Alles oder Nichts

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So kam es, dass ich nach genau einer Woche an einem Samstagmorgen, völlig übermüdet aus dem Bett stieg und sogar fast auf Tiagos Schwanz trat, der noch direkt neben meinem Bett schlief. Die halbe Nacht hatte ich mir Gedanken über das Outfit gemacht, das ich anziehen würde. Zumal ich die ganze Aktion sogar schon fast wieder abblasen wollte. Doch ich durfte jetzt nicht kneifen. Ich hatte immerhin zugesagt und was sollte mir da denn schon passieren? Es war der Himmel. Das etwas Schlimmes passieren würde, war also mehr als unwahrscheinlich.

Mein Weg führte ins Bad, wobei ich den Blick in den Spiegel vermied und direkt unter die Dusche sprang. Es würde noch etwas dauern, bis Raphael auftauchen würde. Immerhin überließ er mir genug Privatsphäre und beobachtete mich (hoffentlich) nicht beim Duschen. Er hatte aber bestimmt besseres zu tun als das. Es wunderte mich allerdings etwas, dass wir so lange nichts von Luc gehört hatten. Selbst wenn die Engel in meiner Nähe waren, hätte Lucifer doch trotzdem einen Versuch wagen können, mir nahe zu kommen. Scheinbar war dies jedoch nicht passiert. Es war still. Fast schon zu still.

„Make-Up, Haare, Kostüm." Zählte ich leise auf, nachdem ich die Dusche wieder verlassen hatte und mir ein Handtuch um den Körper wickelte. Dass ich überhaupt ein Kostüm anziehen wollte, war das Ergebnis meines freien Willens gewesen. Gedanklich malte ich mir schon einen komplett weißen Raum aus, mit hunderten blonden Köpfen, hunderte strahlend blaue Augenpaare und ebenso strahlend weiße Kleidung. Mit meinem Kostüm würde ich dort auffallen wie ein Schwarzes Schaf unter hunderten weißen. Denn genau so würde ich auch aussehen.

Ich öffnete die Tür etwas, damit der Wasserdampf aus dem Badezimmer entweichen konnte und widmete mich dann meinem Spiegelbild. Mein Körper wurde durch das Handtuch glücklicherweise bedeckt, sodass ich mich nicht gezwungenermaßen ansehen musste. Nur meine auffälligen Schlüsselbein-Knochen waren zu sehen, mein markantes Kinn, meine eingefallenen Wangen und die tiefen, dunklen Ringe unter meinen Augen. Ich hasste es, mich im Spiegel anzusehen. Jedes Gramm Fett zu viel wurde dadurch für mich sichtbar und ich hasste es, dies zu sehen. Einer der vielen Gründe, warum ich kaum etwas aß.

Ich schminkte mich dezent, föhnte meine Haare und ließ sie schließlich offen meinen Rücken herunterfallen. Meine Nacht war schrecklich gewesen. Eindeutig fehlte mir der Schlaf, was nun zu gut in den dunklen Augenringen sichtbar geworden war. Zumindest hatte ich sie mit Concealer ein wenig kaschieren können. Jetzt fehlte nur noch das Kostüm und ich machte mir mittlerweile Gedanken, ob es nicht zu viel des Guten war. Das ganze Kostüm entsprach purer Ironie, für eine Feier im Himmel. Doch es war Halloween .. sollte man sich dann nicht als etwas verkleiden, das einem irgendwie Angst machte?

Den Anfang machte der ziemlich kurze schwarze Rock. Darüber eine Art Korsett, welches meine Figur nur noch mehr betonte. Über die dunkle Strumpfhose zog ich zwei schwarze Strümpfe, die mir bis über die Knie reichten. Zudem trug ich Handschuhe, ebenfalls in schwarz, die über meine Ellenbögen, bis fast zu meinen Schultern gingen. Schwarze Stiefel zierten meine Füße und verliehen mir somit noch ein paar Zentimeter an Höhe. Diese Kleidung allein war schon gut genug und absolut ausreichend. Sie ähnelte schon fast einem Begräbnis, doch dafür war es wohl ein wenig zu .. sexy.

Nun kamen die Punkte, bei denen ich am kritischsten war. Ein Paar kleine Flügel, die an meinem Rücken befestigt waren. Doch im Gegensatz zu denen von normalen Engel (wie ich vermutete), waren diese hier ebenfalls schwarz und verliehen dem Ganzen den Eindruck von einem 'Todesengel'. Dann gab es allerdings etwas, wofür alle Engel mich vermutlich hassen würden. Es waren die zwei kleinen schwarzen Hörner, die sich auf meinem Kopf befanden und durch einen Haarreif dort Halt fanden. Genau aus diesem Grund wirkte es so ironisch.

Jemand der den Himmel zum ersten Mal besuchte, trug Teufelshörner auf dem Kopf und pechschwarze Flügel. Das war bestimmt ein Fehler und dennoch gefiel mir dieses Outfit. Es machte mich .. einzigartig. Obwohl ich als lebender Mensch dort oben wohl einzigartig genug sein würde. Wenigstens war ich bei diesem Kostüm mit meiner Figur zufrieden. Der Rest konnte mir also egal sein. Auf die Meinung von anderen hatte ich sowieso nie sehr viel wert gelegt. Solange es nicht um meine Figur ging. Da war ich wohl etwas sensibel.

Alles in einem gefiel mir das Kostüm sehr gut. Durch die Ironie in sich selbst harmonierten die verschiedenen Teile sehr gut miteinander. Zum Teil Engel, zum Teil Teufel. Zum Teil Engel aber auch dunkel. Zum Teil Engel aber auch .. kein Engel. Fast wie eine Beschreibung von mir selbst. Ich war kein Engel, doch ein Teufel war ich auch nicht. Ich war ein Mensch und Menschen vereinten die Dinge beider Seiten in ihrem Inneren. Ich stand nicht auf einer Seite und würde mich auch nicht für eine dieser entscheiden. Ich war beides. Gut und Böse. Alles vereint in meiner Persönlichkeit.

Nachdem ich mich also umgezogen hatte, verließ ich das Bad wieder und entdeckte kurz darauf einen Teller auf meinem Bett. Ein einfaches Croissant lag darauf und ich konnte mir schon denken, wer es dort abgelegt hatte. Daneben lag ein kleiner Zettel mit nur ein paar wenigen Worten darauf 'Vergiss dein Frühstück nicht! -Raph' So nervig ich es auch fand, wenn er mich zum Essen zwang, doch an diesem Tag würde ich diesen Croissant wohl vertragen müssen. Es würde ein langer Tag werden und ich hatte nicht unbedingt vor, dort oben im Nichts wieder einen Zusammenbruch zu erleiden.

Ich setzte mich also auf mein so unglaublich gemütliches Bett, in dem ich gerne noch etwas länger geschlafen hätte und begann das Croissant zu essen. Zwar mit langsamen und kleinen Bissen, doch immerhin aß ich es. Als ich damit fertig war, fühlte ich mich etwas unwohl bei dem Gedanken an die Zahl der Kalorien, die nun durch meinen Körper jagten. Ich versuchte dieses Gefühl jedoch zu ignorieren, stand auf und brachte den Teller in die Küche. Amanda hatte ich für heute frei gegeben. Ihr zu erklären, dass ich für eine Halloween-Feier in den Himmel reisen würde, wäre bestimmt alles andere als leicht. Sie würde nur nachher mal vorbeikommen um nach Tiago zu sehen.

Zumal ich mir nun die Frage stellte, wie zur Hölle ich überhaupt dorthin gelangen sollte. Vor einigen Wochen hätte ich noch gelacht, wenn mir jemand erzählt hätte, dass ich für einen kleinen Ausflug in den Himmel reisen würde. Doch in diesem Augenblick machte sich sogar etwas wie Nervosität in mir breit. Ich hoffte nur, dass wir dorthin nicht fliegen mussten. Alles andere war mir herzlichst egal, solange ich einen einigermaßen festen Boden unter den Füßen hatte und nicht tausende Meter in den Abgrund und somit auf unsere geliebte Mutter Erde schauen musste.

Ich wusste nicht wann Raphael auftauchen würde, doch solange packte ich mir eine kleine Handtasche mit den notwendigsten Dingen zusammen. Man wusste ja nie, ob dort oben vielleicht doch etwas schiefging. Für den Ernstfall sollte an immer vorbereitet sein. Tiago schlief noch immer tiefenentspannt. Lange hatte er sich nicht mehr so seltsam verhalten, obwohl Raphael des Öfteren aufgetaucht war und auch Chamuel mir damals einen Besuch abgestattet hatte. Lediglich bei Luc .. ich meine Lucifer .. hatte er sich so seltsam benommen. Er hatte die Gefahr vermutlich schon vor mir gespürt.

Wenn der Husky also seelenruhig schlief, konnte dies ein Zeichen dafür sein, dass alles in bester Ordnung war. Oder es war die Ruhe vor dem Sturm, wie man ja immer so gerne sagte. Nur hoffte ich, dass an dem heutigen Tag so ein Sturm ausbleiben würde. Es war schon schwer genug zu verkraften, dass so etwas wie der Himmel wirklich existierte und ich diesen in kurzer Zeit sogar selbst betreten würde. Es war so absurd, so verrückt .. und dennoch das normalste, was mich in meinem Leben hätte treffen können. Wir würden nur zusammen feiern. Hierbei ging es nicht um diplomatische Gespräche oder dergleichen.

EinKlopfen an der Schlafzimmertür riss mich aus den Gedanken und ich blicktesofort aufmerksam dorthin. „Elodie? Darf ich die Tür aufmachen oder muss ichnoch weitere 10.000 Stunden warten, bis du endlich fertig bist?" fragte eineruhige aber tief klingende Stimme von draußen, die ich eindeutig als Raphaelidentifizierte. „Einen Moment." Gab ich als Antwort, rückte mein Kostüm kurzzurecht und trat dann näher zur Tür. Jetzt kam der interessante Part. Wie würdeRaphael auf mein so kreativ entworfenes Outfit reagieren? Mein Herzschlagbeschleunigte sich etwas, als ich meine Hand nach dem Türgriff ausstreckte unddie Tür öffnete. Jetzt gab es nur diese 50/50 Chance. Alles oder Nichts.

Des Teufels KöniginWhere stories live. Discover now