Kapitel 51

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„Ist alles okay?", fragt Quinn mich, als wir vor einer Bude anstehen, die Wraps verkauft. Ich habe schon damit gerechnet, dass ihr meine Stimmung auffällt. Sie anzulügen hat wenig Sinn, also seufze ich und meine: „Yuna und ich haben uns gestritten. Vielleicht soll es doch nicht sein." Meine beste Freundin mustert mich kritisch und scheint über meine Worte nachzudenken. „Woher kommt dieser Sinneswandel jetzt?", fragt sie und ich tue so, als wüsste ich nicht, was sie meint. Quinn zeigt mir mit ihrem Blick, dass ich das sein lassen kann und meint: „Willst du mir jetzt erzählen, dass du nicht mehr voll verknallt in sie bist? Falls ja, erklär mir doch bitte, warum du die Barkeeperin gerne töten würdest." Sofort laufe ich peinlich berührt rot an und verdrehe die Augen. Warum muss Quinn mich so gut kennen. „Halt die Klappe", sage ich zu ihr und wende mich dann der Frau im Wagen zu. Ich bestelle und hoffe, dass damit das Gespräch beendet ist. Auf dem Weg zurück zu den anderen, kommt Quinn allerdings nochmal darauf zurück. „Vielleicht bekommt ihr das ja wieder hin. Weißt du, das erste Mal verliebt sein ist immer scheiße", erklärt sie, als hätte sie die große Erfahrung vorzuweisen. Ich muss leicht grinsen und erwidere: „Redest du von Lennard aus der Mittelstufe oder von Justin Bieber?" Quinn schaut mich empört an und ich muss lachen. Sie war in der siebten Klasse ein richtiger Justin Fan und hatte ihr ganzes Zimmer mit Postern vollgekleistert. „Du bist ein Arschloch, Helena Lewis", sagt Quinn und schüttelt den Kopf, als hätte ich gerade gegen eine hohe soziale Norm verstoßen. Lachend folge ich ihr zu den anderen und schaffe es, den Rest des Nachmittags zu genießen.

 Abends verabschiede ich mich traurig von Quinn und wünschte, sie könnte noch bleiben. Sie hat den anderen bereits tschüss gesagt und ihre Eltern stehen mit dem Auto bereit. Ich habe ihr geholfen, die Koffer zum Auto zu bringen und umarme sie nochmal fest. Sie sieht mich einen Moment lang an und lächelt dann leicht: „Hör auf dein Herz, das wird schon." Ich nicke und erwidere ihr Lächeln dankbar. „Wir telefonieren", ruft sie mir noch zu und steigt dann in den Wagen. Ich winke ihr, als sie wegfährt und muss daran denken, dass es nicht mehr länger als zwei Monate dauert, bis ich vorspielen muss. Ich betrachte meine immer noch leicht schmerzenden Fingerknöchel und bemerke wieder Mal, wie dämlich ich bin. Kurz schaue ich hoch in den Himmel und denke an meine Oma, die über mein Verhalten vermutlich herzlich lachen würde. Sie hat mir mal erzählt, dass sie sich ihr Leben lang ständig ihre Finger geklemmt hat und es erst weniger wurde, als sie aufhörte Klavier zu spielen. Sie hat zwar immer verstanden, warum ich so vorsichtig mit meinen Fingern war, doch oft hat sie darüber auch den Kopf geschüttelt. Sie hat immer gewollt, dass ich etwas weniger vorsichtig bin und etwas erlebe, solange ich noch jung bin. Ich vergrabe meine Hände in den Hosentaschen meiner kurzen Sporthose und laufe seufzend zurück zum Haus. Das Schlimmste ist, dass ich genau weiß, dass meine Oma Yuna gemocht hätte. Sie hätte sicherlich so etwas gesagt wie: „Ich habe doch gesagt, du brauchst jemanden, der Pep hat." Ihr hätte es gefallen, wie sehr Yuna mich fordert und dass ich mehr aus mir herauskomme. Sie hätte vermutlich nicht mal etwas gegen ihre Herkunft gehabt, obwohl mein Opa immer ein grummeliger Ausländerfeind war. Mit Sicherheit hätte sie Yuna mit einem Witz begrüßt, der auf der Grenze zur Fremdenfeindlichkeit liegt und zu hundert Prozent weiß ich, dass Yuna darüber gelacht hätte. In Gedanken schaue ich nicht, wo ich lang laufe und stoße auf der Terrasse gegen jemanden, der gerade runter zur Wiese laufen will. Natürlich ist es die einzige Person, in die ich gerade nicht hineinlaufen will. Ihr Duft kommt mir entgegen und für einen Moment zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Ihre Augen treffen auf meine, doch ihr Ausdruck bleibt kühl und distanziert. Schnell wende ich meinen Blick ab und dränge mich an ihr vorbei ins Haus. Ich will jetzt mit meinen Gedanken allein sein und einfach nur Klavier spielen.

