40 - Anthea

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(An diesem Punkt möchte ich übrigens noch einmal anmerken, dass ich mich nicht nach den Altersangaben aus dem Buch richte. Hier sind meine ungefähren Altersgruppen:
Alea: 13-16, Tess: 14-16, Lennox: 15-17, Ben: 18-22, Sammy: 8-10)


Geschockt starrte Alea das Mädchen an, das ihr wie aus dem Gesicht geschnitten war. Tiara. Anthea. Sie waren dieselbe Person. Die Flaschenpost wurde nicht von irgendeinem Meermädchen geöffnet, sie hatte zu ihrer Zwillingsschwester gefunden!
Zwar hatte sie immer vermutet, dass das Schicksal sie zu einem Meermenschen bringen würde, doch ausgerechnet Anthea? Das war selbst für das Schicksal ein gigantischer Zufall.

Wie in Zeitlupe sackte Alea an Lennox Seite, doch auch er schien so überwältigt, dass er sie nicht richtig stützen konnte, er taumelte ein Stück zur Seite.
Für geraume Sekunden waren sie wie vor Schreck erstarrt. Alea musste erst einmal wieder zu sich kommen, bevor sie ihre Schwester genauer betrachtete.
Anthea -oder doch Tiara?- hatte wie sie selbst lange dunkle Haare, obwohl die Haare ihrer Schwester noch ein wenig länger zu sein schienen. Auch ihre Augen waren klargrün und ihre Haut sehr blass, trotz der Sonne hier in Spanien.
Die Kleidung, die sie trug, war angesagt, viele Mädchen in ihrer Klasse hatten einen ähnlichen Stil. Dazu bedeckten Bikerhandschuhe die Raffnarben zwischen ihren Fingern, sodass die Fingerspitzen freiblieben. Genauso wie Alea es auch schon ihr Leben lang getan hatte.

Es dauerte, bis Alea überhaupt begriff, dass sie dort wirklich ihre Schwester vor sich stehen hatte. Anthea, ihre Zwillingsschwester. Leibhaftig.
Als befürchtete sie, dass es sich doch nur um eine Halluzination, einer Fata Morgana oder so etwas in der Art handelte, musste sie blinzeln. Immer und immer wieder.

Erst eine Ewigkeit später – oder auch nur wenige Sekunden danach – wurde ihre Starre unterbrochen. Eine laute Stimme erklang in der Nähe, Schritte kamen näher. Diese Schritte zogen sie wieder zurück aus ihrer Trance, als würde ihr Kopf aus dem stillen Wasser zurück an die Oberfläche zu den kreischenden Möwen gezogen.

Auch Anthea löste ihren Blickkontakt und die Starre, die ihren Körper ebenfalls erfasst hatte, löste sich. Benommen, immer noch nicht ganz im Hier und Jetzt, drehte sie ihren Kopf zur Seite, der Stimme entgegen. Es war eine helle weibliche Stimme, etwas kratzig, wie bei vielen Spaniern. Sie sprach sehr schnell und die Geschwindigkeit ihrer Worte nahm mit der ihrer Schritte zu.
Schon kam das Mädchen, dem die Stimme gehörte, in die schmale Gasse, wo es abrupt stehenblieb und verstummte.

Tiara...", fragte es entgeistert und blickte zwischen Alea und Anthea hin und her. „¿Quién...?" Sprachlos über die beiden Zwillinge verfiel auch das fremde Mädchen, bei dem es sich vermutlich um Tiaras Freundin handelte, ins Schweigen.

Alea erfasste das Mädchen mit einem Blick. Blasse Haut und lange, blonde Locken, die zu einem hohen Zopf gebunden waren. Anstatt von angesagten Klamotten wie bei Anthea eine lange schwarze Cargohose, ein violettes Top und Sneaker. Keine Handschuhe. Keine Raffnarben. Weder für Schwimmhäute noch für Kiemen. Dafür aber hypnotisierende blauviolette Augen, die auf jeden Fall nicht landgängerischen Ursprungs waren. Wahrscheinlich ein Halbling wie Lennox.
Alea vermutete, dass ihre Schwester – sollte sie Anthea oder Tiara sagen? – allen möglichen Leuten die Nachricht gezeigt hat und dabei dieses Mädchen die Einzige gewesen war, die das Hajara lesen konnte. Gleich zwei Meermenschen auf einmal. Wieder so ein Zufall.
Auf jeden Fall Schicksal, erwiderte jedoch die leise Stimme von Sammy in ihrem Kopf.

Lennox brach das Schweigen.

„Schön, dich kennenzulernen."

Alea hätte alles erwartet, aber nicht so etwas. Ein Satz, der die gesamte Situation lächerlich runterspielte. Als wäre Anthea einfach eine unbedeutende Person, der sie gerade begegnet waren und nicht das Mädchen, das Alea ihr halbes Leben lang vermisst hatte. Oder zumindest die ganzen letzten Wochen.
Im nächsten Moment erst realisierte sie, dass Lennox dazu auch noch Hajara gesprochen hatte. Dasselbe schien auch das fremde Mädchen zu begreifen, da sie sich verblüfft an den Kopf fasste, wohl überwältigt von der Sprache, die sie zuvor zwar gelesen, aber nie gehört hatte. Im Gegensatz dazu schien Anthea die Sprache schon gewöhnt zu sein, denn sie verzog diesbezüglich keine Miene. Ähnlich wie Tess hatte sie eine Art Pokerface aufgesetzt, einen kühlen, leicht mürrischen und sonst undurchschaubaren Gesichtsausdruck.

¿Quién sois?", rief plötzlich das Mädchen, fast wütend auf Spanisch.
¿Y por qué yo puedo entender esta lengua?" Alea konnte sich denken, was es sie fragte. Warum es Hajara verstehen konnte. Wer sie überhaupt waren. Für Alea war das gut nachzuvollziehen. Auch ihr gesamtes Leben hatte sie gedacht, halbwegs normal zu sein, ein normaler Mensch. Und dann passierte etwas, das alles durcheinanderbrachte und man zweifelte diesen Fakt plötzlich stark an.

Esos son los chicos que me han mandado el mensaje en la botella", schien Anthea zu erklären, wieder auf Spanisch. „Pero... no eres Ben, verdad? Tienes una voz diferente!", meinte sie dann und schaute zu Lennox, anscheinend hatte sie ihn gerade etwas gefragt. Alea konnte sich keinen Reim darauf machen, doch er schien sich denken zu können, was Anthea wissen wollte.

„Ich bin Lennox", stellte er sich vor, wieder zurück auf Hajara, was sie alle verstanden. Auch, wenn es einige von ihnen noch nicht begreifen konnten.
„Ben ist gerade nicht da, aber er sollte bald zurückkommen."

„Es... gibt noch... mehr von euch?", fragte das Mädchen stockend, da es sich erst an die Wassersprache gewöhnen musste. „Ich bin übrigens Elena", fügte es noch hinzu, diesmal etwas flüssiger.

„Wir sind insgesamt fünf", meldete sich nun Alea zu Wort. „Lennox, Ben, Tess, Sammy und ich. Alea."

Das war wohl der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Stürmisch redeten Elena und Anthea gleichzeitig auf sie und Lennox ein, auf Deutsch, Spanisch, Hajara, Englisch und vielleicht noch ein oder zwei weiteren Sprachen.

Sie mussten die beiden erst einmal bremsen, bis man überhaupt etwas verstehen konnte.

„Wer zum Teufel bist du, und warum sehen wir gleich aus?", platzte Anthea nun heraus und zeigte mit dem schwarz lackierten Fingernagel ihres Zeigefingers drohend auf Aleas Brust.

„Wie ihr Spiegelbild", meinte auch Elena.

Alea begriff dabei, dass die seltsame Silberfadenvision mit ihrem Spiegelbild gar keine solche war. Tatsächlich war es der Moment eben gewesen, bei dem sie Anthea getroffen hatte, den sie fälschlicherweise für ihr Spiegelbild gehalten hatte.

Als der Finger ihrer Schwester sie allerdings fast berührte, als diese mit funkelnden Augen immer näherkam, schob sie diese Erkenntnis vorerst beiseite. Abwehrend hob sie die Hände.

„Ist ja gut! Ich erzähle es euch doch."

Anthea wich wieder zurück, was Alea etwas beruhigte. Ihre Schwester schien richtig impulsiv zu sein! Ganz anders als sie selbst.

„Also, Anthea...", begann sie, wurde aber sofort von dieser unterbrochen.

„Nenn mich nicht so! Mein Name ist Tiara Garcia, verstanden?"

Alea nickte hastig. Zum Glück blieb die Frage, woher sie diesen Namen überhaupt kannte, erst einmal aus.

„Also, Tiara. Ich sehe dir so ähnlich, da wir Zwillingsschwestern sind."

Alea Aquarius - Die Magie der SchwesternWhere stories live. Discover now