Kapitel 40. Fremde Sterne

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Am nächsten Morgen piepst das Thermometer in meinem Ohr bei 39 °C und ich bin mir nicht mehr sicher, was gestern Fiebertraum und was Realität war. Erschöpft und bewegungslos bleibe ich im Bett liegen, während ein mir unbekannter Mann mit rotem Bart und blauem Pflegekasack mir eine Blutdruckmanschette um den Arm legt.

"Es geht auf und ab mit Ihnen, hm?", brummt er freundlich und notiert meinen Blutdruck auf dem Whiteboard an der Wand. Er ist deutlich freundlicher als meine letzte Bezugspflege und er scheint absolut keine Angst vor mir zu haben.

Ich schnaube verlegen. Die Uhr funktioniert immer noch nicht, aber es muss ungefähr sieben Uhr morgens sein. Bald schon ist Frühstückszeit. Schon beim Gedanken an essen, dreht sich mir der Magen um. Das Tablett mit Brötchen, kleinen goldenen Butter- und Marmeladepäckchen und dampfender Milch starrt mich an, wie ein unglücksverheissendes Denkmal für einen verlorenen Krieg. Ich habe schon vor Jahren jeden Spass am Essen verloren, vor Jahrzehnten wahrscheinlich. Es ist eine Qual, ein Muss, sonst nichts. Und das ich nicht mehr selbst essen kann, hilft nicht. 

"So, dann setzen wir uns mal gemeinsam auf, Herr Stern", meint der Pfleger gedehnt und mein Bett wird surrend nach unten gefahren.

"Und jetzt die Beine über die Bettkante", sagt er in einem amüsanten Singsang, der die Worte Beine und Bettkante seltsam betont. Meine Füsse streifen kaum den grauen, kühlen Boden, als es an der Türe klopft und Lucas Falc ins Zimmer hereinschneit. 

"Guten Morgen! Wie geht es unserem Sorgenkind heute?", fragt er mit einem warmen Lächeln und lässt sich auf seinem üblichen Platz neben dem Bett fallen. 

"Nicht so gut, wie ich es mir wünschen würde", meint der rothaarige Mann im Kasack, während er meinen Infusionsständer verschiebt, um den Zugang in meinem Arm nicht zu strapazieren. Gott, mir ist schwindelig.

"Bist du unter die Buchhelden gegangen?", murmle ich müde und deute mit einer Hand auf Falcs langen schwarzen Mantel. Der Kommissar lacht leise auf.

"Das Fieber ist wieder 'rauf gegangen, hm?"

"Unterkühlt ist er schonmal nicht", schnaubt der Pfleger. "Schaffen Sie es noch ein paar Bissen zu essen, Herr Stern." Ich glaube kaum etwas geht mir mehr auf den Geist, als gesiezt zu werden. 

"Muss ich?"

"Es schmeckt wirklich nicht schlecht. Versuchen Sie es einmal", meint er mit einem Augenzwinkern. 

"Wie heisst du eigentlich?", frage ich fahrig und höre Falc neben mir leise lachen. 

"Martin Lechner", sagt der Pfleger amüsiert und legt mir eine Hand auf die Schulter. Gott ich will gar nicht wissen, wie es sich anfühlt high zu sein, wenn ich mich schon mit Fieber so aufführe. 

"Meine Kollegin kommt gleich vorbei", meint Falc schliesslich, als die Tür hinter meiner Bezugspflege zuschlägt. Ein Schwall aus eisig kalter Luft strömt aus dem Flur ins Zimmer und lässt mich erschaudern.

"Toll."

"Mach dir keine Sorgen. Alles was du sagst, kannst du immer noch dem Fieber in die Schuhe schieben."

Ich zwinge mich zu einem Lächeln, doch anhand von Falcs besorgtem Gesichtsausdruck vermute ich, dass es eher einer gequälten Grimasse ähnelt. Heute wünsche ich mir körperlos zu sein, nur ein Geist oder ein Windhauch ohne lästige Masse, Schmerzen oder sichtbare Emotionen. Einfach nur eine leichte klaglose Brise. 

"Und Sie sind Herr Stern", reisst mich eine mir fremde Stimme aus meinen Träumereien. Ein Paar grauer Augen in einem markanten Gesicht mustert mich interessiert.

