Kapitel 66. Fehler

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"Es ist die beste Lösung", sagt Falc, die dunkelbraunen Augen genau auf Höhe meines Gesichts. Er sagt noch mehr, aber mein Kopf ist irgendwie nicht in der Lage, seine Worte zu verarbeiten. Die plötzliche Erschöpfung erschlägt mich fast. Es stört mich. Ihn nicht verstehen zu können, kostet mich wichtige Informationen. Informationen verhindern Fehler. Und Fehler tun weh. 

"Tres."

Falc sieht mich abwartend an. "Was?", frage ich und meine Stimme hört sich an, als ob mein Kopf in mehrere Lagen Luftpolsterfolie gewickelt wäre. Die Distanz zwischen meinen Worten und mir macht mir Angst. Der Kommissar legt eine Hand auf mein Knie. Vielleicht soll es helfen. Tut es aber nicht, im Gegenteil. Seine Berührung fühlt sich ebenso entfernt an wie meine eigene Stimme. Passend vielleicht, er verpisst sich ja eh gleich. Seine Abschiedsrede kann mir am Arsch vorbeigehen.

Falc klatscht in die Hände. Laut. Laut genug, um mich erschrocken zusammenfahren zu lassen. 

"Sorry, ich hab...kurz nicht zugehört", entschuldige ich mich lahm. Die Worte verknoten sich in meinem Mund, bleiben aneinanderkleben, wie Kaugummi an Schuhsohlen.

 "Habe ich gemerkt", bemerkt der Kommissar bloss. 

"Tut mir leid", wiederhole ich knapp. 

"Alles gut. Willst du ein Glas Wasser?"

Ich schüttle den Kopf, Falc steht trotzdem auf und füllt mir einen Pappbecher mit Hahnenwasser. 

"Du machst dir Sorgen", konstatiert er, als er sich wieder auf den Stuhl setzt und mir das Getränk in die Hand drückt. "Musst du nicht, versprochen."

"Okay", bringe ich hervor und nehme einen Schluck Wasser. Es schmeckt schweflig wie eine kleine Ausgeburt der Hölle. 

"Ich mache es kurz. Ich bin gewissermassen gezwungen, diesen Fall abzugeben. Wenn ich ihn behalten würde, gefährde ich die ganze Ermittlung, und dich. Ich will nicht, dass meine fehlende Neutralität dazu führt, dass die Untersuchungen anders bewertet werden."

Er hält einen Moment inne, bis ich nicke, als ob er auf meine Zustimmung warten würde.

"Entschuldige", sagt er. "Ich wünschte, ich könnte dir jetzt sagen, dass ich den Mord an deiner Mutter aufklären konnte, aber das kann ich nicht."

"Ich weiss", antworte ich nüchtern. Er nickt, wischt sich eine verrutschte Strähne zurück, die seine braunen Augen kurz verdeckt, bevor er mich wieder ansieht.

"Ich will, dass du weisst, dass ich vollstes Vertrauen in meine Kolleginnen und Kollegen habe", setzt er wieder an, aber ich drehe den Kopf zur Seite, um seinem Blick auszuweichen. Er redet immer dermassen bedeckt, dass es mich wütend macht. Redet von Vertrauen und Ermittlungen, ohne mir je konkret zu sagen, was eigentlich gerade geschieht. 

"Woran denkst du?", fragt Falc ruhig. "Nichts, bin nur müde", murmle ich genervt.

"Ich brauche nicht mehr lange. Wenn du willst, kann ich dir eine Tasse Kaffee bringen?"

"Geht schon."

"Dann mache ich weiter?"

"Ja."

Falc lächelt matt, seine Augen leuchten seltsam im viel zu grellen Deckenlicht. Ich lasse mich ein Stück tiefer ins braune Ledersofa sinken, hinter den imposanten Fensterscheiben des Gebäudes, die bis zum Boden reichen, hängen dunkle Wolken. 

"Ich weiss, du machst dir Sorgen, dass ich dich jetzt im Stich lasse. Das wird nicht geschehen."

"Ah ja", bemerke ich bitter.

Er sieht mich an, halb überrascht, halb belustigt. Ich beisse mir auf die Lippe, um nicht noch mehr verzweifelten Spott durchzulassen.

"Ich sehe, du glaubst mir kein Wort. Aber lass mich ausreden, vielleicht macht es dann Sinn."

Ich nicke verkrampft. 

"Schau", sagt Falc sachte. "Ich konnte dich bisher immer nur relativ begrenzt unterstützen, um wenigstens den Anschein von Neutralität zu wahren. Ich war oft nicht da, als du mich gebraucht hast, egal ob das nun zu meinem Job gehört hat oder nicht. Das war nicht fair und das hast du nicht verdient. Was ich jetzt tue, hätte ich schon längst tun sollen."

Ich sehe ihn an, ohne zu verstehen. Er lächelt ab meiner Verwirrung. 

"Ist das mit dem Nicht-Verlassen angekommen?"

"Ja", sage ich durcheinander. 

"Sicher?"

"...ja?"

"Gut", bemerkt er sanft. "Dann habe ich noch einen letzten Punkt, bevor wir hier endlich wegkönnen."

Ich nicke stumm.

"Schau nicht so entsetzt. Es sind gute Nachrichten", ergänzt der Kommissar belustigt und steht auf, um seinen Mantel zu holen. "Wollen wir ein paar Schritte gehen?"

"Ja", bringe ich erleichtert hervor, froh über die Möglichkeit, diesem kalten, sterilen Raum zu entkommen. "Dann komm", sagt er bloss und reicht mir eine Hand, um mir und meinem schmerzenden Körper aus dem Sofa zu helfen. 

"Wie läuft es mit Nick?", fragt er, als wir ein paar Meter durch die hell erleuchteten Korridore gewandert sind. "Gut", murmle ich verlegen. Falc lächelt kaum merklich.

"Er war sehr besorgt um dich."

"Ist er immer."

"Natürlich, er mag dich schliesslich", antwortet der Kommissar belustigt und klopft gleichzeitig an eine Tür auf der rechten Seite des Korridors an. "Warte eine Sekunde", unterbricht er unser Gespräch kurz, um in dem kleinen Raum zu verschwinden und einen Augenblick später mit einem Stapel Bücher und Heften unter dem Arm zurückzukehren. 

"Du machst übrigens sehr schöne Notizen, ich mag deine Schrift", bemerkt er beiläufig, als wir ein paar Schritte weiter gehen. "Was?", antworte ich verwirrt. Er lächelt. 

"Hier", meint er und zieht eines der Hefte unter seinem Arm hervor. Es dauert einen Moment, bis ich verstehe, dass es sich dabei um eines meiner Schulhefte handelt. Die Doppelseite ist voll von Zeichnungen und Notizen zur Atmungskette und zum Energiestoffwechsel, etwas verlaufen, das Papier gewellt von Feuchtigkeit.

"Woher hast du das?", frage ich perplex, als Falc mir das Heft wieder abnimmt.

"Interessanterweise wurde das aus einem fahrenden Auto geschmissen, gemeinsam mit deinem Geldbeutel unter anderem. Eine aufmerksame Passantin hat das beobachtet und alles zur lokalen Polizeistation gebracht. Als unsere Fahndung losging, konnten sie uns wegen deiner Schüler-ID informieren. Die Hefte haben zum Teil ziemlich viel Wasser abgekriegt, aber ich dachte, du willst deine Notizen vielleicht trotzdem zurück, bevor du sie bei anderen abschreiben musst."

"Danke", bringe ich überrascht hervor. "Und hier", fährt der Kommissar nahtlos fort. "Dein Handy. Das haben sie glücklicherweise mitgenommen."

"Glücklicherweise?"

Falc zieht belustigt die Mundwinkel hoch. "Die Ortung hat ziemlich gut funktioniert. Es herrschte initial wohl ein wenig Verwirrung, aber letztlich konnten mehrere Personen festgenommen werden, die in den Überfall involviert waren. Das Beste daran ist aber, dass bei diesen Personen ein eindeutiger Zusammenhang zu unserem Hauptverdächtigen bestand, was den Ermittlungen offensichtlich zugutekommt."

"Zu Tom?"

Falc zieht vielsagend die Augenbrauen hoch, sagt aber nichts dazu. Stattdessen drückt er mir mein Telefon in die Hand und deutet in die Richtung, aus der wir vorher kamen. 

"Wollen wir gehen? Du solltest das Mittagessen nicht verpassen."


Ein wenig zu spät, weil Wattpad gestern praktisch alles wieder gelöscht hat, aber ich hoffe es gefällt euch trotzdem. 

Übrigens, wie glaubt ihr, wird sich Falc jetzt ohne seine offizielle Ermittlerrolle Tres gegenüber verhalten? 

Diese Woche geht es wieder im anderen Buch mit Luis weiter :))

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