Kapitel 62. Freitagabend

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Explizite Triggerwarnung für körperliche Gewalt und Blut.

Es ist schon dunkel, als ich die Schule verlasse. Eigentlich ist es immer dunkel. Die langen Häuserzeilen verschmelzen morgens und abends mit dem schwarzblauen Himmel und innerhalb des grossen Altbaus mit seinen dunkelgrünen Wänden und kaum vorhandenen Fenstern bleibt es ewig Winter. Draussen riecht es nach Abgasen und feuchtkaltem Boden.

Ich ziehe die Jacke enger um mich, ihre Ärmel reichen mir höchstens bis zur Hälfte des Unterarms. Falc hat noch keine Zeit gefunden, irgendwas passenderes zu finden. Spielt auch kaum eine Rolle, sie ist besser als alle, die ich zuvor hatte und zur Schule sind es ohnehin nur fünfzehn Minuten. Zurück fühlt es sich an, wie zwei Stunden. Freitagabend, aber ich wohne nicht mehr im Kiez, die Strassen sind hier beinahe leer und die Schatten in den Hauseingängen nur Mülltonnen und Briefkästen.

Ich bin dumm genug, um auch den langen Schatten an der Hausecke dazu zu zählen. Sein Schlag trifft mich unvorbereitet, direkt ins Gesicht, mein Kopf nach hinten geschleudert. Der Schmerz kommt so plötzlich, dass ich nicht nachvollziehen kann, woher. Meine Sicht wird fleckig, als ich zurücktaumle, um meinem Angreifer auszuweichen. Ich sehe den zweiten Schlag nicht kommen.

Fuck, denke ich, als mich der dritte in die Magengrube trifft. Fuck, ich bin das nicht mehr gewohnt. Ich stolpere nach vorne, bekomme die feuchten Ziegel der Wand zu fassen. Nicht fallen, nicht fallen, ich halte mich fest, Ellbogen zur Seite. Der Mann mit vermummten Gesicht weicht taumelnd zurück, aber jemand packt mich an den Haaren, bevor ich überhaupt bemerken kann, dass er nicht allein war. Mein Kopf knallt gegen Ziegel, mein Gesicht fühlt sich nass und warm an, als ich den Halt verliere und zu Boden rutsche.

Die Stiefel vor mir spritzen Schneematsch in mein Gesicht, als der Mann mit einem Bein ausholt. Ich hebe die Arme davor, es tut trotzdem verdammt weh.

"Fresse halten...", sagt jemand hinter mir und noch mehr, aber ich verstehe den Rest nicht, weil mir Blut ins Ohr läuft. "...gute Idee...

Er tritt mir in den Rücken, trifft Knochen. Ich kriege schlecht Luft.

"Schwuchtel...", sagt irgendwer und ich ziehe die Knie an. Der Boden schwankt unter meiner Wange, etwas Feuchtes trifft mein Gesicht. Der Mann mit den Stiefeln holt wieder aus, ich ziehe mich auf die Knie, nur um rücklings wieder zu Boden gerissen zu werden.

"Schwuchtel", sagt der Mann wieder und tritt mir zwischen die Beine. Mein Kopf wird zur Seite geschleudert.

"...liebe Grüsse..."

Ich weiss nicht, ob ich mir Toms Namen danach einbilde oder nicht. Mein Kopf fliegt zur anderen Seite und knallt wieder gegen die scheiss Backsteinmauer. Und ich bin weg.

Sie sind nicht mehr da, als ich wieder zu Sinnen komme. Mit schmerzendem Schädel richte ich mich zwischen den Mülltonnen auf, das Blut ist ziemlich überall. Frustriert spucke ich es auf den feuchten Asphalt aus, fahre mit zitternden Fingern über den blutigen Nasenrücken, der ganz offensichtlich kaputt ist. Atmen ist schwer und die Plastiktüte natürlich weg, mein Handy aus meiner Jackentasche verschwunden und die Billiguhr von meinem Handgelenk.

Erschöpft lasse ich den Kopf gegen die Mauer sinken, versuche einen klaren Gedanken zu fassen. Fuck, mein Kopf tut so weh, ich glaube, ich fange an zu weinen. Ich muss aufstehen, nur noch ein paar Minuten bis nachhause. Am Anfang sind die Schmerzen weniger schlimm, noch viel Adrenalin im Blut. Aber mein Gott, es tut so weh.

SchattenfallWo Geschichten leben. Entdecke jetzt