POV Yuna

Auf dem Weg herunter zum See, werde ich von Liv aufgehalten, die nach meinem Arm greift. Ihr Blick verrät mir sofort, dass ich wieder irgendetwas falsch gemacht haben muss. „Ich habe dich gewarnt", sagt sie und verengt ihre Augen. Ich breite nur fragend meine Arme aus und frage: „Was ist denn?" Sie zeigt auf das Haus und sagt strafend: „Ihr scheint es nicht gut zu gehen und etwas sagt mir, dass das deine Schuld ist." Ich verdrehe die Augen und stöhne genervt auf, weil ich das jetzt echt nicht gebrauchen kann. Ich bin schon den ganzen Tag schlecht drauf und brauche nicht noch eine Moralpredigt. Helena ignoriert mich und ich tue ihr gerne den Gefallen, es genauso zu tun. Ich lasse mir jetzt aber sicherlich nicht die Schuld dafür geben, dass sie sich so komisch verhält. „Ich habe dir gesagt, dass du vorsichtig sein sollst. Was hast du gemacht?", fragt Liv streng und es bringt mich zum Überkochen. „Gar nichts", sage ich wütend, „wenn du es genau wissen willst: Sie hat mich abserviert. Ich bin ausnahmsweise nicht die Böse, auch wenn es dir sicher schwerfällt, das zu glauben. Lass mich einfach mit dem Thema in Ruhe." Meine Stimme ist feindseliger als ich wollte, aber es regt mich auch einfach auf. Ich habe keinen Bock, für etwas beschuldigt zu werden, das nicht mein Fehler ist. Wenn es Helena scheiße geht, kann ich das eindeutig nicht ändern. Ich habe mich ihr geöffnet und sie zu nichts gedrängt. Wenn sie mich nicht mehr will, dann werde ich das akzeptieren und versuchen, sie zu vergessen. Ich dränge mich an Liv vorbei, weil sie nur verdutzt guckt und keine Anstalten macht, etwas zu sagen. Unten am See setze ich mich auf den Steg, halte meine Beine ins Wasser und beobachte Mika und Etienne dabei, wie sie zu einer Boie schwimmen. Die Barkeeperin hat mir ihre Nummer zugesteckt, bevor wir gegangen sind, doch ich weiß, dass ich sie nicht anrufen werde. Sie sieht gut aus und war nett, aber sie ist nicht das, was ich will. Ein Mal in meinem Leben bin ich mir sicher, was ich will, doch ich kann es nicht haben. Was auch immer Helena dazu bringt, mich abzuweisen, es scheint ihr verdammt ernst zu sein. Den ganzen Tag ist sie meinen Blicken aus dem Weg gegangen und eben sah sie schon wieder so aus, als würde ich ihr irgendwie Angst machen. Es ist vermutlich das Beste, wenn ich sie in Ruhe lasse, auch wenn es mir schwerfällt. Mein Handy klingelt und ich sehe, dass es mein Bruder ist, mit dem ich sowieso noch reden muss. Vielleicht lenkt es mich ja ab, bald bei meiner Familie zu sein.

Abends sitzen wir wieder am Lagerfeuer, doch die Stimmung ist nicht ganz so ausgelassen wie sonst. Alle scheinen ein wenig kaputt zu sein und Ashley nimmt Kyle schon früh mit rein. Liv schläft an Alex Schulter mehrmals ein und ich starre die ganze Zeit nur ins Feuer. Helena sitzt seit Stunden drinnen und übt an ihrem Klavier. Hier draußen kann man vereinzelte Töne leise wahrnehmen und wie immer klingt es super. Wir lassen ihr alle die Privatsphäre, die sie braucht und sind extra nicht allzu laut. „Sie schafft die Aufnahmeprüfung bestimmt", meint Etienne und Mika nickt sofort zustimmend. „Sie ist außergewöhnlich", pflichtet Alex ihm bei und lächelt dabei stolz. Er wirkt so, als hätte er von Anfang an gewusst, dass wir Helena alle toll finden würden, wenn wir sie nur besser kennenlernen. Er hatte natürlich Recht damit, wie könnte man auch nicht. Er schaut mich an und ich nicke nachdenklich: „Ja das ist sie." Dann schnappe ich mir Livs Zigarettenpackung und zünde mir eine an. Das bringt mich vielleicht etwas herunter, weil ich innerlich schon wieder ziemlich aufgewühlt bin. Ich wünschte, ich könnte meine Gedanken einfach stumm schalten und einfach nur den Sternenhimmel betrachten. Es war wirklich alles einfacher, als mir noch alles egal war. „Ich glaube, das ist der beste Sommer bisher", sagt Etienne und lächelt verträumt.

Bis gestern habe ich das auch gedacht...

My hardest riseWhere stories live. Discover now