Kapitel 27. Ich kann nichts

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"Es ist Zeit", sagt Aaron sanft und hebt vielsagend die Handschellen.

Ich starre die metallenen Fesseln mit zusammengepressten Zähnen an, die Verzweiflung erdrückt meine Gedanken beinahe. Wenn ich wüsste, dass es etwas brächte, würde ich den Polizisten sogar auf Knien anflehen, mich gehen zu lassen. Aber Aarons Gesichtsausdruck ist ernst und entschlossen, er deutet auffordernd in Richtung meines freien Armes.

Resigniert nicke ich, drehe mein Handgelenk ein paar Mal hin und her und strecke es dem Polizisten hin. Krampfhaft versuche ich die Tränen zurückzuhalten, als er meinen Arm behutsam anhebt und die Handschelle schliesst.

"Geht das so?", fragt er mit einem kurzen Blick zu mir. 

"Ja", antworte ich mit bebender Stimme. Die Handschelle rastet mit einem Klicken um das Bettgitter ein.

"Wenn ein Einzelzimmer frei wird, bist du sie los", meint er beruhigend und lächelt mich aufmunternd an.

"Ich kann nicht einmal alleine ein Glas Wasser trinken", meine ich leise.

Aaron blickt auf meine Hand hinab, die ich demonstrativ so weit wie möglich ausstrecke. Sie reicht definitiv nicht zum Tisch, nicht einmal ansatzweise. 

"Ich kann das Bett hochfahren und ihn ranschieben", versucht es der Polizist nachdenklich und greift nach der Bedienung. 

"Versuch mal", weist er mich wenig später an. Ich bekomme das Glas knapp zu fassen, doch ich schaffe es nicht daraus zu trinken. Das Wasser schwappt über und Aaron seufzt. 

"Du musst klingeln, wenn du trinken willst, okay? Anders klappt das nicht. Tut mir leid."

Ihm scheint selbst klar zu sein, dass ich das nicht tun werde. Trotzdem zieht er den Klingelknopf so weit nach unten, dass er direkt neben meinen Fingern liegt.

"Wie lange bist du noch hier?", frage ich erschöpft. Der Gedanke, dass mir ein fremder Polizist auf Toilette helfen muss, ist mir noch mehr zuwider als die jetzige Situation.

"Bis fünf Uhr ungefähr", meint Aaron und wirft einen Blick auf die tickende Wanduhr gegenüber des Betts. Es ist bereits halb drei.

"Willst du, dass ich den Fernseher einschalte?"

Ich schüttle müde den Kopf. 

"Ich leg' dir die Fernbedienung hier hin, ja?"

Es klopft an der Tür. Eine junge Frau in Pflegekleidung erscheint in der Öffnung.

"So Herr Stern, ich bringe gleich Ihren Zimmernachbar", sagt sie lächelnd und verschwindet wieder aus dem Raum. Aaron erhebt sich rasch und deutet mit einer Hand auf den Klingelknopf.

"Einfach klingeln. Ich bin schneller da als die Pflege."

Der Polizist tritt in dem Moment zur Tür, indem die junge Frau mit einem Rollstuhl zurückkehrt. Mit ihr ein junger Mann, der mich interessiert mustert.

Mit einem "Tschuldigung, ich quetsch' mich noch schnell vorbei", drückt er sich lächelnd an den beiden vorbei.

"Schaffen Sie es alleine ins Bett, Herr Salewski?"

"Seh' ich schon so alt aus?", grinst der dunkelblonde Junge und bleckt dabei seine geraden Zähne. Leicht gekrümmt, aber mit funkelnden Augen und einem Lächeln hievt er sich auf sein Bett.

"Ich würde bei Ihnen noch rasch Werte nehmen, in Ordnung?", fragt die junge Frau und scheint seinem Charme bereits völlig erlegen. Ich schliesse die Augen und drifte in meine Gedanken ab, versuche das unangenehme Gefühl von Stahl an meinem Handgelenk auszublenden.

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