Kapitel 32

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Liv schickt uns alle nach draußen, um in Ruhe zu kochen und den Tisch zu dekorieren. Die meisten der anderen gehen direkt schwimmen, während ich mich auf die Wiese setze und nochmal das Stück für Yuna im Kopf durchgehe. Sie kann mit ihrem Verband ebenfalls nicht schwimmen gehen, sitzt aber am Steg und lässt ihre Beine ins Wasser baumeln. Der heutige Tag hat bisher echt Spaß gemacht und das liegt sicherlich auch an ihrer Anwesenheit. Ich hätte vorher wirklich nicht erwartet, dass ich hier auch nur einen Tag lang Spaß haben könnte. „Ist es nicht verrückt, wie schnell man sich aneinander gewöhnt?", reißt Ashleys Stimme mich aus meinen Gedanken. Sie kniet sich neben mich und beobachtet einen Moment lang die anderen im Wasser mit mir. Ich nicke nachdenklich und bin überrascht, von ihr so etwas zu hören. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich die Umgebung hier mal schön statt eklig finden würde", sagt Ashley und ich muss unwillkürlich lachen. Dann nicke ich und stimme ihr zu: „Ich habe auch nicht erwartet, dass es mir gefällt." Sie grinst leicht und es ist der erste Moment, in dem ich nicht das Gefühl habe, dass sie anstrengend ist. Als sie mich fragt, ob ich eine Runde Halma gegen sie spiele, weiß ich nicht, warum ich nein sagen sollte. Also spielen wir und erstaunlicherweise macht es wirklich Spaß. Ashley ist eine wahre Strategin und es ist eine Herausforderung, gegen sie zu spielen. Als mein Bruder aus dem Wasser zu uns kommt und Ashley fragt, ob sie mit rein möchte, schüttelt sie den Kopf und sagt: „Lass die Erwachsenen jetzt mal in Ruhe." Ich muss breit grinsen und schließlich sogar lachen, als ich den verdutzten Gesichtsausdruck meines Bruders sehe. Vielleicht muss man manchmal einem Menschen doch mehr als eine Chance geben und nicht immer auf den ersten Eindruck vertrauen. Ich freue mich, dass Ashley ihre Stimme gefunden hat und hoffentlich nicht weiter nur meinem Bruder nachjagt. „Er wird sehen, was er an dir hat", sage ich, als Kyle wieder weg ist. Ashley lächelt kurz, wirkt dann aber leicht niedergeschlagen. Sie schaut an mir vorbei in Richtung Steg und murmelt: „Ich habe nicht, was sie hat." Als ich mich umdrehe und ihrem Blick folge, erkenne ich, dass sie Yuna damit meint. Sie und Kyle ärgern sich gegenseitig und sie lacht ein wundervolles Lachen, das die Schmetterlinge in meinem Bauch nur so fliegen lässt. Ich bin echt ein hoffnungsloser Fall. Schnell schaue ich wieder auf das Spielbrett und versuche meine Gedanken zu verbergen. „Sie scheint ein Magnet für Familie Lewis zu sein", murmelt Ashley und ich laufe sofort rot an, weil sie mich scheinbar komplett durchschaut. Verlegen versuche ich irgendwelche Worte zu finden, bin dafür aber einfach zu perplex. Ashley lächelt leicht und macht den nächsten Zug mit ihrem Püppchen. „Ich sage es niemandem, keine Angst", sagt sie und es erleichtert mich etwas. Trotzdem fühle ich mich ertappt, weil ich nicht damit gerechnet hätte, dass jemandem auffällt, wie gut ich Yuna finde. Normalerweise bin ich gut darin, meine Gedanken und Gefühle vor anderen zu verstecken. Andererseits wird Ashley Yuna vermutlich häufig beobachtet haben und mich dadurch in ihrer Nähe auch. Ich räuspere mich leicht und gehe selber einen Zug mit meiner Figur. „Was denkst du zaubert Liv in der Küche?", frage ich, um abzulenken und bin erleichtert, dass Ashley direkt darauf eingeht.

