8- Rettung

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Da war er. Cassaras. Einfach so. Sie hatten ihn gefunden! Seine Augen und der Mund waren geschlossen, seine Gesichtszüge wirkten angespannt. Er trieb ruhig im Wasser, sein langes, dunkles Haar schwebte in Strähnen um sein blasses Gesicht, das von den verschlungenen Nixenmalen verziert wurde.
Alea versuchte, ihre Freude zurückzuspielen, denn noch war sie nicht fertig. Mit ein paar knappen Handzeichen signalisierte sie Lennox, dass sie den Nixenprinzen unter den Armen ziehen wollte und er die Beine nehmen sollte.
Mit einem Fußkick hatte sie Cassaras erreicht und schwamm um ihn herum. Dabei betrachtete sie sein Stimmungsspiel ganz genau. Zum Glück war er nicht in diese schwarze Wolke gehüllt, so wie die ganzen toten Fische, stattdessen waberte nur ein dunkler Nebel um seinen Kopf herum. Tiefe Erschöpfung bedeutete das anscheinend. Außerdem ging von seiner Brust eine Art Elektrostrom aus – eine blitzende gelbe Linie, die seinen Oberkörper wie einen Ring umschloss. Lebensgefahr, war das Wort, das sich kurz darauf in Aleas Kopf bildete. Es war noch nicht zu spät! Aber sie mussten sich beeilen!
Automatisch zog sie ein paar den Dreizackpfeile aus Cassaras' Köcher am Rücken heraus, damit er nicht so schwer war. Das war die einzige Möglichkeit, Cassaras hätte es ihr nie verziehen, wenn sie seinen Bogen oder den magischen Leierkasten im Meer gelassen hätte.
Mit kräftigen Beinschlägen durchschnitt Alea zusammen mit Lennox das schwarze Wasser und schossen senkrecht auf. Sie peilten gleich die Hercules an, die durch ihre Farbe auch schon von unten auffiel.
Kaum waren sie neben dem Beiboot aufgetaucht, beeilte Alea sich auch schon, Cassaras Kopf über Wasser zu halten. Ben und Tess hievten den Nixenprinzen mit vereinten Kräften ins Boot und legten ihn dort flach hin. Ohne zu zögern beugte sie Ben über ihn, um eine Herzdruckmassage zu machen, damit das tote Wasser aus Cassaras Lungen herauskam. Währenddessen half Tess Alea aufs Boot, Lennox hielt sich nur mit den Händen am Beiboot fest.
Mit schreckgeweiteten Augen beobachtete Alea Ben, wie er immer wieder auf die Brust des Prinzen drückte. Es verging Zeit, viel Zeit und nichts passierte. Ben wollte schon aufgeben, da regte sich Cassaras plötzlich. Er hustete und spuckte eine ganze Menge Wasser aus. Alea sprang förmlich zu ihm und musterte ihn besorgt. Für eine kurze Zeit öffnete Cassaras seine Augen und starrte sie verwundert an. „A-Alea?", krächzte er, aber da fielen ihm auch schon wieder die Augen zu. Er blieb reglos liegen. Alea blickte erschrocken zu Ben, doch der blickte sie nur gelassen an. „Er schläft bloß", beruhigte er sie. „Das war sicher anstrengend für seinen Körper. Am besten bringen wir ihn aufs Schiff."
Und das taten sie.

Eine Weile später, kurz nach Mitternacht waren sie alle auf der Crucis. Sie hatten Cassaras auf mehrere Handtücher auf das zweite Sofa gelegt und ihn vorsichtig abgetrocknet, damit das tote Wasser nicht mehr an ihm war.
Alea stand in dem kleinen Badezimmer und wusch Cassaras schwarzen Umhang ab. Er war von dem Salzwasser schon ganz abgenutzt, bestimmt war es einer von den Landgängern. Vorsichtig hing sie ihn auf die Stange von dem Duschvorhang. Keine Ahnung warum, aber irgendwie wanderten Aleas Finger zu den Taschen des Mantels. Verschiedene Dinge kamen heraus. Zum einen viele verschiedene Fläschchen, die mit unterschiedlichen Flüssigkeiten und Kräutern gefüllt waren. In einigen waren aber auch ganz andere Dinge. zum Beispiel befand sich in einem kleinen Gläschen eine blau glänzende Schuppe, in einem anderen Perlen und in wieder einem anderen waren eigenartige Blütenblätter. Besonders stachen aber zwei andere Dinge heraus: Ein kugelförmiges Behältnis mit einer verkorkten Öffnung, in dem ein eigenartiger, weißer Nebel eingefangen war und eine Phiole, die mit einer blau glänzenden, silbrigen Flüssigkeit gefüllt war, die ständig in Bewegung zu sein schien.
Ansonsten fanden sich in den vielen Manteltaschen noch mehrere Algen, eine Sengbone und ein paar Zettel, mit Adressen, die Alea nur allzu bekannt vorkamen. Das eine war die Adresse ihrer Schule, ein anderer Zettel zeigte ihre Hausnummer. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. All diese Daten, die den Nixenprinz gar nichts angingen. Schon gruselig, dass er diese Zettel noch hatte. Obwohl er Alea längst hatte. Gerade wohl eher andersherum, sie hatte ihn. Aber trotzdem. Cassaras wusste so viel über sie, die Adressen ihrer Schule und ihrer Wohnung waren nicht die einzigen. Um sich davon abzulenken, schaute Alea sich lieber einmal dieses Papier an, denn es war äußerst seltsam. Es war keine Alge, wie sie es zuerst vermutet hatte, sondern eher eine Art elastisches Gummi, das einen schwachen, türkisfarbenen Schimmer hatte. Fast wirkte es wie ein Stoffstück aus einem Flex, nur viel dicker und fester. Das Material fühlte sich kühl und glatt an, wie bei einem Flex. Es musste auch wasserfest sein, sonst hätte es all die Jahre im Meer wohl kaum überstanden. Alea suchte weiter nach etwas, mit dem man auf diesem Material schreiben konnte. In einer gepolsterten Innentasche fand sie schließlich einen länglichen Stab mit einer Spitze, der sich, als sie genauer hinschaute, als ein dünner Stock aus Schilf entpuppte, an dem oben ein spitzer Gegenstand befestigt war. Diese Spitze war tatsächlich ein kleiner Haifischzahn, dessen spitzes Ende mit einer weichen, blauen Flüssigkeit betupft war, die man abmachen konnte, bevor man schrieb. Sozusagen als kleine Sicherung, damit man sich nicht piekte oder andere Gegenstände zerkratzte. Ganz praktisch, fand Alea.

Alea Aquarius - Die Magie der SchwesternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt