58 - Überraschung bei Nacht

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Es musste mitten in der Nacht sein, als Alea einen Schrei vernahm. Sie fuhr innerhalb von Sekunden hoch, war aufgestanden und hatte sich ihre Schuhe übergezogen, als jemand an Bord wild auf die Planken trat. Sie warf einen flüchtigen Blick auf ihre Armbanduhr, und als Tess neben ihr vom Bett sprang, realisierte sie, dass es noch die erste Wache war – der Schrei kam von ihrer Schwester.

Alea stürmte in Todesangst nach draußen, im Salon stieß sie beinahe mit Ben und Sammy zusammen. Ein Schatten huschte nur noch durch die Tür, das war Lennox gewesen.
Sie wechselten einen kurzen Blick, dann stürzten sie an Deck.

Dort bot sich ein erschreckendes Bild. Erst wurden sie von dem hellen Scheinwerfer geblendet, dann sahen sie zwei vermummte Männer, die auf der Crucis waren. Es waren Taucher. Beim genauen Hinsehen war sich Alea sicher, dass es sich dabei um Landgänger handeln musste. Keiner von ihnen hatte die nachtschwarze Haut der Darkoner, und weder Jinx noch Blakkarsson konnten es vom Körperbau her sein. Als Alea sich nach ihrer Schwester umsah, musste sie entsetzt feststellen, dass diese hinter dem Deckshäuschen von einem dritten Taucher festgehalten wurde. Er hatte sie an seinen Körper gepresst und seinen Arm eng um ihre Kehle gelegt. Er musste davon ausgehen, dass es Alea war. Wahrscheinlich kannte er nur grobe Fotos oder Beschreibungen.

Ben war das auch aufgefallen, er packte Alea plötzlich am Arm und zog sie hastig wieder unter Deck.

„Schließ dich im Badezimmer ein und sei leise!", wies er sie an. „Falls Orion noch nichts von Tiara weiß, sollte das auch so bleiben! Womöglich ist er auf der Suche nach ihr, um sie als Druckmittel zu benutzen und verschwendet so seine Zeit. Warte hier."

Das war viel leichter gesagt als getan. Obwohl Aleas Elvarion-Modus – nach einiger Verzögerung nach dem Aufwachen – hochgefahren war, kämpfte sie innerlich mit sich selbst. Sie wollte ihrer Schwester helfen! Was, wenn sie gebraucht wurde?

Trotzdem besann sie sich und folgte dem Befehl ihres Skippers. Sie schlich so leise wie möglich ins Badezimmer und drehte den Schlüssel um. So, dass der Schlüssel jedem das Sichtfeld verdeckte, der durch das Loch blicken wollte. Unschlüssig setzte sie sich auf den Klodeckel und wartete. Oben hörte sie Schritte, Tritte und Schläge. Hoffentlich hatten die beiden Taucher sie wirklich nicht gesehen, in den zwei Sekunden, in denen sie an Deck gewesen war. Zum Glück waren sie genug mit Lennox beschäftigt gewesen, der sie hatte angreifen wollen.
Alea grub ihre Fingernägel in ihr Bein, rieb unruhig über ihre Oberschenkel. Es waren drei Männer gewesen, voraussichtlich unbewaffnet. Es stand so gut wie außer Frage, dass diese Leute Teil von Orions Armee waren. Welcher Taucher würde sonst nachts ein unsichtbares Schiff hochklettern und ein Mädchen angreifen? Gegen drei Leute konnten die fünf gut etwas ausrichten. Zumindest hoffte Alea das. Sollten die Männer bewaffnet sein, stand es nicht gut für die Cru...

Die Minuten vergingen und Alea wurde nervöser. Sie zwang sich, nicht aufzustehen und durch das kleine Zimmer zu gehen. Immer und immer wieder grub sie ihre Finger in die Haare, ihre Beine, ihr Nachthemd. Dann wurde es leiser. Ruhige Stimmen erklangen und Alea meinte, ein Platschen zu hören, als würde jemand ins Wasser springen. Wie vom Blitz getroffen stand sie auf.

Als sie vorsichtig zur Tür ging, quietschte die Tür des Salons und mehrere Personen kamen unter Deck. Beruhigt stellte sie fest, dass es die Alpha Cru war. Sie drehte den Schlüssel um und stürzte nach draußen.

Sie blickte in erschöpfte Gesichter. Auf den ersten Blick schien es ihnen aber gut zu gehen. Sammy war unversehrt, Tiara rieb sich über ihren Nacken, Tess zitterte und war wie eingesunken und Lennox hatte Nasenbluten. Es schien, als hätte er ein paar deftige Schläge abbekommen.

„Geht es euch gut?", hakte Alea dennoch nach.

Lennox nickte nasenrümpfend, während Sammy ihm ein paar Taschentücher besorgte. Tess erwiderte nichts, sie ließ sich nur seufzend auf Lennox Schlafsofa nieder und vergrub das Gesicht in ihren Händen. Sogar Tiara hatte dieses Mal keine bissige Antwort parat. Alea ging zu ihr und legte besorgt ihre Arme um ihre Schultern.

„Alles in Ordnung?" Sie blickte ihrer Schwester in die Augen, doch sie mied ihren Blick. Irritiert stellte Alea fest, dass kleine Leuchtpunkte über den Rand ihrer Iris tanzten, wie ein Ring, der langsam zerbröckelte. Die kleinen Leuchtpunkte verglühten und fielen in ihre Pupille hinein. Ob das der Elvarion-Modus war, der bei ihrer Schwester abebbte? Womöglich konnten Walwanderer in der Tränenflüssigkeit sogar solche starken Gefühle und Zustände wie den Klargeist-Effekt sehen.

Tiara stöhnte. „Nichts ist in Ordnung. Dieser Mistkerl hat mir einen riesigen Schrecken eingejagt, als er plötzlich neben mir aufgetaucht ist und mich kidnappen wollte!" Sie löste sich aus Aleas Griff und ließ sich auf ihrer eigenen Schlafcouch nieder. Fluchend grub sie sich die Finger tief in ihre Haare.

„Ich habe die Typen vergessen lassen und habe sie zurückgeschickt", informierte Lennox sie. Er tupfte sich das Blut vom Gesicht, schien aber kein großes Interesse daran zu haben, es gründlich loszuwerden. Er drückte Alea kurz. „Mach dir keine Sorgen, es ist nichts passiert. Ben fährt uns gerade einen neuen Kurs entlang, damit wir den Typen ausweichen."

„War das alles?", wollte Alea wissen.

„Wie meinst du das, Schneewittchen?", mischte sich jetzt auch Sammy ein.

„Ich meine, der Angriff war zwar überraschend, aber im Vergleich zu dem Rest, den wir durchgemacht haben, war es nichts. Das waren nur ein paar Landgänger, nichts weiter. Leute, die man schnell wieder vergessen lassen kann. Ich kann es eigentlich nicht fassen, dass sie es uns dieses Mal so leicht machen."

„Ach Quatsch", meinte da Tiara und setzte sich auf. „Ich sag doch, die stellen sich einfach blöd an. Wahrscheinlich sind sie hier überall mit kleinen Booten und Tauchern, die nach uns suchen. Die sind zwar nicht so effektiv wie Hubschrauber, aber auch nicht so laut und auffällig. Dieser Doktor hat bestimmt einfach nicht genug Leute, und muss Landgänger für so etwas einstellen. Die Meermenschen würden doch eh an dem Virus sterben."

„Aber Orion hat ein Gegenmittel!", wandte Alea ein, doch Tiara wiegelte das nur kopfschüttelnd ab.

„Mach dir mal keine Sorgen. Der Typ ist vielleicht ein Genie, aber manchmal hat er einfach Pech. Blöd für ihn, wenn er schwache Leute einstellt, die unser persönlicher Bodyguard einfach erledigen kann." Sie nickte Lennox zu. Dann ging sie ins Badezimmer.

Aber in Aleas Magen blieb ein flaues Gefühl zurück. Etwas wollten sie machen, etwas war geschehen, von dem sie nichts wusste. Etwas war anders, aber sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was es sein könnte.

Alea Aquarius - Die Magie der SchwesternWhere stories live. Discover now