Kapitel 5

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POV Helena

Erschöpft lasse ich mich um halb eins in mein Bett fallen und trinke noch einiges an Wasser. Letztendlich hat Quinn es doch geschafft, mich zu überreden, mit zu der Party zu kommen. Immerhin hatte sie ihr hoch ersehntes Gespräch mit ihrem Loverboy, bei dem sie sich allerdings schön blamiert hat. Damit bin ich nicht die Einzige, die an diesem Abend nur peinlich war. Es reicht ja nicht, dass ich dauerhaft völlig fehl am Platz war, ich muss auch noch einem Mädchen mein Getränk auf ihr weißes Shirt kippen und mich danach noch mehr vor ihr zum Affen machen. Letztendlich könnte es mir egal sein, weil ich dieses Mädchen nie wieder sehen werde. Trotzdem muss ich ständig daran denken und jedes Mal ist es mir noch ein Stück peinlicher. Ich weiß, dass sie niemand aus unserem Jahrgang war, trotzdem kam sie mir irgendwie bekannt vor. Sie hatte diese Ausstrahlung, die mich an Menschen immer einschüchtert. Dadurch, dass ich selber so häufig in mich gekehrt bin, machen mich selbstbewusste und extrovertierte Menschen ziemlich nervös. Wie soll ich bloß gegen andere auf meiner Traumschule bestehen, wenn ich nicht mal in so einer Situation klar komme. Auch wenn es mich unfassbar nervt, ich weiß tief in mir drinnen, dass meine Eltern recht haben. Ich sollte versuchen, mehr aus mir herauszukommen. Dadurch dass Kyle und seine Freunde ihre Abfahrt um einen Tag wegen der Party verschoben haben, habe ich immer noch die Möglichkeit, mit ihnen mitzufahren. So sehr es mir auch davor graut, ich will weiter die Unterstützung meiner Eltern haben. Mir bleibt also wohl oder übel nichts anderes übrig, als meinen Bruder zu begleiten und die nächsten Wochen irgendwie zu versuchen zu überleben.

Am nächsten Morgen packe ich also unmotiviert meine Tasche und lasse mir dabei Tipps von meinem Bruder geben, der von meinen Eltern dazu gezwungen wird. Als er sieht, dass ich meine Notenblätter einpacken möchte, schüttelt er sofort den Kopf. „Vergiss es, du ziehst da nicht deine Strebernummer ab", sagt er und nimmt sie mir weg. Er zieht direkt auch noch einige meiner Shirts aus dem Koffer und meint: „Du brauchst nichts mitnehmen, was nicht dreckig werden kann. Du sollst da keinen beeindrucken, die sind eh zu cool für dich." Genervt verdrehe ich die Augen und packe noch einige ältere Shirts ein. Sicherlich will ich mit niemandem von seinen Freunden irgendetwas starten. Die Einzige von ihnen, die ich kenne und mag ist Liv, weil sie schon seit der Grundschule mit Kyle befreundet ist. Gar keine Lust habe ich auf Ashley, nachdem ich sie neulich kennenlernen konnte. Sie war nur einige Stunden bei uns, aber schon die haben gereicht, um mir eine eindeutige Meinung zu bilden. Sie ist die größte Tusse, die ich je gesehen habe und ganz klar nur darauf aus, sich an meinen Bruder ranzuschmeißen. Sie hat blonde Haare, allerdings nicht natürlich wie wir, sondern relativ billig gefärbt. Das Einzige, was mich freut, ist, zu sehen, wie sie in der Natur verzweifeln wird. Allerdings wird es mir da wohl nicht viel besser gehen, was mich wiederum absolut nervös macht. Traurig blicke ich auf mein Klavier und weiß genau, wie ich es die nächsten Wochen vermissen werde. Ich fühle mich schon jetzt allein, obwohl ich noch nicht weg bin. Kyle bemerkt meine Stimmung wohl, denn er seufzt und legt mir seine Hand auf die Schulter. „Hey, es wird cool, versprochen. Außerdem bin ich immer bei dir." Ich nicke nur stumm, weil ich das Gefühl habe, den Tränen näher zu sein, als ich möchte. Nachdem Kyle mein Zimmer verlassen hat, um selbst zu packen, telefoniere ich noch mit Quinn. Sie ist tatsächlich ein wenig neidisch auf meinen Urlaub, gleichzeitig hat sie sich aber auch schon einen Plan für die Ferien gemacht. Sie wird genauso viel üben, wie ich es getan hätte, wenn ich da wäre. Ich beneide sie ziemlich darum, aber es hat keinen Sinn, wehmütig zu sein. Ich muss einfach das Beste aus den nächsten Wochen machen und versuchen, sie zu überleben. Meine Eltern wünschen uns viel Spaß und umarmen mich zum Abschied beide fest. Liv fährt mit uns und zieht mich zur Begrüßung direkt in eine Umarmung. Sie ist einer der wenigen extrovertierten Menschen, an den ich mich gewöhnt habe und den ich liebgewonnen habe. Sie redet die ganze Fahrt ohne Punkt und Komma, trotzdem nicke ich irgendwann ein. Erst als Kyle die Musik laut aufdreht, wache ich langsam wieder auf und merke, dass wir bereits durch bergiges Waldland fahren. „Wir sind gleich da, Schlafmütze", sagt mein Bruder lachend und die beiden singen laut mit. Sie sind beste Freunde seit Ewigkeiten und können zusammen unfassbar nervig sein. Kaum haben wir eingeparkt, steigt Liv aus und zündet sich einenJoint an. Ja, so viel zu den Vorstellungen meiner Eltern vom Erlebnisurlaub. Kyle öffnet den Kofferraum und wir bringen zusammen unsere Taschen ins Haus. Ich war länger nicht hier, doch eigentlich hat sich nicht viel geändert. Lediglich der untere Bereich ist mittlerweile in zwei Seiten aufgeteilt. Eine mit der Küche und einem Tisch mit Sofas drumherum und eine in der nur alle möglichen Dinge herumstehen, die dort wohl verstauben. Manchmal habe ich das Gefühl, das Haus ist für meine Eltern eine zweite Garage, in der sie ihren Schrott abladen können. Scheinbar ist schon jemand vor uns angekommen, denn es stehen zwei Koffer vor der Tür. Da sie keinen Schlüssel zum Haus haben, werden sie wohl hinterm Haus gewartet haben. Ich ignoriere die Koffer erstmal und bringe meinen Koffer in das einzige kleinere Zimmer, das ich hoffentlich allein bewohnen werde. Ich richte mich mehr oder weniger ein und gehe dann wieder die Treppe herunter in den Eingangsbereich.

