4- Gefahr

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Sollte sie vielleicht probehalber jetzt schon eine Finde-Finja rufen?
„Finde-Finja!", rief Alea auf Hajara in die Tiefen des Ozeans. Schall verbreitete sich unter Wasser schneller, als in der Luft, ihr Ruf würde weit ins Meer reichen. Sie wartete und wartete, aber keine Finja kam. Panik stieg in Alea auf und automatisch setzte ihre Elvarion Stärke ein. Im Kopf ging sie alle Möglichkeiten durch. Weiter nach einer Finja rufen. An die Oberfläche schwimmen und nach der Hercules suchen. Am Meeresboden nach Magischen suchen. Im absoluten Notfall Zavana Ravanda schicken, das S.O.S. der Walwanderer. Sofort entschied sie sich gegen Letzteres. Sie befand sich ja nicht wirklich in Lebensgefahr und sie wollte sich gar nicht vorstellen, was die Magischen wohl von ihr denken würden, Alea Aquarius, die Elvarion aus der Legende, schickte Zavana Ravanda, weil sie sich verschwommen hatte!
In rasendem Tempo schoss Alea an die Oberfläche. Dort war das Meer unruhig, dunkle Wolken am Horizont kündigten ein Gewitter an. Mist! Nirgendwo war die Crucis zu sehen. Oder das Beiboot. Hätte sie doch nur Lennox mitgenommen! Alea bereute diese Entscheidung nun bitter.
Keinerlei Seezeichen, Bojen oder Sonstiges hätten ihr verraten können, wo sie war. Mit einem dicken Kloß im Hals tauchte Alea ab. Am Meeresboden versuchte sie irgendeinen Magischen zu finden. Egal ob Gilf, Kobold oder Nixe, einfach jemanden, der ihr irgendwie helfen konnte. Zwischendurch rief sie immer wieder nach einer Finja, doch nie kam eine. Zum Glück begegneten ihr auch keine Wale, das hätte gerade noch gefehlt! Abermals tauchte Alea auf. Die Sonne stand hoch am Himmel, sie musste schon mehrere Stunden unterwegs sein. Garantiert war Lennox auch schon losgeschwommen, oh nein, vielleicht fand er auch nicht mehr zurück! Jetzt musste sie aber in erster Linie wieder selbst zurückfinden. Unter Wasser begegneten ihr aber nur Schlick, Algen und haufenweise Müll, der Ärmelkanal war alles andere als sauber.
Alea war schon wieder ein Stück weitergeschwommen, da hörte sie plötzlich ein Wummern. Oder eine tiefe Stimme. Sie wandte den Kopf, und senkte ihn sofort wieder. Ein Tasfar, ein geflügeltes Seepferd war direkt vor, ihr! Rosafarbene Tupfen stoben um ihn herum, er war ihr wohl gesinnt.
„Alea Aquarius, ich bin hier, um dir zu sagen", sprach er mit tiefer Bassstimme.
„Du wirst es wagen, denn dein Feind ist in Not, du musst ihm helfen, willst du bezwingen den Tod. Nur so wird die Zeitenwende geschehen, dieser Feind wird dich als Freund ansehen. Retten wird nur er dich bald aus der Gefahr, du musst mir glauben, denn bald wird's wahr."
Damit wandte sich der Tasfar ab, drehte sich um und breitete die Schwingflossen aus. Als Alea den Kopf hob, sah sie nur noch den gebogenen Schwanz des Seepferds, wie er in der Dunkelheit verschwand. Alea war ganz aufgewühlt von den Worten des Tasfars, sie versuchte, sich jedes einzelne einzuprägen.
Wie auf ein Kommando regte sich hinter Alea plötzlich etwas. Sie hörte, wie der Sand leicht aufgewühlt wurde und ein leichtes Blubbern war zu hören.
Rasch drehte Alea den Kopf und sah, wie ein paar Skorpionfische ein Nachrichtensäule enttarnten. Weiße Strahlen waren um die Fische herum, kurz darauf hatte sie das Wort Offenbaren im Kopf. Wie ferngesteuert schwamm Alea darauf zu und tippte gegen eine der drei Seiten. Dann erschrak sie fürchterlich. Der kalte, leere Blick eines toten Fischs schaute ihr entgegen. Darunter stand:

In der Meerenge zwischen Frankreich und England hat sich eine Zone ohne Sauerstoff ausgebreitet. Den Durchgang unbedingt vermeiden!

Alea ging dieser Satz durch Mark und Bein. Sofort wusste sie, was der Tasfar gemeint hatte und verzweifelt rief sie ein weiteres Mal nach einer Finde-Finja. Ein Wunder, diesmal kam eine. Eine pfirsichfarbene mit kleinen grünen Punkten am Körper. Das kleine Korallenkrakenbäumchen wedelte abwesend mit seinen unzähligen Armen, auf denen unzählige Augen waren. Trotzdem zirpte es: „Ich bin gekommen." Alea rief sich in Gedanken, was das Sachbuch über Finde-Finjas, das sie gefunden hatte, noch mal beschrieben hatte, wie man einer Finja begegnete. Obwohl sie es ziemlich eilig hatte, wollte sie es sich zu Herzen nehmen. „Hallo", begrüßte sie das magische Wesen auf Hajara. „Ich bin Alea Aquarius, Tochter der Nelani und des Keblarr, Elvarion der letzten Generation. Wie heißt du?" Die Finja riss mindestens einhundert ihrer Augen auf, als sie erkannte, wen sie da vor sich hatte. Ihren Namen zu nennen, war auch ein Vorteil, denn wenn Alea ihnen erzählte, wer sie war, dann beantworteten die Finden-Finjas ihr sogar Fragen, was sie sonst nie taten!
„Ich bin Finni Laurini", stellte sich die Finja vor. „Du bist wirklich Alea Aquarius? Die Alea Aquarius?" Alea lächelte verlegen. Sie hatte noch kaum etwas für die Meere getan, naja, sie hatte mit Hilfe von Gilfen dieses Ölleck verschlossen, aber sonst... Eigentlich verdiente sie diesen großen Respekt von den Magischen noch nicht.
„Was kann ich für dich finden?", fragte die Finja aufgeregt. Sie wollte nun unbedingt etwas für sie finden, nichts liebten Finjas mehr als das. Und wenn sie schon einer so wichtigen Person wie Alea Aquarius helfen konnten...
Alea überlegte kurz. „Bitte finde meinen Freund Lennox. Er ist entweder im Meer oder auf meinem getarnten Schiff, der Crucis."
Die Finde-Finja wedelte sofort mit den Astärmchen, sie verfiel in die sogenannte Übermittlungsstarre. Dann sagte sie „Folge mir" und zog ihre Ärmchen über ihren Kopf zusammen, die einen Rotations-Rasant-Beschleuniger bildeten. Wie die Rotorblätter eines Hubschraubers drehte sich Finni Laurini nun und Alea schwamm ihr nach.

Sie düsten ein ganzes Stück dahin, anscheinend hatte Alea sich immer weiter von der Crucis entfernt. Schließlich stießen sie auf einen überrumpelten Lennox, der in Neoprenanzug, Schwimmflossen und Taucherflasche den Meeresboden abzusuchen schien. Als er Alea sah, schwamm er auf sie zu und umarmte sie. Sein Mundstück fiel heraus und er rief: „Alea! Ich hab mir solche Sorgen gemacht! Wo bist du nur gewesen?"
Alea war aber zu sehr außer Atem, um zu antworten. Die Strecke war lang gewesen und Finjas waren unglaublich schnell. Angestrengt sog sie Wasser durch ihre Kiemen. Dann löste sie sich aus Lennox' Griff und wandte sich an die Finde- Finja. Finni Laurini wedelte immer noch aufgeregt mit den Ärmchen und sagte: „Ich habe gefunden, was du gesucht hast, Alea Aquarius. Kann ich noch etwas für dich finden?" Es klang mehr nach einer Bitte, als nach einer Frage. „Bitte finde unser Schiff, die Crucis für uns!", bat Alea, als sie wieder zu Atem gekommen war. „Folge mir", klingelte sie auch schon, nachdem sie kurz gebrütet hatte. Lennox und Alea hatte Mühe, der schnellen Finja zu folgen, aber diesmal dauerte es nicht so lange und bald stießen sie auf die HerculesH Hercules. „Ich habe gefunden, was du gesucht hast", verkündete Finni Laurini und klingelte freudig. „Ich bin eine Finde-Finja, ich finde", sprach sie die rituellen Worte. Alea erwiderte: „Ich bin eine Walwanderin. Ich habe gesucht und du hast gefunden"
Gerne hätte sie noch, wie im Buch empfohlen, ein Lied für die Finja gesungen, doch die Zeit drängte. Finni Laurini wandte sich ab. Lennox schickte ihr noch ein „Danke" hinterher.
Rasch erklommen sie die Sprossen der Crucis. Oben angekommen fiel Sammy ihr auch schon froh um den Hals. „Schneewittchen! Wo bist du gewesen, wir haben uns schon Sorgen gemacht!"
Ben kam hinzu, gefolgt von einer kreidebleichen Tess. „Im Ärmelkanal hat sich eine Todeszone ausgebreitet, sie wurde durch Düngerabfälle von einer Fabrik in Plymouth ausgelöst, die mit Düngemitteln experimentiert. Wir hatten Angst, dass du geradewegs hineinschwimmst."
Todeszone. Das Wort hallte unaufhaltsam in Aleas Kopf wider. So nannte man also Gebiete ohne Sauerstoff! Alea schluckte, kam aber gleich zur Sache.
„Ich glaube Cassaras ist in großer Gefahr!"

Alea Aquarius - Die Magie der SchwesternWhere stories live. Discover now