50. 15 hours and 36 minutes

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"Wie? Wo hast du denn Charles gelassen?" fragte Julies Oma überrascht als sie ihrer Enkelin die Tür öffnete. "Wie? Muss ich jetzt jedes Mal mit einem Rennfahrer hier auftauchen?" rief Julie empört. "Es gab Zeiten, da hab ich euch als Rennfahrerin und Enkelin gereicht." sagte sie beleidigt. Maria verdrehte die Augen über die Theatralik ihrer Enkelin und scheuchte sie stattdessen ins Esszimmer. Dort angekommen standen auf dem Esstisch schon ein großer Kaffee und ein großes Stück Apfelkuchen für Julie bereit. Zufrieden nahm Julie auf ihrem Stuhl platz und griff als erstes nach dem Kaffee. "Nirgendwo ist es so schön wie Zuhause." murmelte sie glücklich ihren Kaffee am schlürfen. "Für dich alles mein Schatz." Maria strich ihr liebevoll über die Wange. "Wie geht es deiner Hand?" fragte sie mit einer Spur von Besorgnis in der Stimme und ließ ihren Blick auf die Hand wandern, an der noch vor ein paar Tagen eine klobige, schwarze Schiene war. "Alles supi. Mittlerweile ist das seltsame Gefühl beim Bewegen verschwunden. Ich mache fleißig meine Übungen und mit jedem Mal ist es etwas weniger Anstrengend." fasste sie kurz zusammen und konnte beobachten wie sich das Gesicht ihrer Oma wieder entspannte. "Das freut mich." sagte sie lächelnd. 

"Schmeckt der Kuchen?" Julie nickte während sie zufrieden mampfte und ihr der ein oder andere Krümmel zurück auf den Teller fiel. "Wie geht es denn Charles?" fragte Maria neugierig. Julie nahm sich eine Sekunde bevor sie antwortete. Sie musst sich gut überlegen was sie sagte. Es gab nämlich niemanden, der so gut darüber bescheid wusste, was in Julies Kopf vorging wie ihre Zieh-Mutter. Manchmal hatte Julie das Gefühl ihre Oma wusste besser was sie dachte, als Julie selbst. "Dem geht's gut. Er bereitet sich auf den Spanien GP vor und Morgen fahren wir ja nach Maranello für die Testfahrten, da hat er nochmal die Möglichkeit das Auto besser kennen zulernen." erzählte sie sachlich und so neutral wie möglich. "Ihr fahrt zusammen?" fragte Maria nach und Julie wusste genau was der Unterton in ihrer Stimme bedeutete, doch Julie bleib entspannt. "Ja, es macht wenig Sinn wenn wir nicht zusammen fahren, obwohl wir so nah zusammenwohnen. Außerdem ist es glaube ich ganz gut, wenn ich die Möglichkeit hab, nicht die ganzen vier Stunden Auto fahren zu müssen und auch mal eine Pause machen kann." Julie war sich sicher, dass sie nichts verfängliches gesagt hatte und doch sah sie ihrer Großmutter an, dass es in ihrem Kopf ratterte. Julie trank den letzten Schluck ihres Kaffees und stellte die leere Tasse zurück auf den Tisch. 

"Möchtest du noch einen?" Julie schüttelte den Kopf und die Augen von Maria wurden groß. "Ich glaube, seitdem du 15 bist, habe ich noch nie mitbekommen, wie du zu Kaffee nein gesagt hast." stammelte sie fast erschrocken. Julie zuckte unbeeindruckt mit den Schultern. "Ich trinke seit kurzem einfach nicht mehr so viel Kaffee, keine Ahnung warum." Maria musterte ihre Enkelin genau und analysierte jeden Zentimeter ihres Gesichts. "Du siehst auch viel besser aus. Frischer irgendwie, rosige Wangen, keine Spur von Augenringen. Schläfst du mehr?" In dem Moment, in dem Maria es ansprach fiel es Julie auf. Sie schlief wirklich mehr. Zwar war sie immer noch ein Frühaufsteher, aber sie schlief viel schneller ein und wachte Nachts nicht mehr auf. "Ja, ich schlafe schon mehr." bemerkte Julie und sagte es mehr zu sich selbst. "Und was ist mit deinen Alpträumen?" stocherte Maria weiter neugierig nach. Julie zuckte mit den Schultern und überlegte. "Der letzte ist vier oder fünf Wochen her, glaube ich." "Interessant." Julie sah ihre Oma verwirrt an. "Was ist interessant?" fragte sie, nichts gutes vermutend. "Ach nichts." Julie beobachtete Maria mit verengten Augen und ihr war natürlich klar, dass etwas war. Aber sie wusste auch, dass ihre Großmutter im Gegensatz zu Julie kein Plappermaul und unschlagbar darin war, etwas für sich zu behalten. Julie musste sich also damit abfinden weiter nichts zu wissen. Um diese Enttäuschung zu verkraften nahm sie sich noch ein Stück Kuchen und mampfte weiter.

"Und Big Joe?" fragte Julie nachdem auch ihr zweites Stück Kuchen vernascht war. "Auf der Rennstrecke." Julie lächelte. "Die Frage hätte ich mir eigentlich auch selber beantworten können." stellte sie fest. "Ja das neue Junior-Team nimmt ihn voll und ganz ein. Er ist überzeugt, dass sie alle mal Weltstars werden." "Ist er das nicht immer?" fragte Julie schmunzelnd, wenn sie zurück an ihre Zeit im Junior-Team dachte. "Ja vermutlich schon, aber das motiviert die Kids. Dadurch arbeiten sie intensiver und erreichen demnach auch mehr." "Ja an den Effekt kann ich mich auch gut erinnern." "Naja du hast sowieso jede freie Sekunde auf der Rennstrecke verbracht. Dich musste man nicht motivieren." ergänzte Maria und hatte augenblicklich die kleine Julie in ihrem viel zu großen Rennanzug vor den Augen, wie sie an ihrem Kart rumbastelte. Nach der Schule radelte sie immer sofort zur Rennstrecke und sah den Älteren beim Fahren zu. Schon damals machte sie sich Notizen und analysierte die Fahrweisen der Fahrer. Während andere Kinder draußen spielten drehte sie Runde für Runde in ihrem Kart auf der Strecke und Niemand konnte sie davon abhalten. Sie stieg erst aus, wenn die Reifen aufgaben oder der Sprit leer ging. Sie aus dem Kart wieder raus  zubekommen glich einer Olympischen Disziplin. Es passierte nicht selten, dass sie in der Werkstatt einschlief, während sie Big Joe dabei zusah wie er an verschiedenen Autos rum schraubte. Während Maria daran zurück dachte, schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen. 

I didn't see that coming...Nơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