Kapitel 10

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POV Helena

Ich werde von lautem Trampeln und der Sonne, die in mein Gesicht scheint, geweckt. Müde reibe ich meine Augen und erkenne am Stand der Sonne, dass es noch nicht sehr spät sein kann. Ich fühle mich wie von einem Lastwagen überrollt und ziehe die Decke zurück über meinen Kopf. Keine Minute später steckt allerdings jemand seinen Kopf in meine Tür und ich höre Alex Stimme:„Komm Leni, mach dich fertig, in einer halben Stunde geht es los." Grummelig quäle ich mich aus dem Bett, ziehe mir einen Pulli über und trotte die Treppe herunter. In der Küche herrscht bereits wildes Treiben und Liv scheucht gerade Etienne und Mika vor die Tür. „Hört auf schon alles aufzuessen", ermahnt sie die beidenJungs und wendet sich dann an Kyle, der neben ihr einige Brotdosen in Rucksäcke packt. Die anderen tragen alle schon sportliche Klamotten, mein Bruder hat sogar Wanderschuhe an. Das alles gefällt mir so gar nicht, ich bin noch geschafft von gestern und will nicht gleich wieder auf die Rolle. „Willst du echt das anziehen?", fragt Alex und ich denke kurz, dass er mich meint, doch er schaut an mir vorbei. Ich drehe mich und erkenne Ashley, die weiße Sneaker und eine Leggings trägt. Sie zuckt die Achseln und läuft zu meinem Bruder, um sich mal wieder an ihn ranzuschmeißen. „Kyle hat gesagt, ich werde nicht dreckig." Die anderen tauschen zweifelnde Blicke aus und selbst mir ist bewusst, dass ihr Outfit unpassend ist. „Bitte sag mir jemand, dass es gerade nicht um die Schlafzimmergeschichten der beiden geht", ertönt eine Stimme neben mir und ich zucke überrascht zusammen. Yuna läuft an mir vorbei die Treppe herunter, auch sie trägt kurze Sportklamotten und wieder bleibt mein Blick kurz an ihrem trainierten Rücken hängen. Etienne grinst sie an und erwidert: „Es mag nicht jeder so dreckig wie du." Die beiden kabbeln sich etwas, bis Liv sie mit einem Geschirrhandtuch nach draußen jagt und auch Kyle und Ashley aus der Küche vertreibt. Sie winkt mich zu sich und da es besser ist, als weiter auf der Treppe zu stehen, nehme ich ihre Einladung an. Liv schiebt mir einen Toast mit Nutella hin und meint: „Iss das, du wirst den Zucker brauchen." Stirnrunzelnd und verunsichert sehe ich sie an und greife nach dem Toastbrot. „Wir laufen den Berg hinauf. Von oben kannst du wunderschön übers Tal gucken, das wird dir gefallen", erklärt sie und ich verziehe sofort das Gesicht. „Der Weg wird mir sicher nicht gefallen", erwidere ich nuschelnd mit Brot im Mund. Sie schmunzelt nur und stellt mir ein Glas Saft hin. Dann klopft sie auf den Tresen und meint: „Iss auf, mach dich fertig und versuch einfach, Spaß zu haben." Während sie sich wieder den Rucksäcken zuwendet, beende ich mein kurzes Frühstück und schleppe mich die Treppe hinauf. Ich ziehe die eine Sporthose an, die ich seit der siebten Klasse besitze und das erstbeste Shirt, das ich in meinem Koffer finde. Dann schnappe ich mir einHaargummi und stecke meine Haare mehr schlecht als recht hoch. Wandern ist immer noch besser als klettern oder irgendetwas anderes, bei dem ich meine Hände benutzen muss. Ich betrachte meine geschundenen Finger und vermisse sofort wieder die das Gefühl der Tasten unter ihnen. Seufzend ziehe ich die alten Wanderschuhe meiner Mutter an, die sie mir extra eingepackt hat. Sie sehen nicht gut aus, aber wenigstens laufe ich dann nicht wie Ashley herum.

Als ich runterkomme, warten die anderen bereits vorm Haus und sind startbereit. „Wehe du brauchst jeden Morgen so lange", sagt mein Bruder genervt zu mir und schultert seinen Rucksack. „Sagt der Typ, der für seine Haare eine halbe Stunde braucht", verteidigt Liv mich sofort und ich lächele sie dankbar an. Die anderen lachen und so machen wir uns auf den Weg. Die ersten Minuten bekomme ich Gänsehaut an meinen nackten Beinen, weil es noch recht früh und frisch draußen ist. Schnell genug wird mir allerdings warm, als die Steigung mehr wird und jeder Schritt anstrengender. Etienne, Mika und Kyle laufen wie die wilden voraus und reden ohne Punkt und Komma. Das Mittelfeld bilden Alex, Liv und Yuna, die mal reden, aber auch die Stille genießen können. Ich bin erleichtert, dass ich zumindest direkt hinter Yuna laufe und nicht die allerletzte bin. Ashley läuft noch einige Meter hinter mir und beschwert sich ständig über die Blasen an ihren Füßen. Ein Mal hat Yuna sich umgedreht und mir einen Blick zugeworfen, der wohl zeigen sollte, wie genervt sie von Ashley ist. Ich konnte nicht anders als leicht darüber zu schmunzeln, weil es mir ganz genauso geht. Auf diese kleine Geste hat sich unsere Konservation allerdings beschränkt und ich bin die meiste Zeit nur damit beschäftigt, auf die Steine zu schauen, um nicht hinzufallen. Den Rest der Zeit habe ich die anderen genauer betrachtet und ich bin mir mittlerweile relativ sicher, dass Alex auf Liv steht. Er ist selbst kein großer Wanderer, das weiß ich, aber trotzdem versucht er mit ihr mitzuhalten. Außerdem probiert er ständig, sie zum Lachen zu bringen, was meistens auch klappt. Natürlich mustere ich auch Yuna dabei, wie sie vor mir elegant von einem Stein zum nächsten hüpft. Ich weiß nicht, warum sie hier hinten bei mir läuft, obwohl sie eindeutig mehr Ausdauer als wir anderen hat. Sie könnte sicherlich locker mit Kyle und Mika mithalten, scheint es aber gar nicht zu wollen. Sie hat ihre Haare wieder hochgesteckt und ich kann sehen, dass sie ein kleines Tattoo in ihrem Nacken hat. Sie redet weniger als Alex und Liv, aber wenn dann höre ich automatisch besser zu. Yuna hat ein erstaunliches Charisma, was ich so noch nie zuvor bei jemandem gesehen habe. Ich wette, sie könnte mit Leichtigkeit die Aufmerksamkeit eines ganzen Raumes voller Menschen auf sich ziehen und sie für sich einnehmen. Ich merke beim nächsten Anstieg deutlich, dass ich mit meinen Kräften am Ende bin und bleibe kurz stehen. Ich atme tief ein und aus und blicke herab auf den Weg, den ich bereits hinter mich gebracht habe. Von hier aus kann man bereits den See und unser Haus sehen, das aus der Entfernung wirklich klein wirkt.

My hardest riseTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang