Kapitel 13.

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Ich warte. 

Vermutlich sind es nur Minuten, fünf, vielleicht sechs. Doch für mich fühlt es sich an für Stunden. Ich sollte vorher begriffen haben, dass er es ihr erzählen würde. Es ist schliesslich sein Beruf, -das Beste für mich, wenn sie es wüssten. Eigentlich hatten sie schon lange begriffen, worum es sich drehte. Sie wussten, dass mich jemand schlug, sie wussten auch das Papa abgehauen war und wahrscheinlich hatten sie vor mir herausgefunden, das Samuel schon lange tot war, -dass der lebende Zwilling nur ein Produkt meines Gehirns war. Und es brauchte nur einen kleinen Gedankensprung um auf eine der Ursachen zu kommen, vielleicht sogar auf beide. Aber die Beweise fehlten. Keine Mutter die auffindbar war, kein Zeuge, der reden wollte und ein Opfer das schwieg. 

Wie würde es jetzt werden? Jetzt wenn alle wissen würden, jetzt wenn sie einen Täter hätten? 

Dann schwingt die Tür wieder auf und im nächsten Moment stehen die Ärztin und der namenlose Sanitäter wieder im Raum. Ich suche ihre Blicke, schweife über die graugrünen Augen von Dr. Martinson, erwarte etwas Forschendes, Überlegenes, doch stattdessen sehe ich etwas wie Scham in ihrem Blick. Der Sanitäter begegnet meinem Blick mit einem aufmunternden Lächeln und tritt ein paar Schritte auf mich zu. 

"Andreas, die restlichen Sanitäter sind gleich bei dir und werden dich ins Krankenhaus mitnehmen, wo sie dich untersuchen. Du wirst dann hoffentlich in ein paar Stunden wieder bei uns sein. Es tut mir leid, aber ich...ich muss jetzt wirklich gehen...ich muss...aber...", sagt die Ärztin und ich sehe, wie sich abermals Tränen in ihren Augen bilden und ihre geröteten Lippen heftig zu zittern beginnen. 

"Schon okay...Ich komm klar", falle ich ihr ins Wort. "Schon okay."

Ein schwaches Lächeln zieht sich über ihr bleiches Gesicht und sie wischt sich mit einer raschen, ungelenken Bewegung die Tränen aus den Augenwinkeln, verschämt, so als ob sie Angst hätte in ihrer Schwäche gesehen zu werden. 

"Okay...Ich...ich werde da sein, wenn du zurück bist."

Mit einem letzten prüfenden Blick auf den Sanitäter, der wieder neben mir kniet, tritt sie aus dem Zimmer, lässt die Türe offen stehen, ihre Schritte verhallen auf dem Parkett. 

Am weissen Türrahmen klebt dunkelrotes Blut.

"Sie haben es ihr nicht erzählt", murmle ich, lausche den neuen Schritten, die jetzt hastig durch die Flure huschen. Er schüttelt den Kopf, wirft mir ein warmes Lächeln zu.

"Ich habe es dir doch versprochen. Dafür weiss ich jetzt etwas mehr über dich und dass die Dinge die du mir erzählt hast, tatsächlich stimmen."

"Sie vertrauen mir genauso wenig wie ich Ihnen", konstatiere ich mit einem müdem Lächeln, während ich höre, wie jemand in einiger Entfernung zu rufen beginnt. 

"Jetzt schon. Aber ich musste mich trotzdem versichern, dass du mich nicht bloss anlügst."

Er schenkt mir ein warmes Lächeln, das die blauen Sprenkel in seinen Augen zum Leuchten bringt. Eine Reihe makelloser weisser Zähne blitzt für den Bruchteil einer Sekunde auf, dann ist sie wieder verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. 

Und dann schiebt sich jemand in leuchtend rot-gelber Uniform durch den Türrahmen.

"Wessen Blut ist das?", ist das erste was ich zu hören bekomme, als die beiden Sanitäter sich neben dem Bettgestell niederknien. 

"Nicht seins. Wir waren ursprünglich wegen eines Suizides hier, aber da war nichts mehr zu machen", antwortet der Sanitäter ruhig und drückt mich mit einer Hand wieder nachdrücklich in die Kissen zurück.

"Er ist wohl zurückgetaumelt und gegen das Bettgestell geknallt. Er muss mehrere Minuten bewusstlos gewesen sein und hat Kopfschmerzen, deshalb würde ich ihn gerne mitnehmen."

Sein Kollege nickt knapp und wirft mir einen prüfenden Blick zu. "Hast du bereits einen Bodycheck gemacht?"

"Nein, ich bin nur zurückgekommen um die Jacke zu holen, also hatte ich nicht das richtige Material dabei. Ich habe mir den Kopf angeschaut, -eine frische Platzwunde und ein paar alte Narben."

"Gut. Wir sollten das jetzt dringend machen, schliesslich wissen wir nicht, was den Sturz verursacht hat und ob die Bewusstlosigkeit wirklich erst dem Sturz folgte und nicht umgekehrt.", meint der Sanitäter scharf und rutscht auf Knien näher an mich heran.

"Ich brauche wirklich keine weitere Untersuchung. Ich bin nur mit dem Kopf dagegen geknallt, weil ich zurückgetaumelt bin, wegen des ganzen Bluts und...Jonas...", unterbreche ich schwach und versuche mich abermals aufzurichten, werde jedoch von von zwei Händen prompt wieder nach hinten gedrückt. 

Der neue Sanitäter wirft mir einen genervten Blick zu, nickt allerdings schliesslich ohne seinen Kollegen an meiner Seite aus den Augen zu lassen. 

"Wir legen ihm den Stifneck an, den Rest machen wir im RTW", antwortet er schliesslich knapp und im nächsten Moment spüre ich bereits kalte Finger, die sich um meinen Nacken und an meine Seit legen. 

"Andreas, du darfst dich jetzt nicht bewegen, gar nicht verstanden? Wir werden dich jetzt umdrehen, damit wir besser an deine Halswirbelsäule herankommen. Hast du das verstanden?"

Ich will nicken, aber sofort wird der Griff um meinen Nacken fester und der Sanitäter wirft mir einen warnenden Blick zu. 

"Genauso nicht, Andreas. Und jetzt bitte stillhalten!", sagt er mit einem schiefen Lächeln im Gesicht, wird jedoch schlagartig wieder ernst, als ihm sein Kollege einen wütenden Blick zuwirft.

"Auf drei."

Ich spüre, wie sich der Griff an meiner Seite verstärkt. So fest, das es wehtut. Ich widerstehe dem Drang mich daraus herauszuwinden, hoffe nur das es bald vorbei ist. Er müsste nicht so fest zudrücken, das weiss ich, und ich frage mich weshalb er es tut.

"1."

Vielleicht ist er wütend. Oder einfach grob.

"2."

Wahrscheinlich bin ich es einfach nicht wert.

"3." 

Liebe, Zuneigung, Freundschaft, Sanftheit. Das bin ich nicht wert.

Ein erstickter Schmerzensschrei bricht aus mir heraus, während ich für die Bruchteile einer Sekunde fest zusammenzucke, als ich in einer viel zu schwungvollen Bewegung auf die Seite gedreht werde.

"Alles okay bei dir?", höre ich die Stimme des ersten Sanitäters nahe bei meinem Ohr.

Ein gedämpftes Murmeln ist die einzige Antwort zu der ich fähig bin, doch sein Kollege unterbricht mich sowieso knapp.

"C7 ist ganz?"

"Ganz, sieht alles gut aus."

"Hier, der Stifneck.", kommt die kurzatmige Antwort direkt.

Dann spüre ich den harten Plastik an meinem Haaransatz und ein unangenehmes Klicken in meinem Nacken. 

"Wir müssen ihn da rausziehen, wir können ihn nicht seitlich rausbekommen."

Und wieder schiesst der Schmerz stechend meinen Bauch hinauf. 


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