15- Nach Nordwesten

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Nachdenklich betrachtete Alea das gläserne Gefäß in ihren Händen. Es war gefüllt mit einem perlweißen Schaum, der nur einen leichten Blaustich hatte und darüber hinaus glitzerte. Noch immer konnte sie kaum fassen, dass das einmal ihre Nixenfreundin Shiro gewesen war. Doch sie hatte es mit eigenen Augen gesehen. Wie Shiro sich auf den Wellen in glitzernde Gischt verwandelt hatte. Und jetzt war sie fort. Sie hatte sich nicht einmal richtig von ihr verabschieden können.
Alea hörte wie aus einem Traum, wie die Tür zum Salon klapperte. Wie hypnotisiert starrte sie nur auf das Gefäß, auf das Funkeln und Glitzern...
Plötzlich spürte Alea einen Finger auf ihrer Wange. Verblüfft hob sie den Kopf und starrte nun Cassaras an, der ihr eine Träne aus dem Gesicht gestrichen hatte. Komisch, sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie weinte.
Abrupt setzte sich Alea auf und blickte Cassaras an.
„Nicht weinen", meinte der nur, doch seine Stimme klang eher teilnahmslos als mitfühlend. Wahrscheinlich, weil auch seine Stimmung seit ihrem Ausflug vor drei Stunden immer noch auf den Meeresgrund gesunken war.

Cassaras musterte die Träne auf seinem Finger ganz genau, dann kramte er in seiner Manteltasche und holte eine kleine Phiole hervor, in die er die Träne füllte.
Als er Aleas fragenden Blick bemerkte, behauptete er achselzuckend: „Die Träne einer Elvarion. Könnte ich vielleicht gebrauchen."
Alea machte sich nicht länger Gedanken darüber. Sie hatte schon viele komische Dinge bei Cassaras gefunden, und seit sie jemanden kannte, der Fusseln sammelte, wunderte sie gar nichts mehr.

Cassaras lehnte sich neben den Sessel an die Wand und nahm Alea dabei beiläufig das gläserne Gefäß aus der Hand, um es sicher in einer Innentasche seines schwarzen Mantels zu verstauen.
„Weißt du...", begann der Nixenprinz. „seit zwei oder drei Jahren, als die ganze Verschmutzung durch die Landgänger so schlimm geworden ist, sterben andauernd Nixen und andere Magische an dem Müll. Kobolde sterben durch das Abtragen der Sandbänke, da sie keinen Ort zum Leben finden, Skorpionfische fallen den Explosionen von Bomben unter Wasser zum Opfer, Jarias verlieren sich in den Müllstrudeln und Finde Finjas verheddern sich mit ihren Armen in treibenden Fischernetzen. Auch bei dieser Ölkatastrophe sind viel mehr Magische ums Leben gekommen, als du vielleicht denkst. Hunderte sind aus ihren Lebensräumen vertrieben worden und verhungert, duzende wurden von dem Öl begraben, konnten sich nicht befreien und sind schließlich am lebendigen Leibe verbrannt."

Alea schnappte erschrocken nach Luft. Also war sie zu einer Mörderin geworden, als sie das Meer gerettet hatte. Das hatte sie niemals gewollt. Den Gedanken daran, wem sie alles durch das Inferno Leid zugefügt hatte, musste sie einfach verdrängt haben. Dabei war es die bittere Wahrheit.

Eigentlich wollte Alea noch etwas erwidern, da schlug abermals die Salontür auf und Lennox stürmte förmlich herein. Als er Cassaras bei Alea – oder umgekehrt – fand, verfinsterte sich sein Gesicht, als würde ein Sturm über ihm aufziehen.
Cassaras seufzte, setzte auch eine mürrische Mine auf – auch wenn das ein wenig gespielt wirkte – und verließ den Salon mit stampfenden Schritten.
Kaum klapperte die Tür, ging auf Lennox Gesicht wieder die Sonne auf.
Mit einer fließenden Bewegung drehte er sich um die eigene Achse und setzte sich auf die Armlehne des Sessels, der unter seinem Gewicht zu protestieren schien.
Er gab knatschende Geräusche von sich, als wolle er, dass Lennox wieder von ihm runterging.

„Was habt ihr besprochen?", fragte Lennox beiläufig, doch Alea entging der forschende Unterton in seiner Stimme nicht.
„Nichts wichtiges", log sie und reckte sich. Von dem kalten Wind hatte sie ganz steife Glieder bekommen. Seltsam, seit ihrer Verwandlung konnte sie kalte Temperaturen eigentlich besser ab. Im Wasser fror sie sonst auch nicht.

Aber das konnte ihr gerade ziemlich egal sein. Sie fragte sich kurz, warum sie Lennox anflunkerte, aber sie kam schnell zu dem Entschluss, dass es nicht von großer Bedeutung war, wenn die Alpha Cru von diesen schlimmen Sachen erfuhr, außerdem wollte sie Lennox' schlechte Haltung gegenüber den Landgängern nicht noch mehr verschlechtern.
„Achso", kommentierte Lennox in einem etwas misstrauischen Tonfall.
Alea wurde heute einfach nicht schlau aus ihm. Es war Zeit, seine Laune ein wenig zu heben.
Zärtlich strich sie mit den Fingerspitzen über seinen Handrücken.
Lennox wandte den Kopf zu ihr. Seine azurblauen Augen blickten tief in ihre und Alea lief ein wohliger Schauer über den Rücken.
Wie in Zeitlupe hob Lennox seine Hand und strich Alea eine ihrer dunklen Haarsträhnen aus dem Gesicht, wobei seine Finger vorsichtig über ihre Wange strichen, als hätte er Angst, sie verletzen zu können. Ein leichtes Lächeln umspielte ihre Lippen.
Es war ein verträumtes, fast scheues Lächeln.
Fast sofort erwiderte Lennox es, seine Augen funkelten. Aber sie funkelten nicht aus Wut, Missbilligung und Zorn wie sonst, sondern aus Zuneigung und Liebe.

Alea Aquarius - Die Magie der SchwesternWhere stories live. Discover now