POV Yuna

„Ey nicht schummeln", ermahnt Liv mich, als ich fast über die Stufe aus dem Haus stolpere, weil sie mir die Augen zuhält. „Es wäre nett, wenn du mich nicht vor meinem 27. Geburtstag noch umbringst", sage ich, doch ich höre förmlich, wie sie nur grinst und mich weiter vor sich herschiebt. Als sie ihre Hände von meinen Augen nimmt, erkenne ich einen wunderschön gedeckten Tisch mit allen möglichen Gerichten, die meinen Magen direkt knurren lassen. Ich musste oben im Zimmer locker eine Stunde warten, weil Liv mit den anderen alles vorbereiten wollte. Sie ist eine echte Perfektionistin, doch es kann sich auch sehen lassen. Überall auf der Terrasse hat sie Lichterketten aufgehängt und in einer Wanne schwimmen Getränke zusammen mit Eiswürfeln im Wasser. Die anderen sitzen bereits am Tisch und Liv drückt mir sofort einen Cocktail in meine gesunde Hand. Ich grinse und proste ihr zu: „Auf einen unvergesslichen Abend." Sofort erwidert Liv mein Grinsen und stößt mit mir an. Die anderen trinken ebenfalls von ihren Getränken und warten dann ungeduldig darauf, dass ich mich setze, um mit dem Essen anfangen zu können. Mein Platz ist wie am ersten Abend neben Helena, doch heute gefällt mir das viel mehr als damals. Sie lächelt mich schüchtern an, als ich mich zu ihr setze und zeigt auf das kleine Gebäckstück auf meinem Teller. Jeder hat so eins als kleine Vorspeise auf seinem Teller liegen, es sieht wirklich niedlich aus. „Ich habe vorhin eins geklaut, die sind so gut", flüstert Helena mir zu und ich muss schmunzeln. „Es sieht wirklich toll aus", sage ich an Liv gewandt und alle stimmen mir zu. „Jaja", meint unsere Mutti nur und klatscht dann in die Hände, „los, ich habe Hunger." Alle lachen und beginnen, sich alle möglichen Leckereien auf die Teller zu häufen. Es ist ein wahres Festmahl und ich liebe Liv dafür, dass sie ein solches Talent zumKochen hat. Die Sonne steht bereits recht tief, weil es locker schon acht ist. Laut Kyle ist es also höchste Zeit, etwas zu trinken und er holt für jeden nach, sobald ein Glas leer ist. Ich trinke zusammen mit Helena einen Cocktail, den Kyle ihr wohl zu ihrem 16. das erste Mal zubereitet hat und seitdem ihr Lieblingsdrink ist. Ich probiere ihn wagemutig und Helena schaut mich ganz gespannt an. Auch die anderen beobachten meine Reaktion und Mika witzelt: „Passt auf, gleich wird sie so bleich wie Helena nach der Achterbahn." Alle müssen lachen und Helena wirft mit einem ihrer Holzspieße nach Mika. Sie ist viel offener als zu Beginn des Urlaubs und es gefällt mir wirklich gut. Ich grinse und halte ihre Hand fest, um sie daran zu hindern, noch mehr Gegenstände auf Mika zu werfen. „Er schmeckt sehr gut", sage ich und sofort lächelt Helena breit. Kyle lehnt sichin seinem Stuhl zurück und schiebt sich noch eine letzte Krokette in den Mund: „Sag ich ja." Wir anderen sind alle schon so vollgefressen, dass wir nichts mehr herunterbekommen. Wir konnten Liv einstimmig aufhalten, als sie anfangen wollte, den Tisch abzuräumen. Ashley und Etienne haben sich schnell freiwillig gemeldet und einiges reingebracht, um Livs Nerven zu beruhigen. Wir spielen ein Trinkspiel, bei dem wir erfahren, dass Ashley mal etwas mit einem verheirateten Mann hatte, ohne es zu wissen. Etienne beichtet seinen One-Night-Stand mit dem Sohn unseres Direktors und ich muss wie immer mit Kyle gemeinsam trinken, wenn es darum geht, wer am häufigsten eine billige Nummer mit einer Frau abgezogen hat. Dabei trifft Helenas Blick mich kurz und ich sehe für einen Moment in ihren Augen den Anflug von etwas, was wie Angst aussieht.

My hardest riseWhere stories live. Discover now