86. The day she hates so much

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Julie stand im Arbeitszimmer und starrte an ihre Foto-Wand. Der Kaffee in ihren Händen wärmte ihre Finger. Sie war bestimmt schon seit drei Stunden wach. Mittlerweile war es schon neun Uhr. Charles lag noch eingekuschelt im Bett und schlummerte seelenruhig vor sich hin. Julie beneidete ihn dafür. Bevor sie sich um zirka sieben Uhr dazu entschlossen hatte aufzustehen um zu arbeiten, hatte sie schon eine Stunde wach da gelegen und an die Decke gestarrt. Ihre Schlafprobleme waren wieder mehr geworden. Seit Charles da war, waren die Schlafprobleme eigentlich so gut wie weg gewesen und Julie hatte gehofft, dass das auch anhalten würde. Aber das tat es nicht. Wenn man es genau betrachtete, war es nicht ungewöhnlich. Das Jahr steuerte auf den Tag hin, den Julie so sehr hasste. Ihr Herz zog sich für einen kurzen Moment zusammen. Ein tiefes Seufzen entwich ihrem Mund. 

Die Sonnenstrahlen kitzelten Charles Nasenspitze. Zufrieden atmete er Julies Duft ein, der ihn umhüllte. Charles streckte sich verschlafen und bemerkte dabei, dass die andere Betthälfte leer war. Verwirrt öffnete er die Augen und sah sich um.  Die Stelle an der Julie liegen sollte, war nicht mal mehr warm, was bedeutete, dass sie schon länger weg war. Müde strich sich Charles den Schlaf aus den Augen, bevor er widerwillig die Beine aus dem Bett und die Füße auf den kalten Boden stellte. Langsam schlurfte er aus dem Schlafzimmer. Automatisch lief er Richtung Küche und Wohnzimmer, doch dort fand er keine Julie. Ein Kurzer Blick ins Badezimmer verriet ihm, dass Julie auch da nicht war. Dann blieb nur noch eine letzte Möglichkeit und als Charles darüber nachdachte fühlte er sich dämlich, dass er da nicht als erstes nachgeschaut hatte. Das Arbeitszimmer, natürlich. Charles lehnte sich an den Türrahmen und beobachtete Julie, wie sie seltsam bedrückt vor den Fotos stand und sie anstarrte. Charles brauchte einige Zeit bis er ausmachen konnte auf welches Foto sie genau guckte. Es war ein Bild, das kurz nach ihrer Geburt geschossen wurde. Julie war als kleines verschrumpeltes Neugeborenes darauf, neben ihr stand ihr Vater und Ihre Mutter hielt sie im Arm. Vermutlich war es das einzige Bild, was von Julie und ihrer Mutter existierte, immerhin ist sie noch am gleichen Tag gestorben. Während er darüber nachdachte wurde auch er seltsam sentimental. Schnell schüttelte er den Gedanken ab und ging zu Julie. Behutsam legte er seine Arme um sie und seinen Kopf auf ihre Schulter. 

"Was machst du denn hier?" flüsterte er leise in ihr Ohr. "Ich hab nur ein bisschen gearbeitet." entgegnete Julie etwas lauter. Charles schmunzelte. Was auch sonst, dachte er sich. Er küsste behutsam ihre Wange. "Bist du schon lange auf?" Julie verharrte kurz, bevor sie den Kopf schüttelte. "Nicht lange, vielleicht eine Stunde oder so." Sie log. Sie wollte nicht, dass er sich Sorgen machte. "Hast du Hunger?" Julie drehte sich zu ihm um und grinste. "Mordshunger." Charles entwich ein Lachen. "Dann lass uns mal Frühstück besorgen." Julie nickte zufrieden und ließ sich von Charles Richtung Küche ziehen, während sie noch ein letztes Mal zurück schaute, bevor sie ihren Blick endgültig von dem Foto löste. 

Der Tag plätscherte so vor sich hin und ehe sie sich versahen, stand Julie vor ihrem Auto und sah Charles dabei zu wie er ihren Koffer einlud. Wie immer, war sie schon wieder auf dem Weg nach Maranello auch wenn Charles versucht hatte dagegen zu protestieren. Wie immer ohne Erfolg. 

"Warum kannst du nicht hier bleiben?" quengelte er erneut. Julie entwich ein kleines Lachen. "Weil ich einen Job habe? Der auch noch ziemlich wichtig ist, wie du weißt." Charles schnaubte. "Aber warum kann ich denn nicht mitkommen?" fragte er traurig, obwohl er die Antwort natürlich kannte. "Weil Andrea ein fantastisches Training für dich vorbereitet hat." "Aber er kann ja mitkommen." "Das wolltest du nicht, weil Andrea eine Familie hat die er eh schon viel zu selten sieht." Charles sah Julie schmollend an, diese hob abwehrend die Hände. "Deine Worte, Mister Leclerc." rechtfertigte sie sich, was Charles Stimmung aber nicht hob. "Warum war ich nur so dumm?" Julie lächelte sanft und streichelte über Charles Wange. "Weil du einer der selbstlosesten Menschen bist, die ich kenne und deswegen liebe ich dich so wahnsinnig." Julie vereinte ihre Lippen mit denen von Charles, was er nur gerne annahm. Sie verloren sich in einem langen innigen Kuss, den beide bis zur letzten Sekunde genossen. Charles ließ seine Stirn an Julies verweilen und sog ein letztes Mal, für die nächsten Tage ihren Duft ein. "Schnell steig ein, bevor ich dich niemals gehen lasse." Flüsterte Charles und küsste Julies Stirn, bevor er sie zur Fahrertür schob. Julie ließ es zu und setzte sich ins Auto. Schweren Herzens schloss sie die Tür und startete den Motor. Sie winkte Charles ein letztes Mal zu, bevor sie davon fuhr. Charles blieb an der Straße stehen bis Julies Wagen hinter den Häusern verschwand und sogar noch ein wenig länger. 

Während Julie davon fuhr, wurde ihr wieder einmal bewusst wie sehr sie Charles liebte und wie dankbar sie war ihn zu haben. Er gab ihr ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Er machte sie Glücklich. Doch je länger sie fuhr und desto weiter sie sich entfernte, um so schneller schlichen sich die Bedrückenden Gefühle vom Morgen an. Sie legten sich wie ein Schleier über sie und dämpften alles ab. Normalerweise liebte Julie es selbst nach Maranello zu fahren, doch dieses Mal fühlte sich jeder Kilometer länger an, als der davor. Geschafft und müde von der Fahrt, ließ sie sich ohne Abendessen und ohne sich richtig bei Charles zu Melden ins Bett fallen. Alles was sie ihm zukommen ließ, war ein kurzes: 'Bin sicher angekommen. Ziemlich fertig von der Fahrt und gehe direkt schlafen. Liebe dich :*' Zwar etwas irritiert aber nichts ahnend antwortete Charles und beließ es dabei. 'Ich liebe dich auch. Schlaf schön und erhol dich gut.' Julie ließ die Nachricht nur kurz über ihre Netzhaut huschen, ehe sie sich erschöpft in den Schlaf gleiten ließ. 

I didn't see that coming...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt