Kapitel 23

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Als die Sonne bereits untergegangen ist, setzen wir uns ans Feuer und Mika erzählt eine Geschichte, die ihm mal von einem Eingeborenen auf einer Insel erzählt wurde. Wir hören alle gebannt zu, weil er echt ein Talent dafür hat, Leute in seinen Bann zu ziehen. Als er am Ende seiner Geschichte Etienne halb zu Tode erschreckt, indem er ihn aus dem Nichts in den Nacken greift, müssen wir alle lachen. Sogar Ashley erzählt danach eine Geschichte und zugegeben ist sie wirklich lustig. Man kann spüren, dass unsere Gruppe langsam mehr zusammenwächst, was sich auch bei Liv und Alex zeigt, die dicht beieinander auf einer Bank sitzen und miteinander kuscheln. Alex hat seinen Arm um sie gelegt und streicht hin und wieder über ihren Arm, was mich zum Lächeln bringt. Ich würde mich freuen, wenn er eine Freundin bekommen würde und noch mehr, wenn es Liv wäre. Sie ist im Grunde eh schon Teil unserer Familie und ich mag sie durch die letzten Tage noch mehr als vorher. Immer wenn ich mich kurz unwohl fühle, schenkt sie mir ein warmes Lächeln oder einen kurzen Schulterklopfer, der mir hilft.

