Kapitel 26

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Den ganzen Vormittag verbringe ich in meinem Zimmer und habe Glück, dass alle anderen auch beschäftigt sind. Ich höre, wie Kyle den rasen mäht, was wohl bedeutet, dass Yunas Arbeit erfolgreich war. Beim Mittagessen rede ich nur mit Alex und als alle schwimmen gehen, sehe ich meine Chance, mich ans Klavier zu setzen. Gerade als ich überlege, etwas zu spielen, kommt Liv jedoch rein und macht sich an den Aufwasch. Frustriert fange ich an, ihr zu helfen, weil ich sicher nicht vor ihr spielen möchte. Liv hat mich früher schon spielen hören, doch da war auch alles anders, da war meine Oma noch da. „Alles gut bei dir?", fragt sie mich, nachdem wir einige Minuten still abgewaschen haben. Ich nicke und versuche zu lächeln, weil ihre Sorge sicherlich nett und ehrlich gemeint ist. „Ich bin nur etwas müde", murmele ich und Liv lächelt warm. „Ja, wir können anstrengend sein. Nachher musst du aber noch etwas aktiv werden. Wir haben einige Holzstücke gefunden im Schuppen und wollen daraus versuchen, ein Floß zu bauen." Ich runzele die Stirn und frage mich, warum ausgerechnet ich dabei helfen sollte. „Ich meine, ich kann auch verstehen, wenn du dir keine Splitter einfangen willst", meint Liv und sofort muss ich an Yunas Worte denken. Vermutlich meint Liv ihre Aussage nur verständnisvoll, doch trotzdem provoziert sie mich damit. Ich beiße meine Zähne zusammen und erwidere: „Ich bin dabei, wann geht's los?" Sofort erscheint ein Lächeln auf Livs Lippen und sie erklärt mir den Plan für den Nachmittag.

Natürlich besitzen wir in unserem Ferienhaus kein einziges Paar Handschuhe, sodass ich mir schon zwei Splitter hole beim alleinigen Tragen der Holzbalken. Kyle und Liv sind einkaufen gefahren, weshalb die Floßgruppe aus Etienne, Mika, Yuna und mir besteht. Mika trägt doppelt so viele Holzbalken umher wie wir anderen zusammen, doch es scheint ihn nicht zu stören. Ich ignoriere Yuna so gut es geht und versuche, wenn dann mit Etienne zu reden. Ich habe ziemlich wenig Ahnung von Hammer und Nagel, aber ich gebe mein Bestes und ausnahmsweise achte ich nicht so auf meine Hände. Ich nutze sie auf eine Weise, wie ich sie noch nie benutzt habe und es fühlt sich ungewohnt an. Die Wut in mir über Yunas Worte, die immer noch durch meinen Kopf schwirren, erleichtert meine Bewegungen um einiges. Es sollte mir egal sein, was sie denkt, doch ein Teil von mir will ihr beweisen, dass sie Unrecht hat.

POV Yuna

Ich schlage einige Nägel in ein Brett und reiche den Hammer dann an Etienne weiter. Es ist eine coole Idee, aus den Holzteilen ein Floß zu bauen. Etienne ist genauso Feuer und Flamme wie Mika, nur bei Helena habe ich keine Ahnung, warum sie uns hilft. Ich hätte eigentlich erwartet, dass sie Angst vor Splittern hat, was ich gut verstehen könnte. Ich habe auch heute noch oft an die Berührung ihrer Hand denken müssen. Schon den ganzen Tag warte ich auf eine Gelegenheit, um mich für gestern bei ihr zu entschuldigen, doch sie würdigt mich keines Blickes. Vielleicht ist sie sauer auf mich wegen gestern, obwohl das eigentlich nicht zu ihr passen würde. Wie zu erwarten ist sie keine besonders geschickte Handwerkerin, doch trotzdem ist sie mit ziemlich viel Leidenschaft dabei. Sei greift sich die Bretter sogar mit etwas zu viel Kraft, als müsse sie sich an ihnen abreagieren. Dieses Verhalten kenne ich gut von Kyle und weiß, dass man ihn normalerweise dabei immer in Ruhe lassen muss. Ich hätte nicht gedacht, dass sie ebenfalls mal körperliche Auslastung braucht, aber ich kenne sie ja auch nicht wirklich. Sie hat noch kein Wort mit mir gewechselt, doch wenigstens mit Etienne redet sie hin und wieder. „Reichst du mir das Brett neben Yuna?", fragt er sie und zeigt auf das Holzstück zwischen mir und Helena. Sofort fallen mir mehrere Nägel auf, die mit den Spitzen nach oben in dem Stück stecken und ich will sie warnen, doch sie fährt mir sofort ins Wort. „Ich brauche keine Hilfe", sagt sie abweisend und greift ruckartig nach dem Holz. In meinen Kopf kommt nur ein Gedanke: Ihren Händen darf nichts passieren. Aus Reflex schnellt meine Hand nach vorne, um ihre aufzuhalten, bevor sie sich verletzt. Die Wucht ihres Griffes trifft statt des Holzes meine Hand und drückt sie herunter, ohne dass ich rechtzeitig dagegenhalten kann. Ein brennender Schmerz durchfährt meine Handfläche und ich ächze auf, während mein ganzer Arm verkrampft. Mir wird schlecht und ich habe das Gefühl, einen Moment lang nicht atmen zu können. „Fuck!", schreie ich auf und starre für einen Moment nur auf meine Hand, aus der ein rostiger Nagel heraussticht. Helenas Blick ist völlig entsetzt, doch es wird mir ziemlich schnell egal, als meine Schockstarre nachlässt und der Schmerz mein Gehirn richtig erreicht. Ich muss all meine Beherrschung zusammennehmen, um nicht zu schreien. Zum Glück kommt Etienne mir sofort zur Hilfe und schiebt die perplexe Helena zur Seite. So eine verdammte Scheiße...

My hardest riseWhere stories live. Discover now