Dort steht neben Kyle ein etwas kleinerer, dünner Typ mit bunten Klamotten, die perfekt zu seiner braunen Haut passen. Mein Bruder stupst ihn an und zeigt auf mich: „Das ist Helena, meine kleine Schwester." Bevor er mir den Namen des Jungen sagen kann, kommt dieser schon lächelnd zu mir. Er zieht mich in eine freundliche Umarmung und meint: „Hey, ich bin Etienne und du hast tausend Mal schönere Haare als dein Bruder." Ich muss über seine nette Art schmunzeln, auch wenn sie mich ziemlich überrumpelt. „Von wegen, du Schleimer. Du würdest mich sofort vernaschen, wenn ich auf Typen stehen würde", witzelt mein Bruder. Daraus schließe ich, dass Etienne auf Männer steht, was sich bestätigt als ein weiterer Typ das Haus betritt. Er ist größer als Etienne aber noch etwas kleiner als mein Bruder und sieht aus wie ein typischer Surfer. Seine längeren, lockigen Haare trägt er in einem Dutt und seine Haut sieht aus als wäre sie von der Sonne gebräunt. Etienne stellt ihn stolz lächelnd als seinen Freund Mika vor und ich schüttele kurz seine Hand. Er wirkt zumindestnicht so selbstbewusst wie Etienne, was mich etwas beruhigt. Mika lächelt freundlich und fragt mich, ob es auch das erste Jahr für mich mit den anderen ist. Wir reden kurz und folgen den anderen dabei raus aus der Tür auf die Terrasse. Dort sitzt Liv mit einem Bier bewaffnet auf einem Campingstuhl und redet mit einem Mädchen, das währenddessen mit einem Fußball jongliert. Kyle unterbricht das Gespräch der beiden, indem sie dem Mädchen den Fußball aus der Luft spitzelt und einige Meter damit über die Wiese läuft. Sie verfolgt ihn sofort und ich erhasche einen Blick auf ihr Gesicht. Schlagartig klopft mein Herz schneller und die Röte steigt mir ins Gesicht. Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Plötzlich kapiere ich, woher mir das Mädchen auf der Party bekannt vorkam.

Ich habe sie auf einem der Bilder im Zimmer meines Bruders gesehen, weil sie zu seinen Freundinnen gehört.

My hardest riseWhere stories live. Discover now