Als das Feuer nahezu ausgeht, melde ich mich freiwillig, um neues Holz zu holen. „Ich schulde dir wohl noch etwas fürs letzte Mal", meint Yuna direkt und steht auf, um mich zu begleiten. Ich schmunzele leicht und gemeinsam laufen wir über die dunkle Wiese. Als wir außer Hörweite der anderen sind, räuspert Yuna sich und fragt dann: „Kann ich dich was fragen?" Ich mustere sie kurz von der Seite und kann mir schon denken, was jetzt kommen wird. Also nicke ich nur und versuche, mich innerlich darauf vorzubereiten, mir irgendetwas auszudenken. „Würdest du eher eine Meerjungfrau oder ein Zentaur sein?", fragt sie und ich bin so verdutzt, dass ich lachen muss. „Bitte was?", bringe ich nur heraus und bin unglaublich erleichtert, dass sie nichts über meine Narbe wissen will. „Wir haben vorhin darüber geredet. Alex und ich sind Team Zentaur, Liv und Etienne wären lieber Meerjungfrauen, was sagst du?", sagt sie und lächelt neugierig. Ich überlege kurz und sage dann: „Ich könnte niemals durchgängig im Wasser leben." Während wir beim Holz ankommen, grinst Yuna und zwinkert mir zu: „Wir sind also ein Team." Schmunzelnd nehme ich ein Stück Holz, doch als ich das zweite greifen will, rutscht es mir aus der Hand. Ich drehe mich, doch Yuna kommt mir zuvor und fängt es lässig auf. Als sie sich aufrichtet, ist sie mir mit einem Mal viel näher und ihr Duft nach Flieder kommt mir entgegen. Ich schaue auf in ihre Augen und sehe darin einen Schimmer, der mich förmlich anzieht. Sie hält mir das Stück Holz vor die Brust, viel mehr würde auch nicht zwischen uns passen und flüstert grinsend: „Du bist immer noch ungeschickt." Ich mustere ihr Gesicht und muss leicht lächeln, ihre Lippen sehen so voll und weich aus. Ich würde wirklich gerne wissen, wie sie sich anfühlen. „Gut, dass du da bist", hauche ich und Yunas Blick fällt auch auf meine Lippen. Mein Herz klopft höher und für einen Moment denke ich darüber nach, sie zu mir zu ziehen. Sie stemmt ihren Arm hinter mir gegen das Holz und flüstert mir zu: „Ich weiß langsam genau, warum dein Bruder dich immer vor uns versteckt hat." Ich bekomme Gänsehaut in meinem Nacken und mein Puls steigt nochmal an. Sie kommt mir langsam näher und die Spannung zwischen uns ist kaum auszuhalten, doch dann muss ich plötzlich an meinen Bruder denken. Auch wenn er viel Schrott redet, er scheint Gefühle für Yuna zu haben und das kann mir nicht einfach egal sein. Schnell greife ich nach dem Holzstück und entwische dann unter Yunas Arm. Ich atme einmal tief durch und gehe dann, um einen kühlen Kopf bewahren zu können. Ich spüre förmlich Yunas Schmunzeln in meinem Rücken, doch sie folgt mir kurz darauf mit ein paar Holzstücken und erzählt mir vom letzten Jahr, als wäre gerade gar nichts passiert. Ich bin ihr ziemlich dankbar dafür und komme nicht umher, ihr Selbstbewusstsein zu bewundern. Es scheint ihr gar nichts auszumachen, dass ich sie gerade abgewiesen habe. Vielleicht hatte sie auch gar nicht vor, mich zu küssen, rede ich mir ein. Es ist schließlich nicht so, dass ich etwas an mir hätte, dass sie wirklich reizen könnte. Trotz meines Einsatzes beim Quad fahren wird sie mich wohl immer noch für relativ langweilig halten. „Und daran liegt es, dass wir nicht mehr allein Holz holen dürfen", beendet Yuna ihre Erzählung von dem Waschbärenangriff auf Etienne, der ihn bis heute verfolgt. Ich lache über ihre detaillierten Ausführungen von Etiennes Angstzuständen und selbiger scheint sofort zu merken, worüber ich lache als wir bei ihm ankommen. „Du bist ein Arschloch, weißt du das?", sagt Etienne zu Yuna, die daraufhin nur lachend das Holz ablegt und sich auf den Schoß ihres Freundes fallen lässt. „Du armer kleiner Angsthase", neckt sie ihn und wuschelt durch seine dunklen Haare. Ich lächele über die Beiden und lasse mich dann neben Alex nieder, der zum ersten Mal, seit wir hier sind seine Gitarre in den Händen hält. Er lächelt mich an und meint: „Singst du mit mir?" Ich verziehe leicht mein Gesicht, obwohl ich früher immer gerne mit ihm gesungen und gespielt habe. Wir haben uns immer gut ergänzt und waren auf besondere Art und Weise miteinander verbunden durch die Musik. Sein Blick erweicht mein Herz, sodass ich schließlich nachgebe und nicke. Sofort grinst er breit, denkt kurz nach und spielt dann einen Akkord. Schnell erkenne ich The A Team von Ed Sheeran und nachdem Alex eine Zeile gesungen hat, stimme ich mit ein. Alex konnte noch nie wirklich gut singen, doch das macht er mit seinem Enthusiasmus wett. Ich schaue in das knisternde Feuer, das unseren Gesang untermalt und genieße die Klänge der Gitarre. Es erinnert mich an früher und an eine Zeit, in die ich mich manchmal zurückwünsche. Wir sind alle so schnell erwachsen geworden und ich habe gemerkt, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Als Kyle anfängt mitzusingen, muss ich automatisch lächeln, weil er das wirklich lange nicht mehr getan hat. Früher hat er sich oft zu mir gesetzt, wenn ich gespielt habe und hat sich meistens eigene Texte zu den Melodien ausgedacht. Seit er ungefähr siebzehn war, ist er jedoch zu cool dafür und hat meine Musik meistens als etwas Langweiliges abgetan. Auch Liv singt mit und Etienne schwängt sein Feuerzug hin und her, während Mika im Takt gegen die Bank trommelt. Es ist richtig schön und rahmt den heutigen Tag perfekt ein.

Zum ersten Mal gehe ich nicht als erstes ins Bett, sondern bleibe mit Yuna, Liv und Alex noch länger sitzen. Wir reden über Gott und die Welt, lauschen den Klängen von Alex Gitarre und genießen die ruhige Nachtluft.

My hardest riseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt