33 - Stillschweigend (+Nominierung)

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Die Ruhe war ein einziger Albtraum, wie sich im Laufe der nächsten Tage herausstellte. Sie sprachen vielleicht zwei Sätze pro Tag und mit der Zeit wurden alle anderen Geräusche immer lauter. Das Rauschen des Ozeans dröhnte in ihren Ohren, der kräftige Wind blies wie ein Orkan daher, während die Klospülung so laut war wie ein Wasserfall.

Stille bedeutete schreiende Gedanken, was diese Zeit zu Aleas persönlicher Hölle machte. Zweifel krochen immerzu in ihr herauf und versuchten, sie mit ihren dünnen tödlichen Fingern zu Boden zu drücken. Existierte der Silberumhang vielleicht gar nicht mehr? Würde sich kein Meerkind ihnen anschließen wollen? Würde Nelani Keblarr niemals finden? Würde Orion sie im Schlaf schnappen?
Die Nachtwachen waren das Schlimmste. Nie wusste man, ob nicht doch schon ein Helikopter im Anflug war oder sie im nächsten Moment vermummte Taucher von Hinten packen würden. So viel ging durch ihren Kopf, doch leider gab es keine Ablenkung. Alles, was sie machen könnten, wäre zu laut, damit zu gefährlich. Alltägliche Erledigungen wie Wäsche waschen, Putzen, Steuern oder Essen zubereiten, waren die einzigen Dinge, die sie machen konnten.

Alea sortierte gerade ihre Kleidung und sehnte sich an den Meeresgrund zurück, da packten sie plötzlich zwei Arme von hinten und sie wurde aufs Bett gezogen. Lennox saß neben ihr. Er lächelte. Aleas Herz schlug schneller. So nah waren sie sich seit Tagen nicht mehr gewesen. Bei all dem Trubel und dem ungewohnten Tagesablauf hatten sie nie Zeit für Zweisamkeit gehabt. Immer waren sie aneinander vorbei gerauscht.
Behutsam legte Lennox das Handtuch mit dem Skorpionfisch auf Tess' Bett über ihnen und setzte sich anschließend wieder nah neben Alea. Langsam legte er seinen Arm um ihre Schulter. Die Berührung war zart und vorsichtig, sodass Alea die Wärme in die Wangen stieg. Ebenso langsam legte sie ihren Kopf auf seine Brust, damit sie ihm auch wieder nah sein konnte. Selbst so eine kleine Umarmung war eine wahre Wohltat für ihren unruhigen Geist.
Sie spürte Lennox' Herz schlagen, schnell und euphorisch wie ihr eigenes. Angespannt und doch so wohlig atmete sie seinen Duft nach Wärme Weite und Wasser ein. Lennox drückte sie behutsam noch ein Stück näher an sich heran.

Alea konnte spüren, wie erleichtert und froh er war, sie endlich wieder in seinen Armen zu halten. Die letzten Tage waren hart gewesen, volle Gefahr. Er musste schreckliche Angst um sie gehabt haben. Auf dem Weg ins Krankenhaus, während der Flucht zurück zur Crucis und bei jedem von Orions Angriffen. Er als Oblivion müsste wahrscheinlich so viel mehr Schmerz und Sorgen empfinden als sie selbst, denn in ihrem Elvarion-Modus verspürte sie keine Angst. Ihr Geist war immer klar wie Wasser.
Diesen Vorteil hatte sie im Gegensatz zu all den anderen, wie ihr nun erst bewusst wurde.

Lennox' andere Hand riss sie aus ihren Gedanken zurück in die liebliche Blase, in der sie sich im Moment mit dem Jungen neben ihr befand.
Seine Finger glitten zart über ihre Wange und zeichneten ihre Gesichtszüge nach. Jede einzelne seiner Berührungen waren wie kleine Stromschübe auf ihrer Haut.

Doch auch sie blieb nicht still. Ihre Hand wanderte langsam seinen Oberkörper hinauf, strich über seine Arme, die wie immer von seiner abgewetzten Lederjacke bedeckt waren. Bei seinen weichen dunklen Haaren stoppte sie. Vom kräftigen Wind an Deck waren sie ganz zerzaust und kleine Knoten hatten sich darin gebildet. Doch das machte weder ihr noch ihm etwas aus.
Ihr Gesicht kam, ganz von allein, seinem immer näher, bis sich ihre Lippen zu einem Kuss vereinten. Er war lang, intensiv und durch die sonst so unheimlich Stille war das Gefühl stärker als je zuvor. Flammen entbrannten in ihrem Körper, aus einem Funken, der schon viel zu lange klein und schwach gewesen war.

Mit jeder Sekunde verstummten die lauten Gedanken in ihrem Inneren mehr und mehr. Seine Berührungen beruhigten sie und ließen sie immer und immer höher in dieser magischen Blase steigen.
Ihr Zeitgefühl hatte Alea schon längst vergessen. Es könnten nur zwei Minuten vergangen sein, oder auch schon zwei Stunden. Um ehrlich zu sein war es ihr auch egal. Sie wusste und wollte nur eins: Diesen Moment wollte sie in ihrem Leben nie vergessen.

Alea Aquarius - Die Magie der SchwesternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt