Kapitel 48

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POV Yuna

„Wir brauchen Bieeer!", grölt Etienne als wir zur Terrasse kommen und uns wieder Klamotten überziehen. Er verteilt an alle Getränke und wird dabei von Quinn unterstützt.

Helena sitzt auf der Bank und ich nutze den freien Platz neben ihr, um mich niederzulassen. „Guck mal", sag ich zu ihr und zeige ihr meinen Unterarm, der von ein paar Schrammen gezeichnet ist. Ich bin bei einem Versuch, schnell aus dem Wasser zu kommen, an einigen Holzsplittern hängengeblieben. Helena betrachtet meinen Arm und verzieht leicht das Gesicht. Als sie nichts sagt, meine ich: „Alles gut?" Ich frage mich, wie sie damit klar kommt, wieder geklettert zu sein. Sie wirkte vorhin ziemlich glücklich, doch jetzt habe ich das Gefühl, sie ist wieder verschlossen. Sie nickt nur stumm und betrachtet noch immer nachdenklich meinen Unterarm. „Heilst du meine Wunden mit deinem Blick oder darf ich meinen Arm wiederhaben?", frage ich leicht grinsend und bewirke, dass Helena mal wieder rot wird. Sie sieht zu mir auf, lächelt schief und wendet sich dann wieder ihrer Flasche Becks Ice zu. Ich mustere sie nachdenklich und frage mich, was mit ihr los ist. Ich würde gerne mit ihr reden, doch ich weiß, dass wir dazu allein sein müssten. „Spielen wir nach dem Essen zusammen?", fragt Alex, als er sich neben Helena setzt und sie nickt stumm. Quinn scheint etwas begeisterter von der Idee zu sein und erzählt mir direkt von einigen Malen, bei denen die drei schon zusammen gespielt haben. Ich höre ihr zu und lächele hin und wieder, doch mein Kopf ist nicht richtig anwesend. Helena wirkt abwesend und distanziert und das macht mir Sorgen. Als die anderen zum Essen kommen, werde ich abgelenkt und beteilige mich etwas mehr am Gespräch. Helena rückt nur einige Male hin und her, redet aber noch weniger als sonst. Hin und wieder versuche ich, sie zum Lachen zu bringen, doch es funktioniert nicht wirklich. Eindeutig hat sie etwas auf dem Herzen, doch ich weiß nicht, wie ich sie unauffällig danach fragen soll.

Als nach dem Essen alle erstmal ihren eigenen Dingen nachgehen, nutze ich die Chance und folge Helena nach oben. Bevor sie in ihrem Zimmer verschwinden kann, halte ich sie am Handgelenk fest. Sie zuckt leicht zusammen und sieht mich dann nur kurz an. „Können wir reden?", frage ich und versuche ihr in die Augen zu sehen, doch sie meidet den Blickkontakt. Sie kratzt sich an ihrem Hinterkopf und murmelt: „Wieso? Es ist doch alles gut." Ich runzele die Stirn und frage: „Sicher? Du siehst nicht so gut aus." Kurz schaut Helena auf und wirkt leicht nervös. So unsicher habe ich sie sicherlich seit Wochen nicht mehr erlebt und ich verstehe nicht, woher es plötzlich kommt. „Hey, du kannst mir vertrauen", versuche ich sie aus der Reserve zu holen und greife mit meinem Zeigefinger nach ihrem. Sie lässt es zu, scheint sich aber noch immer nicht wohl zu fühlen. „Ich will nur etwas allein sein", murmelt sie und sieht mir für einen Moment in die Augen. Der traurige Ausdruck in ihren macht es mir schwer, ihren Wunsch zu erfüllen, doch schließlich nicke ich. „Okay, ich bin unten, wenn du mich brauchst", sage ich und sie nickt sofort. Ich lächele nochmal schief und stupse ihr gegen ihr Kinn, was ihr zumindest ein kleines Lächeln entlockt. Vielleicht braucht sie wirklich nur einen Moment für sich, das kann ich ihr wohl nicht vorwerfen. Auch später am Lagerfeuer widerstehe ich dem Drang, nochmal mit Helena zu reden und lasse ihr ihren Freiraum. Sie wird schon zu mir kommen, wenn sie mit mir reden möchte.

Als wir alle ins Wohnzimmer gehen und Quinn ihre Geige holt, wird Helenas Laune sichtbar besser und es erleichtert mich. Die drei zusammen spielen zu hören ist wunderschön und man sieht auch Alex an, dass er es genießt. Er animiert uns, mitzusingen und Mika schnappt sich eine Box, um darauf mit zu trommeln. Es ist ein schöner Abend und wie immer könnte ich Helena ewig beim Klavier spielen zusehen. Sie ist voll in ihrem Element und verzaubert uns alle. Quinns Geige macht den Klang noch perfekter und ausnahmsweise kann ich mir vorstellen, dass klassische Konzerte tatsächlich was Cooles sein können. Wir sitzen bis spät in die Nacht alle zusammen und reden über die Schulzeit und die Uni. Irgendwann gehen Quinn und Helena ins Bett, dicht gefolgt von Alex und Mika. „Jetzt sind es nur noch zwei Wochen", sagt Kyle leicht deprimiert und stochert mit einem Stock in der Glut des Feuers. Ich nicke nachdenklich und muss wieder daran denken, dass ich nicht weiß, wie es nach dem Sommer weiter gehen soll. Ich will Helena nicht aus meinem Leben missen, ich will sie am liebsten immer um mich herum haben. Auch ich weiß aber, dass das nicht so einfach ist. Mal davon abgesehen, dass sie sich vor ihrer Familie outen müsste, wird sie nach dem Sommer bestimmt weit weg ziehen zum Studieren. Ich werde die nächsten zwei Wochen einfach in vollen Zügen genießen und nicht an die Zukunft denken. Im Grunde war ich darin sowieso immer am besten. Wäre Quinn nicht da, hätte ich versucht nochmal mit Helena zu reden, doch so kann ich wohl auch nur ins Bett gehen. Vielleicht ist morgen wieder alles gut und ich habe mir ganz umsonst Sorgen gemacht.

My hardest riseWhere stories live. Discover now