73 - Erklärungen

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Die Kälte des Wassers empfing sie wie einen alten Freund. Zum Glück war ihre Kleidung leicht, und es war angenehm, trotz des Stoffs an ihrem Körper. Ihre Verwandlung bekam sie trotz allem nicht mit, denn in ihrem Kopf kreiste alles nur um Lennox und Tiara. Für einige Zeit schwamm sie einfach nur geradeaus, ohne ihren Gedanken Achtung zu schenken. Die tausenden Dinge in ihrem Kopf wurden zu einem unergründlichen Gewirr. Sie spürte, dass sie weinte, doch zum Glück war das im Wasser unwichtig.

Erst nach einigen Minuten – oder waren es doch nur Sekunden gewesen? – wurde sie langsamer. Sie dachte zurück an das, was sie gesehen hatte, so als wäre es ein schlechter Traum gewesen. Und wenn sie richtig in sich hineinhorchte, wusste sie nicht, was der eigentliche Grund für ihre aufgewühlten Gefühle waren. War sie wütend auf Lennox, dass er sie – möglicherweise unwissentlich – betrogen hatte? War sie enttäuscht von ihm, dass er den Trick ihrer Schwester nicht sofort durchschaut hatte? Oder war sie einfach nur unendlich traurig darüber, dass ihre Schwester so ein grässlicher Mensch war, der sie erst in dem Glauben einer Beziehung zueinander ließ und ihr keine zehn Minuten später in den Rücken fiel?

Die Persona ihrer Schwester wurde ihr mit jeder Sekunde unergründlicher. Wieso hatte sie das bloß getan? War sie wirklich so eine Art Mensch? Eigentlich hatte Alea gedacht, dass sie sich langsam anfreundeten. Die Spielereien, die sie mit Lennox angefangen hatte, waren doch auch nur anfangs gewesen und später hatte sie doch ihre Beziehung respektiert, ja sogar beglückwünscht. Oder? Alea wusste nicht mehr, was sie glauben sollte. War Tiara so eifersüchtig auf ihre Beziehung gewesen, dass sie sie zerstören wollte? Dabei hatte sie gar nicht so gewirkt, als sie zu Alea gemeint hatte, wie froh sie doch sein sollte, einen so loyalen Partner an ihrer Seite zu haben.

Die Gedanken kreisten immer weiter in ihrem Kopf, und es machte sie wütend. Sie schob den Elvarion-Modus runter, der gerade aufkeimen wollte, denn sie wollte diese Situation im Moment nicht durch eine analytische Linse sehen.

Alea schwamm ein wenig weiter, bis sie schließlich am Meeresgrund angekommen war. Dieser sah aus wie üblich: Schlammig, mit einigen Pflanzen, ein paar Krebsen und natürlich einer Menge Müll. Plastiktüten hatten sich auch ihren Weg in diese Ecke des Meeres gesucht, was Alea nur noch frustrierter werden ließ.

Sie blieb eine Weile hier unten, unschlüssig, was sie tun sollte. Ob es dumm gewesen war, einfach ins Wasser zu springen? Sicherlich. Je länger sie blieb, desto größer wuchs das schlechte Gewissen in ihr. Jetzt mussten die anderen auch nach ihr suchen, und Lennox würde sich womöglich in große Gefahr begeben. Je länger sie darüber nachdachte, desto idiotischer kam ihr ihr Handeln vor. Einfach einem Impuls nachgehen, wie alt war sie eigentlich?

Aber was denkt sich Tiara eigentlich, so eine Scheiße anzustellen, wenn wir gerade ganz andere Sorgen haben, versuchte ihre innere Stimme die Schuld von sich wegzuschieben. Die Stimme hatte Recht. Was war nur in Tiara gefahren? Gestern noch war sie genauso verstört von den Horrorvisionen, heute dachte sie, es wäre eine gute Idee, Chaos anzuzetteln.
Alea kam Tiaras Bandennamen wieder in den Sinn.

Tiara Triangulum

Das Dreieck. Säuerlich dachte sie, wie passend der Name doch für diese Situation war. Da flammten die schlechten Gefühle über ihre Schwester wieder auf, die sie anfangs gehabt hatte. Ihre Intuition hatte sie letztendlich nicht im Stich gelassen. Etwas an ihrer Schwester war reichlich eigenartig.

Eine Weile blieb sie noch unter Wasser, spielte mit Fischen, las die Spuren von größeren Meerestieren und folgte schließlich ihrer eigenen Spur zurück zum Schiff. Auf dem Weg sah sie einen eigenartigen Blob auf sich zutreiben. Schnell schwamm sie nach unten und versteckte sich hinter einem kleinen Riff. Doch der Blob kam näher und hatte sie schon bald erreicht. Doch als Alea auf die Farben dieses Etwas schaute, waren da nur rosafarbene Bläschen. Das Wesen war harmlos. Also näherte sie sich ihm, und stellte schon bald fest, dass es sich dabei um eine gräulich-blaue Finde-Finja handelte. Sie kam auf sie zugeschwommen, mit ihren wedelnden Krakenärmchen und den tausenden Äuglein auf diesen. Als sie Alea erreicht hatte, blieb sie kurz stehen. Drehte sich um die eigene Achse und sagte mit ihrer klingelnden Stimme: „Ich habe gefunden, was du gesucht hast." Dann drehte sie ab und verschwand. Doch die Person, die der Finja gefolgt sein musste, war nicht in Sicht. Ob es Lennox war? Alea erinnerte sich, dass er unter Wasser nicht ganz so schnell war wie ein vollständiger Meermensch, während Finde-Finjas ein Tempo draufhatten, bei dem selbst Alea sich beeilen musste. Dazu kam auch noch, dass Lennox unter Wasser nicht atmen konnte. Ob er sich wenigstens eine Sauerstoffflasche mitgenommen hatte?

Alea Aquarius - Die Magie der SchwesternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt