41 - Anthea

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Geschockt stolperte Tiara ein paar Schritte zurück. Binnen Sekunden war ihr Pokerface verschwunden und der wütende Funke in ihren Augen erlosch.
Da war nur noch blankes Entsetzen in ihrem Gesicht, Entsetzen vor der Wahrheit und der Tatsache, dass dieser Satz ihr gesamtes Weltbild auf den Kopf stellte.

Tiara musste schlucken, Tränen blitzen in ihren wanderergrünen Augen auf.

Elena nahm ihre Hand und drückte sie. Auf Spanisch redete das blonde Mädchen ihr zu und langsam beruhigte sie sich.

„Wie kann das sein?", fragte sie, die Augen dabei immer noch weit aufgerissen. „Was weißt du?"

Der Vorwurf stand ihr dabei deutlich ins Gesicht geschrieben. Wenigstens hinterfragte sie nicht ihre Verwandtschaft, denn die lag auf der Hand. Trotzdem war die Aufregung groß. Auch Elena wurde langsam nervös, wahrscheinlich da sie Tiara selten in so einer Fassung erlebt hatte. Sie schien generell eher der aufgeregte Vogel zu sein während Tiara die ruhige und bremsende Kraft darstellte. Ähnlich wie Ben und Sammy. War der ruhige Teil aufgeregt, war auch der andere Teil nicht mehr zu stoppen.

Alea atmete tief durch. Sie konnte ihren Zwilling gut nachvollziehen. Im Moment befand sie sich in einer sehr ähnlichen Situation wie sie früher, etwa in Rach Turana, die Begegnungen mit Keblarr oder Nelani, oder auch ihrer erste Verwandlung.
Jetzt mussten sie ruhig Blut bewahren, bevor jemand von dem Gehweg auf sie aufmerksam wurde.

„Beruhigt euch erst einmal", versuchte Alea, die Wogen zu glätten. Anthea sah so aus, als wolle sie eine bissige Antwort zurückgeben, hielt sich aber zurück.
Elena, die nun hibbelig von einem Bein aufs andere trat, atmete ruhig aus und schloss dazu kurz ihre Augen. Anscheinend war das nicht das erste Mal, dass sie so etwas machte, sie wirkte sicher bei dem, was sie dort tat. Danach nickte sie, als wolle sie ihnen mitteilen, dass sie nun ruhig war. Was aber nicht ganz stimmte, da sie nun begann, eine ihrer blonden Locken zwischen den Fingern zu zwirbeln. Diese Art erinnerte Alea stark an Sammy. Auch er konnte sich selten beruhigen.

Wenn wir uns irgendwo hinsetzen, können wir uns besser unterhalten. Dann ist es auch ruhiger, dachte sie und schaute sich nach einer Sitzgelegenheit um. Allerdings gab es in dieser Gasse keine Bank, was hätte man auch anders erwarten können?
Lennox schien erraten zu haben, woran sie dachte, denn er kletterte kurzerhand auf einen der beiden Müllcontainer, die an einer Hauswand standen. Er klopfte neben sich auf das harte Plastik, um die anderen aufzufordern, sich auch darauf zu setzen.
Er half Alea, als sie es ihm nachmachte. Anthea und Elena taten es ihnen gleich, beide schienen recht sportlich zu sein und erklommen den Container daneben ohne große Mühe. Der Geruch war zwar ein wenig gewöhnungsbedürftig, davon abgesehen gingen die Container aber gut als Sitzmöglichkeit durch.

Sie hatten sich so hingesetzt, dass Alea und Anthea nebeneinandersaßen, so dass nur noch der handbreite Spalt zwischen den Containern sie trennte. Die plötzliche Nähe zu ihrer Schwester ließ Aleas Herz höherschlagen. Elf Jahre lang hatten sie sich nicht gesehen und jetzt saßen sie nebeneinander auf einem Müllcontainer. Was für eine komische Situation.

Noch komischer wurde es allerdings, als sie zu ihrem Monolog ansetzte. Der Monolog, der sowohl Antheas als auch Elenas Leben aus den Gleisen bringen würde. Sie würde die Person sein, die den Nebel über der Herkunft der beiden Meermädchen lichten würde. Diejenige, die ihre Fragen beantworten würde, wie ein Prophet, der kam, um sie aufzuklären. Oder eben wie die Elvarion der letzten Generation.

Ob Anthea auch eine Elvarion ist?, fragte sie sich in Gedanken. Doch in der Prophezeiung war nur von einer Elvarion die Rede. Von ihr, Alea Aquarius, dem Mädchen, das irgendwann auf die Crucis kommen würde. Nirgendwo wurde eine Schwester dieser Elvarion erwähnt.

Alea Aquarius - Die Magie der SchwesternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt