Kapitel 8.

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Andreas P.o.V.

Noch bevor ich die Augen geöffnet habe, fühle ich, dass es wieder nicht geklappt hat. Wie immer. Und wie immer sehe ich die weiss gestrichene Krankenhauszimmerdecke über mir und höre neben mir ein äusserst lautes EKG. Und natürlich die elenden Fesseln, die meine Arme an die Liege binden.

"Andreas. Erinnerst du dich an mich?"

Die junge Ärztin sitzt neben mir auf einem Stuhl und beobachtet mich mit scharfem Blick.

"Natürlich", antworte ich kühl, aber meine raue Stimme zieht alles etwas ins Lächerliche.

Sie nickt traurig  und ich verstehe, dass sie mir mit ihrer Anwesenheit zeigen will, dass sie sich um mich sorgt.

"Sie müssen nicht hier sein. Nicht wegen mir", murmle ich mit gesenktem Blick.

"Nein? Andreas, du bist keine Akte, die man einfach zur Seite legt, wenn man sie gelesen hat. Du bist ein Mensch, der ein Leben verdient hat."

"Das haben die anderen auch  gesagt, wissen Sie?"

"Aber ich meine es so."

"Und das haben sie auch gesagt. Und irgendwann war ich ihnen doch zu anstrengend, oder zu vermurkst, oder was auch immer."

Die Ärztin schweigt und eine Strähne ihres braunen Haares rutscht ihr ins Gesicht und verdeckt ihre rechte Gesichtshälfte. 

"In welchem Krankenhaus bin ich?"

"Uniklinik."

"Meine Mum kann das nicht bezahlen. Wir haben das Geld dazu nicht."

"Eure Unfallversicherung wird das bezahlen."

"Wir haben keine.", antworte ich mit einem kurzen trockenen Lachen. "Ausserdem muss ich in die Schule. Ich kann hier nicht bleiben."

"Andreas...", beginnt die junge Ärztin und ich erkenne einen peinlich berührten Unterton in ihrer Stimme. Es braucht nicht mehr als ein paar Sekunden, bis ich verstehe, was sie sagen wird. Eine Welle aus heisser Panik rollt über mich hinweg und wieder versuche ich mich im Bett etwas aufzurichten, kämpfe gegen die Riemen an, die mich hier festhalten. Und sinke mit einem kläglichen Ton wieder zurück ins Kissen.

"Nein. Sie können das nicht tun! Bitte tun Sie das nicht! Sie...Sie können mich nicht einfach in die Klapse stecken...ich bin nicht krank!", brause ich auf, doch die Ärztin stoppt mich mit einer ruhigen Handbewegung.

"Andreas", fängt sie abermals mit gefasster Stimme an. "Lass das mit dem auf Distanz halten. Ich bin Julia. Und jetzt hör mir erst zu, bevor du deine Argumente gegen mich ausspielst."

"Nein! Ich bin weder psychotisch, noch depressiv, noch ein Borderliner oder sonst irgendetwas Neurologisches. Sie können mich nicht einfach wegsperren! Ich mache das, weil es das Leichtere von beidem ist! Verstehen Sie? Ich bin ein Feigling, der diese Welt einfach nicht aushält!"

"Denkst du etwa, ich sehe nicht dass du nicht krank bist? Denkst du nicht, ich sehe die Blutergüsse und Platzwunden? Ich sperre dich nicht ein, um dir das Leben schwerzumachen, sondern um zu versuchen dein Leben zu ändern. Aber ich habe Angst, -und du weisst das sie berechtigt ist, dass du nochmals von einer Brücke springst oder Heroin nimmst und dass es dieses Mal klappt. Ich will dir helfen und dazu muss ich sichergehen, dass du nicht stirbst, versteh doch!"

"Sie lassen mich zwangseinweisen", stelle ich kühl fest.

"Es tut mir leid."

"Tut es nicht."

Die Stille, die nun im Zimmer herrscht erdrückt mich beinahe. Irgendwo geht ein Alarm an. 

"Ist meine Mutter schon hier?"

"Nein. Die Polizei sucht nach ihr."

Wieder Stille. Mein Kopf beginnt zu schmerzen und ich habe das brennende Bedürfnis meine Knie hoch zu ziehen und meinen Kopf zwischen ihnen zu vergraben. 

"Du stellst dir das falsch vor Andreas. Es wird dir besser gehen..."

"Sie haben meine Krankenakte nicht, nicht wahr?"

Sie scheint zu begreifen und nickt seufzend. 

"Du warst schon da." Es klingt nicht nach einer Frage, sondern vielmehr wie eine ernüchterte Feststellung.

"Es ist das Alleinsein und doch zu wissen, dass andere es viel schlimmer haben. Es ist das Eingesperrtsein. Und auch irgendwie...die Frage, was danach kommt. Wissen Sie, ich weiss, dass Mama enttäuscht sein wird und ich weiss auch, dass sie die Kosten nicht tragen kann. Und ich weiss, dass danach alles wieder genau gleich sein wird", murmle ich, mehr im Versuch es mir selbst klarzumachen, als es ihr zu erklären.

"Du bist nicht allein."

"In meinem Kopf schon."

"Ist vielleicht auch besser so, sonst wärst du sicher ein Fall für die Klapse", antwortet Sie und ich höre ein leichtes Lächeln in ihrer Stimme.

"Bin ich ja ohnehin. Etwas Kopfgesellschaft wäre vielleicht gar nicht so blöd..."

"Ja, aber stell dir vor die wäre nachtaktiv..."

"Der war schlecht.", murmle ich, wobei mir ein leises Lachen entfährt.

"Ich weiss. Aber manchmal sind das die Besten."

"Glauben Sie an Karma?"

"Nein."

"Dann hoffe ich das stimmt. Sonst muss ich im letzten Leben wirklich ein echtes Arschloch gewesen sein, -das würde so einiges erklären."

Die Notärztin mustert mich nachdenklich, bevor sie eine Hand auf meine Schulter legt. 

"Dein Leben wäre so viel einfacher, wenn du einfach sagen würdest, wer dir das alles antut, glaubst du nicht?"

"Ich verpetze keine Leute", antworte ich stoisch. 

"Verpetzen geht nicht um Leben und Tod."

"Wer weiss."

"Was ist passiert Andreas?"

"Es ist schon lange her und sie werden darin keine, absolut keine Indikatoren auf das finden, was jetzt ist."

"Ich versuche nur zu verstehen, wieso ein so logischer Mensch wie du, nicht seinen Peiniger preisgibt."

"Als ich in der ersten Klasse war, hatte ich einen Autounfall zusammen mit meinem Bruder. Ich konnte mich an nichts erinnern, als ich wieder aufgewacht bin. Schädelhirntrauma nennt ihr Ärzte das doch. Und als ich wieder aufgewacht bin, war mein Vater abgehauen, zusammen mit meinem Zwillingsbruder. Ich habe sie nie wieder gesehen. Meine Mutter hat beinahe alles verloren was ihr je wichtig war und ich....Ich, ich glaube ich auch.  

An einem Tag in der Schule haben sich ältere Schüler geprügelt. Es gab schlussendlich eine Messerstecherei und ich war so dumm der Polizei zu sagen, wer angefangen hat. Sie haben mich nach Hause gebracht und auch mit meiner Mutter geredet. An diesem Tag wurde ich zweimal verprügelt und ich habe verstanden, dass all das nicht passiert wäre, wenn ich nichts gesagt hätte. Meine Welt ist kaputt gegangen an diesem Tag. Den Täter hatten sie am Schluss trotzdem nicht."

"Deine Mutter hat dich geschlagen?"

"Nein. Meine Mutter hat die Polizei mitgenommen, weil sie Heroin in ihrer Wohnung gefunden haben."


Sorry, dass ich im Moment nur diese Geschichte aktualisiere, aber ich arbeite diese Woche im Labor mit meinen Stammzellchen und habe deshalb nicht so viel Zeit.

Jetzt komme ich gerade von der "Stammzell-Fütterung" und habe tendenziell wenig zu tun (bzw. ich tue so, als ob ich wenig zu tun hätte, denn theoretisch könnte ich einfach noch an meiner MA weiterschreiben...). Vielleicht kommt am Wochenende noch ein Kapitel von "Warum die Welt sich weiterdreht". 

Ich geh jetzt meinen Kittel suchen und mich steril machen...^^

Liebe Grüsse aus der ZHAW, 

Hilda

SchattenfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt