Kapitel 49

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POV Helena

Am nächsten Morgen frühstücke ich mit Quinn und Liv und spaziere danach mit den Beiden und Alex durch den Wald. Es ist ein warmer Morgen und die Vögel zwitschern angenehm. Alex und Liv sind die meiste Zeit miteinander beschäftigt, sodass Quinn und ich in Ruhe reden können. „Worauf stehst du bei Mädchen am meisten?", fragt sie mich und ich muss leicht lachen. „Ist das jetzt dein Ernst?", frage ich und sie nickt grinsend. Mal davon abgesehen, dass ich vor Yuna nie ein Mädchen toll fand, habe ich keine Ahnung, was mich an ihr so anzieht. Vielleicht ist es ihr Lächeln oder die Art, wie sie mich ansieht. Vielleicht ist es aber auch einfach ihr cooles Auftreten, das mich jedes Mal wieder aufs Neue beeindruckt. Vielleicht sind es ihre braunen Augen und ihre rauen Hände, die meine ausnahmsweise sanfter wirken lassen. Mit Sicherheit ist es ihre Stimme, wenn sie mir etwas ins Ohr flüstert oder wenn sie lacht. „Erde an Helena?", sagt Quinn amüsiert, weil sie bemerkt hat, wie sehr ich in Gedanken bin. „Was willst du jetzt hören? Dass ich auf Ärsche stehe?", frage ich und Quinn muss sofort lachen. „Gut zu wissen, wie findest du meinen?", fragt sie und läuft demonstrativ vor mir her. Lachend schubse ich sie weg und schüttele den Kopf: „Idiot."

Als wir beim Haus ankommen, sind die anderen alle wach und trinken Kaffee auf der Terrasse. Etienne und Kyle spielen bereits mit einem Football und haben dabei beide kein Oberteil an, weil es schon jetzt locker zwanzig Grad sind. Quinn setzt sich direkt zu Ashley, mit der sie sich schon gestern länger unterhalten hat. Ich laufe erstmal ins Haus, um mir ein Wasser zu holen, komme jedoch nicht bis zur Küche. Eine Hand packt meinen Arm und ich werde in den Flur gezogen. Ich erkenne direkt Yunas Duft und fühle mich sofort wohl. „Hey", sagt sie lächelnd und stemmt ihre Hände neben mir gegen die Wand. Sie trägt eine kurze Sporthose und ein leichtes Shirt, das ein Stück ihres Bauches offenbart. „Hey", sage ich zurück und betrachte für einen Moment die Schrammen an ihrem Unterarm. Sie hat sie mir gestern gezeigt, doch ich war nicht in der Verfassung, etwas dazu zu sagen. Es passt zu ihr, dass ihr so etwas gar nichts ausmacht. Sie beugt sich dichter zu mir und haucht mir einen Kuss auf den Hals: „Ich habe dich vermisst." Ich winde mich leicht, weil ich Gänsehaut bekomme, muss aber auch lächeln. Es bedeutet mir viel, wenn sie so süß ist und ausnahmsweise ihre weiche Seite zeigt. Sie löst sich wieder ein Stück von mir und grinst leicht. Als ich ihr in die Augen sehe, muss ich sofort an gestern denken und vor meinen Augen verschwimmen ihre Gesichtszüge mit denen ihres Bruders. Ich versuche die Gedanken zu verdrängen, bekomme es aber einfach nicht hin. Als sie sich wieder zu mir beugt und ihre Lippen meine berühren, verkrampfen meine Muskeln und mein Herz rast. Erinnerungen an die Hände des Jungen schießen in meinen Kopf und als mich Finger an meinem Bauch berühren, handelt mein Körper wie von selbst. Mit einem Ruck schiebe ich Yuna von mir weg und presse: „Fass mich nicht an." Für eine Sekunde sehe ich nur ihn vor mir und spüre schreckliche Angst in mir. Dann erkenne ich Yuna wieder und blicke in Augen, die sichtlich verwirrt sind. Sie runzelt die Stirn und hält ihre Hände vorsichtig vor sich, um wohl zu zeigen, dass sie nichts tun wird.

„Was geht hier ab?", ertönt eine Stimme neben uns und lässt mich zusammenzucken. Es ist mein Bruder, dessen Blick zwischen mir und Yuna hin und her schweift. Ich fahre mir übers Gesicht und murmele: „Nichts, alles gut." Yuna würdigt meinen Bruder keines Blickes und sieht noch immer mich voller Besorgnis im Blick an. Natürlich versteht sie mein Verhalten nicht, wie sollte sie auch. Ich verstehe es im Grunde selbst gar nicht. Sie ist nicht ihr Bruder und sie würde mich nie zu irgendetwas drängen. Mein Herz klopft mir trotzdem noch bis zum Hals und Kyle scheint das genau sehen zu können. „Sicher?", fragt er deshalb und Yuna meint direkt: „Lass mal, Kyle." Wie zu erwarten, lässt mein Bruder trotzdem nicht locker, weil sein Beschützerinstinkt mal wieder die Oberhand hat. Er stellt sich demonstrativ vor mich und sieht Yuna warnend an: „Was hast du gemacht?" Unschuldig hebt sie ihre Hände und wirkt etwas sauer: „Gar nichts. Sie ist kein kleines Kind, lass sie für sich selbst sprechen." Damit hat sie Recht, doch ausnahmsweise finde ich es ganz gut, dass Kyle mich beschützt. Ich bin nicht bereit, mein Verhalten zu erklären und will einfach nur aus der Situation heraus. Obwohl ich weiß, dass es scheiße von mir ist, greife ich nach Kyles Arm und bringe ihn dazu, mich anzusehen. „Kann ich mit euch spielen?", frage ich und er mustert mich noch einen Moment und nickt dann. Yuna schaut mich verwirrt und leicht enttäuscht an, was ich zu gut verstehen kann. Ich wünschte, ich könnte ihr zeigen, dass sie keine Schuld an meinem Verhalten hat, aber wie sollte ich. Also folge ich Kyle nach draußen und lasse Yuna stehen, obwohl sie es nicht verdient hat. Auf dem Weg nach draußen, fragt mich mein Bruder was los war, doch ich zucke nur die Achseln. „Sie hat mich nur geärgert, es war nicht schlimm", beschwichtige ich ihn und er nimmt es so hin. Vermutlich glaubt er mir nicht, doch es ist mir egal, solange er es auf sich beruhen lässt. Leider muss ich wohl oder übel mit ihm und Etienne Football spielen, obwohl ich keine Lust zu habe. Liv und Ashley schließen sich uns zumindest an, sodass es wenigstens etwas Spaß macht. Ich schaffe es, Yuna bis zum Mittag aus dem Weg zu gehen. Ich weiß, dass sie mich nicht zum Reden zwingen kann, solange ich jemanden um mich herum habe, sodass ich mich einfach bei den anderen aufhalte. Es ist unfair, was ich mit ihr mache, doch ich kann ihr schlecht sagen, dass ihr Bruder mich damals versucht hat zu vergewaltigen. Vielleicht sollte ich ihr einfach sagen, dass ich nicht bereit bin, mit jemandem zusammen zu sein. Ich glaube sowieso nicht daran, dass Yuna eine Beziehung mit mir haben möchte. Nach diesem Sommer werden sich unsere Wege bestimmt trennen, dann kann ich es auch jetzt schon beenden.

My hardest riseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt