Kapitel 25

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POV Yuna

Völlig perplex streiche ich über meine Wange, nachdem Helena durch die Tür verschwunden ist. Sie hat gespürt, dass ich meinen Freiraum brauche und hat ihn mir tatsächlich gegeben. Es passiert selten, dass ich vor jemandem die Nerven verliere, doch normalerweise akzeptieren die Menschen mein Verhalten auch nicht. Mein Vater spricht genauso wenig wie ich über meine Mutter, vermutlich habe ich mir diese Eigenart von ihm abgeschaut. Ich weiß, dass es nie wieder jemanden geben wird, dem ich so nah sein werde, wie ich es meiner Mutter war. Sie wusste immer, was sie zu mir sagen musste, wusste immer, mit mir umzugehen. In meiner Jugend habe ich so viel scheiße verzettelt, doch sie hat mich immer erreicht. Nur dank ihr habe ich überhaupt die Ausbildung bei meinem Vater angefangen. Sie hat immer davon gesprochen, dass ich die Gene bekommen habe, die mein Vater meinem Bruder gewünscht hat und dass ich stolz darauf sein solle. Wenn ich an meine Mutter denke, fällt es mir jedes Mal schwer, nicht sofort in Tränen auszubrechen. Es tut mir etwas leid, dass ich das Gespräch mit Helena so einfach abgebrochen habe. Sie war für einen Moment offener und mutiger und das hat mir wirklich gefallen. Ich will ihr gerne zeigen, dass sie bei mir keine Angst davor haben muss, verurteilt zu werden, doch dieses Thema verkrafte ich gerade einfach nicht. Sie kann nichts dafür, schließlich weiß sie nichts von dem Tod meiner Mutter. Resigniert trinke ich mein Bier aus und beschließe, dass ich mich morgen bei ihr entschuldigen werde. „Hatte klein Lewis keine Lust mehr auf dein Gelaber?", reißt Livs Stimme mich aus meinen Gedanken. Sie und Alex hüllen sich schnell in Decken ein, weil sie klitschnass sind und es nicht mehr sehr warm draußen ist. Ich verdrehe die Augen über ihre Aussage und meine: „Ich gehe jetzt auch rein, euch noch viel Spaß." Liv mustert mich noch kurz prüfend, lässt mich aber ohne Weiteres gehen. Ich höre die beiden kichern, nachdem ich reingegangen bin, wenn da nichts läuft, glaub ich an gar nichts mehr.

Am nächsten Morgen bin ich ziemlich müde und stehe erst auf als die anderen schon gefrühstückt haben. Ich schnappe mir einen Apfel und beiße in ihn hinein, während ich auf die Terrasse laufe. Ashley vollzieht auf der Wiese irgendwelche Bewegung, die ich zwischen Yoga und Strippen einordnen würde und Kyle beobachtet sie dabei. Etienne und Mika sind unten am See, Alex und Helena sitzen ebenfalls auf der Wiese und werfen sich mit einem Ball zu, während sie sich unterhalten. Ich setze mich zu Liv, die die ganze Szenerie aus der Ferne beobachtet und währenddessen auf ihrem Block herumkritzelt. Kaum sitze ich und will für einen Moment die Sonne genießen, klopft Liv mir auch schon auf den Oberschenkel und ruft in Kyles Richtung: „Sie ist wach." Ich runzele die Stirn und meine Laune sinkt, als Kyle auf mich zu kommt und mich mit seinem Ich-will-was-von-dir-Blick ansieht. „Ich muss den Rasen mähen und der Rasenmäher funktioniert nicht", sagt er und lächelt schief. Ich seufze und streiche mir meine Haare aus der Stirn. „Ihr seid euch doch für sonst nichts zu schade", murmele ich und beiße noch ein Stück von dem Apfel ab. Kyle hockt sich zu mir und hält mir seine Hand hin: „Wenn du ihn zum Laufen bekommst, bekommst du zu deinem Geburtstag meine Platte." Da werde ich hellhörig und grinse leicht. Gemeint ist eine Platte, die wir in unserem ersten Jahr hier auf dem Berg gefunden haben. Wir wissen bis jetzt nicht welches Lied darauf ist und ob sie überhaupt noch funktioniert, doch das ist auch egal. Es ist ein Ritual geworden, dass jedes Jahr jemand anders die Platte mit nach Hause nehmen darf. Kyle war letztes Jahr dran und darf sie dieses Jahr an eine Person seiner Wahl weitergeben. „Deal", sage ich und erwidere seinen Händedruck. Ich mache mich auf zum Schuppen und suche mir einen Schraubenzieher und einiges anderes Werkzeug. Es ist tatsächlich nicht schwer, den Rasenmäher zum Laufen zu bekommen, doch er ist unfassbar dreckig. Ich hatte schon wieder völlig verdrängt, dass ich übermorgen Geburtstag habe und eigentlich ist mir der Tag auch egal. Ich fasse voll in einen Ölfilm und fluche genervt, als Liv in den Schuppen kommt.

POV Helena

Nachdem Alex hochgegangen ist, um seinen Vater anzurufen, schnappe ich mir eine Flasche Wasser. Ich habe gesehen, dass Yuna im Schuppen herumwerkelt und will ihr etwas zu trinken bringen. Vor allem will ich mich vergewissern, ob nach gestern alles gut zwischen uns ist. Mittlerweile wäre es mir nicht mehr egal, wenn sie etwas gegen mich hätte. Ich fühle mich wohl in ihrer Nähe und das passiert mir nicht oft bei Menschen. Vielleicht bin ich irgendwann bereit, mehr aus mir herauszukommen. Gerade als ich die Tür des Schuppens öffnen will, höre ich Stimmen von drinnen. Liv scheint bei Yuna zu sein und auf sie einzureden. „Ich will dich einfach nur daran erinnern, was du mir versprochen hast", höre ich Liv mit Nachdruck sagen, wie so oft klingt sie wie die Lehrerin, die sie normalerweise ist. „Und ich kann dir nur wieder sagen, sie ist langweilig und noch ein Kind. Dir sollte klar sein, dass ich niemanden cool finde, der nicht mal gegen ein Holzbrett schlagen kann", erwidert Yuna und klingt dabei extrem genervt und herablassend. Mein Arm sinkt von allein und ein unangenehmes Gefühl zieht durch meinen Bauch. Sie findet mich immer noch langweilig. Ich bin ein Kind für sie. Ich blicke auf das Wasser in meiner Hand und schmeiße es kurzerhand auf den Boden. Mir hätte klar sein müssen, dass die Freunde meines Bruders in mir nur seine kleine nervige Schwester sehen können. Ich gehöre nicht zu ihnen und in mir spüre ich schreckliches Heimweh. Mit schnellen Schritten laufe ich ins Haus und an Etienne vorbei, der mich dazu anregen will, gegen ihn Schach zu spielen. Ich brauche jetzt Musik in meinen Ohren und Ruhe vor der Welt. Es ist gut gewesen, dass ich mich niemandem hier geöffnet habe, denn es hat keiner verdient. Mir wird klar, dass Yuna vermutlich die ganze Zeit nur mit mir gespielt hat, weil ich unerfahren bin und sie so ihren Spaß mit mir haben konnte. Das Schlimmste ist, dass ihre Masche mich voll und ganz eingenommen hat und ich gestern kurz wirklich darüber nachgedacht habe, sie zu küssen. Ich komme mir vor wie ein absoluter Vollidiot, ab jetzt werde ich mich anders verhalten.

My hardest riseWhere stories live. Discover now