Kapitel 33. Luft holen

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"Willst du raus?", fragt Aaron nochmals, als ich mit schmerzenden Gliedern aus der Dusche trete. Ich habe einen neuen Pulli bekommen, dieses Mal mit Kapuze, was mir mehr als recht ist. Allerdings ohne Kordeln, wer weiss schon, was man damit alles anstellen kann. Die gräulich-weisse Farbe des Stoffhaufens liess michzudem  im Spiegel noch kränklicher aussehen, als ich es wohl ohnehin schon tue. Untot, gewissermassen die Rückkehr der lebenden Toten.

"Nein", antworte ich knapp unter seinem fragenden Blick. 

"Wirklich? Ich denke ein wenig frische Luft würde dir gut tun."

"Ich will nicht", murmle ich und peile das Zimmer mit der Nummer 312 an. 

"Komm, nur für ein paar Minuten."

Der blonde Polizist greift nach meinem Handgelenk und meinem Infusionsständer und zieht mich in seine Richtung.

"Lass mich bitte", sträube ich mich und versuche ihm meinen Arm wieder zu entziehen, doch Aarons schlanke Finger bleiben eisern. Eine Hand flach auf mein Schulterblatt gelegt, schiebt er mich nachdrücklich den hellen Flur entlang.

"Wir sind für einen Moment draussen", teilt er der blaugekleideten Pflegekraft mit rotem Bart mit, die in dem Moment aus einem Zimmer tritt. Er hebt zur Antwort einen Daumen.

Ohne sonderliches Interesse lasse ich den Blick durch die Station schweifen, in der sich auch mein Zimmer befindet. Weisse Wände, Linoleumboden, und all paar Meter blinkende rote Zahlen auf den kleinen Tafeln an der Decke. Ein paar blaugekleidete Gestalten unterhalten sich auf dem Gang und blicken überrascht auf, als Aaron sich mit mir an ihnen vorbeidrängt, den Infusionsständer in einer Hand. 

"Ich wusste nich', dass der raus darf", glaube ich jemanden sagen zu hören. Vielleicht ist es auch nur Einbildung, ein Konstrukt meines müden, fiebergeplagten Gehirns. Aaron zumindest scheint es nicht gehört zu haben.

"Komm", meint er und schleift mich durch die automatische Glastür ins Treppenhaus. Er drückt mit der freien Hand den Knopf für den Lift und wirft mir dann einen warmen Blick zu. Ich weiche ihm aus, mustere stattdessen den gelblichen Boden und meine Füsse, die in billigen Plastikschlappen stecken. Socken mit Sandalen, wirklich ein Verbrechen. 

Der Lift kommt mit einem rasselnden Geräusch auf unserer Etage zum Stillstand und die Türen öffnen sich knarzend. Mein Gehirn scheint gar nicht damit gerechnet zu haben, dass sich ein Mensch in dem kleinen metallenen Kasten befinden könnte und so zucke ich überrascht zusammen, als jemand aus dem Lift tritt.

"Hi, wie geht es dir?", stösst Nick erstaunt aus und seine blonden Haare fliegen wie ein lebendiger Heiligenschein um seinen Gesicht, als er einen hastigen Schritt nach vorne macht.

"Ich lebe", erwidere ich knapp und versuche ein Lächeln zu erzwingen.

"Zum Glück", meint mein Zimmernachbar und lächelt, richtig im Gegensatz zu mir, sodass seine weissen Zähne und seine braunen Augen funkeln.

"Wir gehen rasch raus", unterbricht Aaron meine Schockstarre und schiebt mich sanft in den Lift.  Schlagartig wird es unangenehm still.

"Hier, deine Jacke."

"Meine Jacke?"

"Zusätzlich zu deinem schönem Pulli und Co.", sagt er mit einem leichten Lächeln und reicht mir die dunkle Jacke. Ihr Stoff fühlt sich unter meinen Fingern dünn und steif an, ähnlich einer Windjacke. Furchtbar umständlich schaffe ich es, sie anzuziehen und die Infusion wieder anzuhängen. Eisig kalt ist mir immer noch. 

"Für was? Wenn mir der Prozess gemacht wird?"

