Kapitel 20

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„Der See ist ein paar hundert Meter da runter, die Klamotten schmeißen wir dann einfach in den Kofferraum", meint Kyle und alle stimmen gleich zu. Also machen wir uns auf den Weg über einen Trampelpfad zum See, wobei mir immer übler zumute wird. Ich will mich nicht vor den anderen ausziehen, aber meine Klamotten sind viel zu schmutzig, um sie anzulassen. Kaum sind wir am Ufer angelangt, ziehen sich alle aus und springen ins erfrischende Wasser. Ich ziehe zögerlich meine Hose und meine Schuhe aus, doch gehe dann mit dem Oberteil ins Wasser. Ich versuche es sauber zu bekommen, doch letztendlich ist es nur nass und dreckig. Also ziehe ich es mir doch aus und schmeiße es ans Land, hier im Wasser kann erstmal niemand meinen Rücken sehen. Ich bin ziemlich erleichtert, dass ich heute passende Unterwäsche trage, die zum Glück dunkelblau und nicht weiß ist. Der Dreck aus meinen Haaren ist unmöglich durch den See herauszubekommen, also gebe ich es irgendwann auf. Einige der anderen steigen wieder aus dem Wasser und kramen ihre dreckigen Klamotten zusammen. Ich werde wohl einfach als letztes rausgehen und dann ganz hinten laufen. Allerdings wird mir dieser Plan dadurch versaut, dass Kyle und Ashley nochmal weiter raus schwimmen. „Kommst du?", fragt Yuna mich, die bereits draußen steht und tatsächlich als einzige ein Handtuch dabei hat. Was würde ich dafür geben, dieses Handtuch um mich zu legen auf dem Weg zum Auto. Ich schwimme zum Rand und schaue nochmal zu Kyle und Ashley, die jedoch nur mit sich selbst beschäftigt sind und weit genug von mir entfernt. Also laufe ich ans Ufer und versuche, halbwegs selbstbewusst dabei auszusehen. Tatsächlich hatte ich früher nie Probleme mit meinem Körper und war eigentlich sogar relativ selbstbewusst. Ich habe von Natur aus einen gewissen Teint, um den Quinn mich immer beneidet und obwohl ich kaum Sport treibe, habe ich keine schlechte Figur. Seit ich jedoch meine Narbe habe, ist alles anders und ich würde am liebsten immer einen Pulli tragen. Ich bleibe unschlüssig am Rand des Sees stehen und betrachte meine Klamotten, die natürlich hinter den anderen liegen. Ich müsste durch sie durchgehen und jeder würde meinen Rücken sehen. Nach einigen Sekunden spüre ich einen Blick auf mir und schaue Yuna an, die mich ungeniert mustert. Als sie merkt, dass ich sie dabei erwischt habe, grinst sie nur und fragt: „Willst du da jetzt noch lange stehen?" Ich versuche irgendwie zu lächeln, doch meine Wangenknochen sind etwas zu verkrampft dafür. Ich fühle mich unwohl und will wirklich ungern erklären müssen, warum ich nicht zu meinen Sachen laufe. Yuna scheint zu merken, dass etwas mit mir nicht stimmt, denn ihr Blick wird fragend. Darüber zu reden, ist noch schlimmer, als nur gesehen zu werden, denke ich mir. Also schlucke ich und gehe langsam auf meine Sachen zu. Die anderen sind relativ beschäftigt, vielleicht habe ich Glück und es achtet niemand auf mich. Als ich jedoch gerade mal an Yuna vorbei bin, meint Alex: „Ey Leni, was wünscht du dir denn jetzt zum Essen?" Sofort sehen mich alle gespannt an und ich merke, wie mir das Blut in die Wangen schießt. Das darf jetzt nicht wahr sein, wie angewurzelt bleibe ich stehen und mein Herz rast. „Ähm", stottere ich und mein Kopf setzt völlig aus. Ich spüre Livs Blick auf mir, der mir sicherlich ansieht, dass ich kurz vorm Nervenzusammenbruch bin. „Das verrät sie nur ihrer Fahrerin", ertönt eine Stimme hinter mir und im nächsten Moment spüre ich, wie mir ein Handtuch um die Schultern gelegt wird. „Damit meine Heldin nicht friert", fügt Yuna hinzu und läuft dann an mir vorbei zu meinen Klamotten. Die anderen lachen über ihre Geste und machen sich auf den Weg Richtung Auto. Erleichterung durchströmt mich, nachdem ich raus aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit bin und ich ziehe das Handtuch fest um meinen Körper. Als Yuna zu mir kommt und mir meine Klamotten reicht, spüre ich eine Welle der Dankbarkeit in mir. In ihren Augen kann ich erkennen, dass sie meinen Rücken gesehen hat und geahnt hat, was mir zu schaffen macht. Dass sie nichts dazu sagt, sondern mir einfach so hilft, berührt mich unglaublich. Ich habe sie möglicherweise wirklich unterschätzt, hielt ich sie bis jetzt doch für ziemlich kühl und distanziert. Tränen steigen in meine Augen, weil mich lange niemand auf diese Weise unterstützt hat und ohne darüber nachzudenken, schlinge ich meine Arme um Yuna. Ich vergrabe meinen Kopf in ihrer Halsbeuge und muss mich zusammenreißen, um nicht zu weinen. Yunas Körper spannt sich kurz überrascht an, doch dann legt sie ihre Arme sanft um mich und streicht mit ihrer Hand kurz über meinen Hinterkopf. Für einen Moment fühle ich mich sicher, nehme einfach ihren Duft nach Parfum und etwas süßem Wasser in mich auf und genieße ihre Körperwärme. Dann fällt mir jedoch auf, dass wir beide nur Unterwäsche anhaben und ihre nackte Haut mich an einigen Stellen berührt. Sofort versteift sich mein Körper wieder und ich weiche ein Stück zurück. Ich lächele schief und schnappe mir schnell meine Klamotten aus ihren Händen, um dann möglichst schnell hinter den anderen herzulaufen.

POV Yuna

Ich muss leicht lächeln, als ich Helena hinterhersehe, während sie hinter den anderen herläuft. Sie ist wirklich einmalig und auf gewisse Weise fasziniert sie mich. Sie gerade in meinen Armen zu halten, hat sich irgendwie genau richtig angefühlt, ein Teil von mir würde sie gerne immer beschützen. Als ich gerade über das nachdenken will, das ich auf ihrem Rücken gesehen habe, kommen Kyle und Ashley zu mir gelaufen. „Von wegen du hast an ein Handtuch gedacht", witzelt Kyle, streicht sich seine blonden Strähnen aus der Stirn und mustert mich kurz extra intensiv. Ich verdrehe lachend die Augen und ignoriere Ashley, die mir einen warnenden Blick zuwirft. Ich würde ihr am liebsten sagen, dass ich absolut niemals Interesse an Kyle haben könnte, doch vermutlich würde sie mir nicht glauben. „Hab es wohl doch vergessen, aber ich habe nicht vergessen, dass du ein Loser bist", stichele ich gegen Kyle, der sofort darauf eingeht. Wir machen den ganzen Weg zum Auto Späße und irgendwann stimmt sogar Ashley mit ein und macht sich über ihn lustig. Auf der Fahrt nach Hause hören wir laut Musik und singen absolut schief mit. Genau dafür liebe ich die Sommer hier am See, weil es pure Freiheit bedeutet, mit diesen Idioten unterwegs zu sein.

My hardest riseWhere stories live. Discover now