweicht meinen Lippen. Es fühlt sich aussichtslos an. Doch jetzt, wo ich sie zumindest zum Reden animieren konnte, gebe ich erst recht nicht auf.

„Cecilia", spreche ich ihren Namen bedacht ruhig aus und greife nach ihren Händen. Cecilias Augen füllen sich mit Tränen. Ihre Unterlippe beginnt zu beben. Sie lässt zu, dass ich ihre Arme aus der verschränkten Haltung löse. Sanft umschließe ich ihre Finger mit meinen und platziere unsere Hände auf ihrem Schoß. „Ich weiß, was du fühlst. Ich verstehe das"

„Du verstehst gar nichts! Du hast keine Ahnung, Jake!", platzt es aus ihr heraus. Tränen laufen ihr über die Wangen. Es ist okay, dass sie ihren Frust an mir auslässt und genau das, was ich von ihr möchte. Es gehört zur Trauer dazu, die sie seit Tagen in sich selbst verschlingt. „Es ist alles meine Schuld. Mr Darcy wurde verletzt, wegen mir. Olivia wurde vergiftet, wegen mir. Sie ist gestorben..." Sie beginnt heftig zu schluchzen. „..wegen mir"

Cecilia hat soeben die erste Phase der Trauer durchbrochen. Jetzt brechen alle Emotionen aus ihr heraus. Wut, Verzweiflung, Schmerz und Schuld. Ich halte sie nicht auf mit dem, was sie sagt. Sie muss all diese aufkommenden und sich aufgestauten Gefühle rauslassen.

„Wenn ich nicht wäre, wäre sie noch am Leben. Dann wäre alles gut. Es ist alles meine Schuld", sagt sie wieder. Endlich kann ich sehen, was sie braucht. Ich kann sehen, was in ihren Kopf vor sich geht. Sie gibt sich selbst die Schuld an dem Tod ihrer Freundin. Und ich verstehe das. Das Getränk, welches Olivia zu sich nahm, war für Cecilia gedacht. Es sollte ursprünglich sie treffen.

„Du suchst einen Schuldigen für ihren Tod", schlussfolgere ich und drücke ihre Hände ein wenig fester.

Ich bin schuld", wirft Cecilia von ihrer Schuld überzeugt ein.

„Hast du sie vergiftet?", frage ich sie.

Perplex sieht Cecilia mich an. „N-nein?", gibt sie zurück, wobei es ein wenig fragend klingt.

„Wusstest du, dass jemand Gift in den Becher gemischt hat?", frage ich weiter.

Cecilia schüttelt mit dem Kopf. Verwirrt blinzelt sie mich an.

„Es ist nicht deine Schuld", schlussfolgere ich daraus. Sanft streiche ich mit dem Daumen über ihren Handdrücken. „Olivia war deine Freundin. Du hättest ihr das niemals angetan. Schuld ist einzig und allein die Person, die das Gift in das Getränk gemischt hat, um dich zu töten. Olivia war zur falschen Zeit am falschen Ort"

Für einen Moment kehrt Stille zwischen uns ein. An ihrem Gesicht erkenne ich, dass Cecilia über meine Worte nachdenkt. Dann fängt sie wieder an zu schluchzen. „Ich vermisse sie so sehr", weint sie.

„Ich weiß", murmele ich und spüre die Tränen, die auch mir aufsteigen. Cecilias Schmerz ist auch mein Schmerz. Ich kann nicht glücklich sein, wenn sie so am Boden ist.

„Kannst du mich halten?", fragt Cecilia mich.

Sofort setze ich mich neben sie auf das Sofa und ziehe Cecilia in meine Arme. „Versprich mir, dass ich dich nicht auch noch verliere", kommt es von ihr.

Ich platziere einen Kuss auf ihrer Schläfe. „Ich verspreche es dir. Ich werde immer für dich da sein", erwidere ich.

______

Wer mag Jake genauso sehr wie ich? 🙋🏻‍♀️

The Princess's SecretWhere stories live. Discover now