65 - Zueinander finden

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Alea erwachte mit einem dröhnenden Schädel. Orientierungslos versuchte sie, ihre Augen zu öffnen, doch ihre Lider fühlten sich schwer von dem Sturz an. Sie spürte, wie ihre nassen Haare an ihrer Haut klebten.

Ihre Sicht war verschwommen und schemenhaft, klärte sich aber mit jeder Sekunde mehr. Der Stille um sie herum nach zu schließen, befand sie sich nicht mehr draußen. Allein das beunruhigte sie, doch als sie die schattenhafte Silhouette einer Person über ihr ausmachte, schnellte sie alarmiert hoch. Schlechter Fehler. Ein scharfer Schmerz zuckte durch ihren Kopf und ihre Sicht setzte aus, ein schwarzer Schleier zog sich hervor. Wohl oder übel sank sie zurück auf die Unterlage, die sich wie ein altes Sofa anfühlte und auch so roch.

"Immer langsam, Mädchen", sagte da der Mann, der wohl neben ihr auf der Sofakante saß. Er sprach zu Aleas Verwunderung Hajara, besaß aber einen eigenartig europäischen Akzent. "Du musst dich ausruhen, du hast ganz schön was auf den Kopf bekommen."

Bestätigend gab Alea ein Stöhnen von sich und fasste sich mit schmerzverzogenem Gesicht an die pochenden Schläfen.

"Danach musst du mir aber sagen, was die Elvarion der letzten Generation im Wasser vor meiner Gondel macht."

Der Mann wusste, wer sie war? Langsam setzte sie sich auf und strengte sich an, ihren Gegenüber zu erkennen. Es handelte sich um einen schmächtigen Mann mittleren Alters, der warme braune Augen und langsam spärlich werdendes, gelocktes Haar hatte. Auf seinen wettergegerbten Wangen spross ein gräulicher Dreitagebart. Alea erkannte keine Meermenschenmerkmale an ihm. Konnte es sein...?

"Ich bin ein Landgänger", bestätigte der Mann ihre Vermutung, wieder auf Hajara.

"Wie... kann das sein?", wollte Alea verwirrt wissen, ihre Stimme klang einigermaßen gefasst, wenn auch heiser. Bisher dachte sie, Ben wäre der erste und einzige Mensch, der die Wassersprache sprechen konnte. Doch offensichtlich war dieser Mann darin noch besser als ihr Skipper.

"Ich habe es ihm beigebracht", sagte da eine fremde Stimme. Alea wandte sich um und erkannte eine alte Frau im Rollstuhl, die durch die brüchige hölzerne Zimmertür kam. Jetzt erst schenkte Alea dem Raum Beachtung. Die Einrichtung erinnerte sie ein wenig an das Restaurant, in dem sie in Oye Plage gewesen waren. Alles war bestückt mit allerlei Fundsachen, die an das Meer erinnerten. Als Alea aus dem Fenster schaute, stellte sie fest, dass sie wohl in einem der Häuser an der Marktstraße war.

Die alte Frau schob ihren Rollstuhl mit kräftigen Schüben in den Raum hinein und rollte über einen staubigen roten Orientteppich auf Alea zu. Eine Decke war über ihre Beine gebreitet, sodass diese nicht zu erkennen waren. Unter dem Kleid aus bronzefarbenem transparenten Stoff waren die Überreste eines einst muskulösen Oberkörpers zu erkennen, und im Gegensatz zu den meisten alten Frauen besaß sie eine flache Brust. Ihre Haut war bleich, wurde aber nur von wenigen Falten geziert. Ihre schneeweißen Haare trug sie kurz. Ihre eisblauen Augen musterten Alea mit prüfendem Blick, doch diese Strenge wich bald einem warmen und erfreuten Blick. Alea war sich sicher, dass diese Frau alles andere als normal war. War sie etwa...

"Wie unhöflich von mir", entwich es da dem Landgängermann. "Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt: Ich bin Luigi de Luca und das ist-"

"Nixenkönigin Haruko", entfuhr es Alea.

Die alte Frau lächelte. "Ich sehe, du bist ein kluges Mädchen, Alea." Sie rollte mit ihrem Rollstuhl neben die Kopfseite des Sofas, wo ein kleiner runder Tisch mit einer Stehlampe daneben stand. "Ja, ich bin diese Nixenkönigin."

Alea verschlug es die Sprache. Diese Frau war eine Nixe, an Land! Und nicht nur das, es war auch noch ihre letzte Königin. Die Frau, die sie, die Elvarion, ausgewählt hatte und ihr den Silberumhang vermacht hatte. Himmel, das war Cassaras' Mutter!

Alea Aquarius - Die Magie der SchwesternWhere stories live. Discover now