"Nein", antwortet Aaron ruhig. "Dort solltest du einen Anzug tragen und den hat dir bis jetzt noch niemand aufgetrieben. Im Moment gibt es keine Anklage gegen dich und somit auch keinen Prozess."

Ich stosse müde Luft aus.

"Ich hasse es."

"Was hasst du?", fragt der blonde Beamte mit einfühlsamer Stimme, gerade in dem Moment, als der Lift ruckelnd zum Stehen kommt.

"Alles", gebe ich erschöpft zurück und trete hastig aus dem engen Raum. Wohl ein wenig zu hastig, denn Aaron hält mich an der Schulter zurück bis er mich eingeholt hat.

"Ich weiss, es ist im Moment alles nicht angenehm, aber wir versuchen dir zu helfen. Wir versuchen dir zu helfen, wir wollen es dir nicht noch schwerer machen."

"Schwerer machen inkludiert also nicht stundenlange Verhöre, begleitete Toilettengänge und Handschellen?"

Aaron wirft mir einen seiner einfühlsamen Blicke zu.

"Es tut mir leid, aber es ist zu deinem besten."

"Natürlich", spotte ich, während sich die Türen zur Aussenwelt endlich öffnen. Der Griff des Polizisten wird fester.

"Was ist eigentlich mit dir?", meine ich in einem plötzlichen Anflug von Mut und wirble zu ihm herum. Die kalte Luft bildet meine Worte als Wasserdampf in der Luft ab.

"Was soll mit mir sein?", fragt er verwundert und schiebt mich ein paar Meter weiter in den kleinen, mit Frost überzogenen Krankenhauspark.

"Du magst Lucas."

"Ja?", meint er kurz angehalten und zieht eine Augenbraue hoch. Das Thema scheint ihm nicht zu behagen.

"Seid ihr ein Paar?"

Aaron starrt mich verblüfft an. "Nein. Ich bin nicht...so...an ihm interessiert."

"Nein?", frage ich unschuldig und denke mir, dass das ein guter Moment wäre, um lässig eine Fahne von Zigarettenrauch auszuatmen. 

"Nein", streitet der junge Polizist es mit erhobenen Händen ab, als ob ich ihn gerade gefragt hätte, ob er jemals jemanden erschossen hätte.

"Das zwischen uns ist rein freundschaftlich."

Ich zucke mit den Schultern. Nie im Leben ist das freundschaftlich. Wobei ich vielleicht auch nicht die geeignetste Person bin, um zwischenmenschliche Beziehungen zu beurteilen. Schliesslich bin ich unfähig selber solche zu führen.

"Wie kommst du darauf?", fragt Aaron ein paar unangenehm stille Minuten später, während wir durch den Park schlendern. Seine helle Haut ist leicht gerötet, vor Kälte oder vor Verlegenheit.

"Du siehst ihn so an, als wäre er das tollste Geschöpf auf der ganzen Welt."

Aarons gerötete Haut wird ein paar Nuancen dunkler.

"Ihr habt eure Finger ineinander verschränkt", fahre ich mit einem überlegenen Lächeln fort.

"Das war nur...", beginnt der Polizist, unterbricht sich aber und blickt betreten zu Boden.

"Du hast Recht, ich mag ihn."

"Mehr als nur freundschaftlich", vervollständige ich.

"Ja", brummt Aaron. "Ja, du hast Recht."

"Und was ist das Problem?"

"Wir sollten wieder rein gehen."

Ich will nicht hinein, hinein zu all den Fragen, Händen und Medikamenten.

"Nein, bitte erzähl."

Aaron verdreht die Augen und greift wieder nach meinem Infusionsständer, um mich zurück ins Gebäude zu zwingen.

"Bitte."

"Tust du das, weil du nicht zurück willst oder weil du meine Probleme hören willst?"

"Beides."

Aaron seufzt und hebt den metallenen Ständer wieder an. 

"Es ist Visite-Zeit."


I'm back. Und ich habe mir das nette Virus eingehandelt, das gerade die Welt ins Chaos stürzt...

Aber jedenfalls, vielen Dank an alle, die abstimmen und kommentieren! Ich freue mich sehr darüber und es gibt mir Motivation weiterzuschreiben.

Nächste Woche geht es mit meinem anderen Buch weiter :)





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