"Herr Stern ist im Moment wohl ein wenig auf einem anderen Stern", meint Falc an seine Kollegin gewandt und deutet auf meine Vitalparameter, die in krakeliger, roter Schrift über das halbe Whiteboard reichen.

"Andreas, das ist meine Kollegin, Kommissarin Yıldız."

Kommissarin Yıldız nickt mir freundlich zu und zieht gleichzeitig mit einer Hand den zweiten Stuhl an mein Bett heran. Im Gegensatz zu Falcs Serien-Bösewicht-Ästhetik, ist sie in Norweger-Pulli und Jeans gekleidet. Ihr To-Go-Kaffebecher steht langsam auskühlend neben der Nierenschale auf dem Waschbecken.

"Wir haben den gleichen Nachnamen, du und ich", sagt sie und verzieht die schmalen Lippen zu einem wohlwollenden Lächeln. Die beiden wären bestimmt das perfekte Tatort-Team. 

Ich bin mir nicht sicher, was darauf der richtige Konter wäre und so ist meine einzige Antwort ein jämmerlich mattes Lächeln.

"Ihr ermittelt doch nicht nur gegen mich, oder?"

"Wir ermitteln im Moment wohl eher für dich", sagt Falc und seufzt dann leise. "Die Staatsanwaltschaft kann allerdings die Ermittlungen als abgeschlossen erklären, wenn sie der Meinung ist, dass wir nichts mehr finden. Das ist der Zeitpunkt ab dem es brenzlig wird."

"Und wie nah ist dieser Zeitpunkt?", frage ich ohne viel Hoffnung.

"Das kann ich dir im Moment nicht sagen. Die Staatsanwaltschaft unterstützt unsere Ermittlungen zurzeit, aber der öffentliche Druck ist nicht zu unterschätzen", sagt der Kommissar, der offenbar den redseligen Part der beiden ausmacht.

"Was für öffentlicher Druck?"

"Mach dir keine Sorgen. Medienaufmerksamkeit wie diese flaut normalerweise nach einer Weile ab."

"Ich verstehe das nicht. An manchen Tagen sagst du mir, ich hätte kaum eine Chance und an anderen sagst du mir, ich sollte mir keine Sorgen machen", murmle ich erschöpft, ohne den Polizisten anzusehen. Wahrscheinlich werde ich einschlafen, sobald die Tür hinter ihm zu fällt. Falls er je zu gehen gedenkt. 

"Es...ist kompliziert", beginnt Falc. 

"Ist es? Du versuchst mich dazu zu zwingen, mich zu verhalten wie ein fröhlicher, gesunder Jugendlicher. Aber...das kannst du nicht. Ich bin nicht gesund, ich habe Schmerzen und Schlafmangel und ich schäme mich 90% der Zeit für simple Dinge, wie auf die Toilette zu gehen. Meine Mutter wurde gerade umgebracht und ich habe sie gefunden und ausserdem bin ich ohnehin ein emotional verkrüppeltes Wesen", sage ich viel zu schnell und viel zu zusammenhangslos.

Kommissarin Yıldız schnalzt mit der Zunge. 

"Lucas, auf ein Wort."

Falc seufzt und erhebt sich von seinem Stuhl.

"Ich will, dass es dir besser geht, Andreas...ich..."

Die Tür fällt mit einem Knarren zu und der übliche Windhauch rauscht durch den Raum. Ich wünsche mir, dass ich das Fenster öffnen könnte, um endlich wieder ein wenig frische Luft einzuatmen. Stattdessen surrt der Ventilator in der Ecke des hässlichen Zimmers munter und dreht dieselbe stickige Luft wieder und wieder.

Wahrscheinlich ist die Hölle nur ein schlecht belüftetet Krankenhauszimmer. Meine Stirn zumindest brennt wie das Höllenfeuer. 

Die Tür knarzt leise, als Falc wieder eintritt.

"Was...ist mit ihrem Körper passiert?", frage ich. "Mit Mamas Körper, meine ich."


Ich bin mit dem gesamten Buch nicht mehr zufrieden, deshalb überlege ich mir, es für eine Weile zurückzuziehen und zu überarbeiten. Aber mal schauen, vielleicht auch nicht.

Jedenfalls danke an alle, die hier kommentieren und abstimmen – es bedeutet mir wirklich viel.





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