Kapitel 62

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POV Yuna

„Und deshalb musst du einfach kommen", drängt mich Etienne am Telefon zum erneuten Male. Er will unbedingt, dass ich zu Mikas Geburtstag komme und einige Nächte bei den beiden übernachte. Ich bin mir dabei eher unschlüssig, weil ich weiß, dass Kyle mich nicht sehen will und er sicherlich da sein wird. Allerdings ist es im Grunde unmöglich, Etienne etwas abzuschlagen, weshalb ich unter Vorbehalt zusage. Er freut sich und lässt mich dann zum Glück in Ruhe weiter arbeiten. Mein Vater ist gerade auf einem Außentermin, sodass ich alleine die Werkstatt schmeißen muss. Heute ist nicht allzu viel los, sodass es kein Problem ist, dass ich kurz weg war.

Während ich ein wenig in der Werkstatt aufräume, mache ich mir Radio an und tanze umher. Ich summe mit und schmeiße einige Werkzeuge in den Werkzeugkasten. Früher hat meine Mutter mich oft dazu gebracht, mit ihr zu tanzen. Ich vermisse sie heute etwas mehr als sonst, weiß jedoch nicht warum. Als ich mich umdrehe, erschrecke ich mich halb zu Tode, als jemand vor mir steht. Meine Augen weiten sich erstaunt, als ich Kyle erkenne, der meine Performance grinsend mustert. Schnell mache ich das Radio leiser und gehe auf ihn zu. „Was machst du denn hier?", frage ich verwundert und er reibt sich über seinen Hinterkopf. Er trägt wie immer kurze Klamotten und abgewetzte Sneaker. Im Grunde sieht er kaum anders aus als vor Wochen, nur sein Bart ist etwas länger und an einigen Stellen leicht rötlich. Ich habe absolut nicht damit gerechnet, ihn wiederzusehen, doch ich merke sofort, dass es mich freut. Er seufzt und meint: „Ich bin nicht hier, weil alles vergeben und vergessen ist." Ich nicke sofort, weil ich damit auch nicht gerechnet hätte. Allerdings hätte ich ja nicht mal damit gerechnet, dass er jemals wieder mit mir spricht. Von daher nehme ich wohl alles, was ich kriegen kann. „Ich will nur eine Sache von dir wissen", sagt er und ich hebe fragend eine Augenbraue. Kyles Gesichtsausdruck verrät mir, dass von meiner Antwort einiges abhängen wird. Nervös lege ich den Schraubenzieher weg, den ich in der Hand halte und sehe Kyle an.

„War der Nagel in deiner Hand ein Unfall?", fragt er und ich habe mit vielem gerechnet, aber sicherlich nicht mit dieser Frage. Wie kommt er denn jetzt darauf? Kurz schaue ich ihn nur verdutzt an, doch dann fange ich mich und schüttele langsam den Kopf. „Ich würde sofort wieder meine Hände für ihre hinhalten", sage ich ehrlich und ohne weiter darüber nachdenken zu müssen und Kyle nickt zufrieden. Ein leichtes Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus, doch ich verstehe nicht, was ihm diese Info bringt. Kyle seufzt und erklärt dann: „Sie ist bei ihrem Vorspielen, vorhin sind sie losgefahren. Vielleicht bilde ich es mir nur ein, aber ich denke, dass sie nicht so gut spielt, wie sie es könnte." Ich nicke, um ihm zu zeigen, dass ich zuhöre, weiß aber nicht, worauf er hinauswill. „Sie hat wegen dir wieder gespielt, um dich glücklich zu machen. Sie wird es nie zugeben, doch sie braucht dich gerade mehr als jeden anderen. So gerne ich ihr auch helfen würde, ich kann es nicht. Ich weiß nicht, was du an dir hast, aber es bringt Helena dazu, über sich hinaus zu wachsen." Gänsehaut breitet sich auf meinen Armen aus, sagt er mir gerade, dass ich Helena immer noch etwas bedeute? Bin ich der Mensch, der ihr gerade helfen kann? Ich kann nicht glauben, was ich da von dem Jungen höre, der mich nie wieder in der Nähe seiner Schwester sehen wollte. „Was kann ich machen?", frage ich sofort, weil ich alles für sie tun würde. Ich brauche nicht eine Sekunde darüber nachdenken, weil ich nie aufgehört habe, sie zu bewundern. Wenn ich ihr dabei helfen kann, ihren Traum zu verwirklichen, werde ich keinen Moment zögern. Kyle lächelt leicht und hält mir seine Hand hin: „Kann ich dir vertrauen?" Sofort nicke ich und statt seinen Handschlag zu erwidern, schlinge ich meine Arme um seinen Hals und drücke ihn fest an mich. Es tut so gut, meinen Freund wieder zu haben. Ich habe es kaum ausgehalten, ihn so sehr zu enttäuschen. Ich spüre, wie er schmunzelt und meine Umarmung erwidert. "Du hast offiziell gewonnen", sagt er und als ich ihn fragend ansehe, grinst er.

"Ich habe dich unterschätzt. Du hast dir eine Lewis geklärt, dagegen werde ich nie ankommen."

My hardest riseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt