Kapitel 14

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Die nächsten Aufgaben lösen wir alle recht schnell und schaffen es sogar, Liv und Alex einzuholen. Ich bin erleichtert, dass Yuna ebenso wenig wie ich über das Klettern reden will. Ich kann immer noch nicht wirklich glauben, dass ich es wieder gemacht habe. Genauso wenig kann ich glauben, dass Yuna Höhenangst hat und das scheinbar niemand von den anderen weiß. Umso erstaunlicher finde ich es mittlerweile, dass sie am ersten Abend einfach so mit mir von der Klippe gesprungen ist. Es muss eine echte Überwindung für sie gewesen sein und irgendwie habe ich dadurch echt Respekt vor ihr. Sie ist wesentlich netter zu mir in den letzten Stunden und ich merke, dass ich ihre Anwesenheit auch nicht mehr so unangenehm finde. Sie redet nicht mehr von oben herab, sondern wie mit allen anderen und ich merke, dass sie einen ziemlich coolen Humor hat. Mehrmals bringt sie mich zum Lachen während der Aufgaben und ich komme etwas mehr aus mir heraus. Als es bereits Mittag ist, kommen wir einen Tick früher als die anderen an der letzten Station an. Kyle wartet hier bereits auf uns, ist aber in ein Gespräch mit Ashley vertieft. Es ist ein großer Parcours, der aus zwei verschiedenen Etappen besteht. Die erste hat viel mit Kraft und Schnelligkeit zu tun, weshalb ich direkt weiß, dass ich sie nicht übernehmen muss.

Yuna grinst nur über meinen Gesichtsausdruck und meint: „Keine Angst, ich will genauso wenig irgendwelche Rätsel lösen." Der zweite Teil des Parcours scheint tatsächlich mehr mit Denken als Sport zu tun zu haben, was mich sehr erleichtert. Wir lesen uns die Regeln durch und stellen uns dann schnell an unsere Positionen. Erst wenn der erste Partner den Sportteil des Parcours durchlaufen hat, kann der zweite starten. Am Ende des zweiten Teils soll dann der Preis zu finden sein. Wir haben echt gute Chancen, weil Liv und Alex erst gerade ankommen und den Umschlag öffnen. Yuna hält mir ihre Hand hin und grinst: „Kriegen wir das hin, Helena?" Ich lächele darüber, dass sie meinen richtigen Namen verwendet und erwidere den Handschlag. „Ja, Sagi-Shi." Vorhin habe ich kurz heimlich gegoogelt, was Hochstapler auf japanisch heißt, um ihr auch einen Spitznamen geben zu können. Ihre Augen weiten sich erstaunt und sie grinst breit. Dann schüttelt sie den Kopf lachend und schubst mich leicht: „Los, mach dich ab." Also nehme ich meine Position ein und warte auf das Startsignal meines Bruders. Weil er ein Arsch ist, wartet er, bis auch Liv und Alex bereitstehen und pfeift erst dann. Yuna und Liv treten gegeneinander im sportlichen Teil des Parcours an und schnell übernimmt Yuna die Führung. Sie sieht beim Überqueren der Hindernisse so elegant aus, ich könnte es mir stundenlang ansehen. Liv gibt zwar ihr bestes, aber sie ist Yunas Schnelligkeit nichts gewachsen. Ich grinse Alex zu und meine: „Eins zu Null für uns." Er wackelt mit seinen Augenbrauen und erwidert: „Freu dich nicht zu früh." Ich stelle mich bereit und kaum hat Yuna meine Hand abgeschlagen, laufe ich los. Das erste Rätsel ist schlichte Mathematik und ich schaffe es recht schnell zu lösen. Allerdings ist Alex dabei noch besser als ich und holt den Rückstand der Beiden schnell ein. Als ich das zweite Rätsel ansehe, muss ich breit grinsen und liebe meinen Bruder ausnahmsweise. Es geht tatsächlich darum Musikstücke ihren Künstlern zuzuordnen, was mir ausgezeichnet liegt. Ich bin blitzschnell fertig und schaffe es vor Alex auf die Empore zum Preis zu laufen. Ich höre Yuna von hinten jubeln und spüre, dass es mich glücklich machen würde, mit ihr zusammen zu gewinnen. Das letzte Hindernis vor dem Preis ist ein breites, relativ dünnes Holzbrett. Ich sehe es an und weiß nicht wirklich, was ich damit anfangen soll. „Zerschlag es!", höre ich Yuna rufen und mein Blick fällt auf meine Hand. Das Brett ist zwar nicht dick, aber es wird sicherlich nicht mit einem Schlag zu zertrennen sein. Vor allem, weil ich absolut keine Kraft oder Technik besitze. Meine Hand beginnt zu zittern und ich muss daran denken, wie lange ich schon für meine Aufnahmeprüfung übe. Ich kann nicht riskieren, dass meine Hand verletzt wird, sie ist das wichtigste an meinem Körper. Mit einer Verletzung könnte ich meinen Traum vergessen, das kann ich nicht riskieren. „Worauf wartest du?", höre ich Yuna rufen, doch ich blende sie für einen Moment aus. Ich sehe nur das Brett vor mir und sehe die raue Oberfläche, die meine Fingerknöchel brechen könnte. Selbst als Alex neben mir auftaucht, kann ich mich nicht rühren, obwohl Yuna noch immer auf mich einredet. Alex holt, ohne nachzudenken, aus und boxt mehrmals fest gegen das Holzbrett. Seine Fingerknöchel beginnen zu bluten, doch gleichzeitig knackt auch das Holz und er schafft es, hindurch zu greifen. Jubelnd reißt er eine kleine Statue eines Biebers in die Luft und ich höre den Pfiff meines Bruders. „Die Gewinner der diesjährigen Olympiade sind Liv und Alex!", verkündet er, doch ich bekomme es kaum mit. Ich sehe zu Yuna, die neben Liv und Alex steht, die sich freudig umarmen. Sie schaut mich wütend und enttäuscht an und hebt fragend die Arme. Ich seufze, weiß nicht, was ich sagen soll und entfliehe deshalb aus der Situation. Schnell laufe ich an den anderen vorbei und lasse Yuna einfach stehen.

POV Yuna

„Wer hätte gedacht, dass wir so scheiße sind?", meint Etienne lachend und Mika grinst verschmitzt, während er mit Liv und Alex anstößt. Wir sitzen alle auf der Terrasse und trinken etwas, während Kyle erklärt, was er sich bei den Aufgaben gedacht hat. Ich habe, seit wir sitzen, kein Wort gesagt, weil ich einfach nur genervt bin. Wir hätten die Olympiade gewinnen müssen, ich verstehe beim besten Willen nicht, warum Helena einfach aufgegeben hat. Dabei hatte ich kurz gedacht, dass sie gar nicht so langweilig ist, wie Kyle immer erzählt hat. Eigentlich hat es sogar Spaß gemacht, mit ihr die Aufgaben zu lösen. Sie ist ziemlich intelligent und war etwas offener als vorher, sodass ich sehen konnte, dass sie lustig sein kann. Ich rechne es ihr hoch an, dass sie bei der Kletteraufgabe so rücksichtsvoll mit meiner Angst umgegangen ist, doch die letzte Aktion hat alles wieder kaputt gemacht. Ich habe im Parcours alles gegeben und hätte wenigstens erwartet, dass sie es versucht. In Wahrheit bin ich vermutlich nicht wütend, weil wir nicht gewonnen haben, sondern weil sie mich hängen gelassen hat. Helena sagt ebenfalls nichts, während wir hier sitzen und schaut nur gelegentlich auf. Wenn sie mich ansieht, bekommt sie meine Wut wohl oder übel zu spüren, das kann ich schlecht verstecken. Vermutlich geht sie meinem Blick deshalb gekonnt aus dem Weg und wirkt noch mehr in sich gekehrt als sonst. „Nächstes Jahr habt ihr vielleicht eine Chance", stichelt Liv mich, doch ich verdrehe nur die Augen. „Vielleicht habe ich dann jemandem im Team, der sich nicht zu schade ist, sich die Hände schmutzig zu machen", murmele ich und sehe, wie Helena kurz zusammenzuckt. Liv wirft mir einen warnenden Blick zu, während Kyle nur lacht und das Gespräch direkt wieder mit einer Anekdote aus den letzten Jahren an sich reißt. Ich kratze am Etikett der Glasflasche in meinen Händen herum und versuche, einfach nicht mehr über den Tag nachzudenken. Nach einer Weile geht Liv rein, um das Essen vorzubereiten und Helena folgt ihr direkt. Die Gruppe löst sich etwas auf, weil jeder sich frisch machen will.

Ich gehe ein Stück über die Wiese und betrachte den See, als Alex mir nachkommt. Er stellt sich zu mir und meint: „Sei nicht so hart zu Helena." Ich verdrehe die Augen, weil mir klar war, dass er sie verteidigen würde. „Sorry, aber da sie Ashley 2.0 ist, muss sie damit leben", erwidere ich und trinke einen Schluck aus meiner Flasche. Er kratzt sich über den Hinterkopf, seit letztem Jahr hat er einiges an Muskeln zugelegt. Vermutlich hängt Liv deswegen dieses Jahr so an ihm und flirtet ständig mit ihm. „Helena ist nicht wie Ashley", sagt er, nachdem er sich geräuspert hat. Ich zucke die Achseln: „Wenn es darum geht, spießig zu sein, schon." Er schmunzelt und stellt sich vor mich, um mir seine Hand zu zeigen. Er trägt einige Pflaster auf seinen geschwollenen Fingerknöcheln, die er sich bei der Olympiade verletzt hat. „Ich würde auch besser auf meine Hände aufpassen, wenn sie so magisch wären wie Helenas", sagt er, sieht mir kurz vielsagend in die Augen und lässt mich dann stehen. Stirnrunzelnd sehe ich ihm hinterher und habe keine Ahnung, was er mir sagen will. Was ist an ihren Händen so besonders? Ich betrachte meine Hände, die unter dem heutigen Tag auch ziemlich gelitten haben. Sie sind mir ziemlich egal, schließlich sind sie durch meinen Job abgehärtet. Ich schüttele den Kopf und versuche einfach den Tag zu vergessen.

Warum soll ich mir mehr Gedanken darüber machen, wenn Helena mir sowieso egal ist?

My hardest riseDonde viven las historias. Descúbrelo ahora