Kapitel 49. Uno, dos, tres

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Nick grinst mich an. So breit, dass seine beunruhigend weissen Zähne blitzen und links von seinem Mund ein kleines Grübchen zum Vorschein kommt. Er grinst wie ein verdammtes Honigkuchenpferd, zumindest so wie ich mir ein Honigkuchenpferd vorstelle. Mit glitzernden braunen Augen unter verwuschelten honigblonden Haarsträhnen und ich spüre, wie mein Herz in meinem Brustkorb zu einer klebrigsüssen Masse schmilzt.

"Das ist toll! Das ist wirklich wirklich toll!"

Ich zwinge mich zu einem halbherzigen Lächeln, alles, damit er nie aufhört, so zu lächeln.

"Keine gemütliche Krankenhausstimmung mehr, wie schade!", witzelt er und lässt sich in einer wenig eleganten Geste aufs Bett kippen, sodass das Metallgestell unter mir bedenklich zu wackeln beginnt. 

"Uh, pass auf", gebe ich erschrocken von mir, aber Nick wirkt von meiner Sorge wenig beeindruckt und lässt sich bloss lächelnd auf den Rücken fallen, was abermals eine Erschütterung verursacht, die bestimmt eine 7 auf der Richterskala verdient hätte. 

"Sorry", entschuldigt er sich sofort und stützt sich wieder auf beide Ellbogen auf, um meinem Blick zu begegnen. 

"Ich will nur nichts kaputtmachen", gebe ich peinlich berührt von mir.

Nick grinst. "Wenn überhaupt habe ich etwas kaputtgemacht. Aber du hättest allen Grund hier alles kaputtzumachen – hasst du das ganze Zeug nicht?"

"Nein, nicht wirklich."

"Du kannst mir nicht erzählen, dass du das nicht von ganzem Herzen verabscheust", gibt er mit erhobenen Augenbrauen von sich und macht eine ausfallende Armbewegung in Richtung Raum.

Ich lasse meinen Blick durch das Zimmer schweifen, über die beigen Wände und schweren mausgrauen Vorhänge, die vor dem verschlossenen Fenster hängen. Grau, weiss, grau. Immerhin, der Stauschlauch auf dem Nachttisch ist gelb, gelb mit kleinen Schäfchen drauf. Springenden kleinen Schäfchen mit roten Mäschchen. 

Resigniert drehe ich mich wieder zu Nick hin.

"Okay, du hast recht. Ich hasse es."

Er lächelt. Er lächelt überhaupt die ganze Zeit. Seine ganze Kommunikation scheint auf Lächeln zu beruhen, er benutzt Dutzende Nuancen davon, vielleicht Hunderte, die sich nur in der Spannung einiger winziger Muskelfasern unterscheiden. 

"Okay, was hasst du noch?", fragt Nick salopp und blickt andächtig zu mir hoch, was mich einen Moment stocken lässt. 

"Was?"

"Eine Aufzählung."

"Eine Aufzählung?"

"Ja...!"

"Ich hasse viele Dinge. Ich glaube nicht, dass du das alles hören willst", sage ich unentschieden. Manchmal, nein, oft hasse ich alles. Mich, die Menschheit, die ganze Welt, das ganze All bis hin zur letzten Galaxie, zum letzten Stern, der ohnehin schon vor Jahrmillionen erloschen ist, wie es alle Hoffnungen tun.

"Doch will ich."

Dieses Mal lächelt er nicht, sieht mich nur eindringlich an. Weil ich erst jetzt begriffen habe, was du denkst, hat Aaron gesagt. Weil ich erst jetzt verstanden habe, was du wirklich bist. Nicht ganz richtig, nicht ganz richtig im Kopf, immer mit einem Fuss in dieser zerrenden, gefrässigen, rabenschwarzen, totenkopfspuckenden, friedhofslüsternen Masse. Ich hatte mich getäuscht, als ich sagte, dass ich keine Depressionen hätte, dass mit mir bis auf meinen fehlenden Lebensmut alles tipptopp und in Ordnung sei. Komm, ich bring mich um, weil ich dir auf die Nerven gehe, Mama, weil du ohne mich besser dran bist. Das tun gesunde Menschen nicht. Gesunde Menschen gehen, schliessen die Tür hinter sich und lassen das seelenaussaugende Geschöpf, diesen heroinsüchtigen Dementor einer Mutter hinter sich zurück.

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