Ich ohne ihn

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„Ich will ihn sehen, Chamuel. Bitte." Es klang schon fast wie ein Flehen, als ich diese Worte erneut aussprach. Nachdem Lucifer und Levia gegangen waren, hatte sich eine seltsame Stille in diesem Haus breit gemacht. „Das geht nicht, Elli. Er ist weg." Noch immer saß ich auf dem Sofa und blickte fast durchdringend zu Chamuel, der nun neben mir saß. Ich konnte einfach nicht wahrhaben, dass Raphael wirklich nie wieder zurück kommen würde. Dass das hier nun sein Ende war. Unser Ende.

„Es tut so weh.," hauchte ich leise, woraufhin der blonde Engel mich in eine Umarmung zog. „Ich weiß, Elli. Du musst jetzt stark sein, okay? Raph hätte das so gewollt." Hörte ich ihn murmeln. Doch damit erinnerte er mich nur erneut an die grauenhafte Szene, die sich vor nur wenigen Stunden hier ereignet hatte und mir traten wieder Tränen in die Augen. Raphael war nicht tot. Das hatte Lucifer deutlich gemacht und er musste es schließlich wissen. „Ich verstehe das nicht. Warum Raphael? Ich hätte es sein müssen! Er hat doch überhaupt nichts damit zu tun." Schluchzte ich leise und Chamuel löste sich aus dieser Umarmung, um mich anzusehen. „Er hat dir das Leben gerettet, weißt du noch? Er war ein Grund für dich, hier auf der Erde zu bleiben."

„Was passiert denn jetzt mit ihm? Er ist doch ein Erzengel, etwas Besonderes. Das hätte nicht passieren dürfen." Cham schüttelte langsam den Kopf. Auch wenn er es nicht zeigte und von außen so wirkte, als würde ihn das alles nicht treffen, konnte ich doch irgendwo in seinen Augen einen kleinen Punkt entdecken, der seine Trauer widerspiegelte. „Es tut mir leid Elli. Er ist ein Erzengel.. war.. aber auch sein Platz wird einfach an jemand anderen weitergegeben. Mach dir darum jetzt keine Sorgen." „Kannst du das nicht machen?" fragte ich ihn plötzlich und ein winziger Funken Hoffnung blitzte in meinem Inneren auf. Jedoch schüttelte Chamuel nur erneut den Kopf.

„Es wäre mir eine Ehre, seine Aufgabe zu übernehmen aber das kann ich nicht. Einem Erzengel wird nur eine Aufgabe zugeteilt und ebenso auch nur ein Schützling." Der winzige Funken Hoffnung erlosch sofort, als er diese Worte sagte. Raphael war weg und damit auch all unsere schönen Momente, die wir zusammen erlebt hatten. Sowohl bewusst als auch unbewusst. So klein diese Momente auch waren. „Wenn er jetzt im Höllenfeuer ist.. was.. passiert dann mit mir?" meine Stimme war leise, als ich diese Frage stellte. Ich musste mir selbst eingestehen, dass ich sogar etwas Angst vor der Antwort hatte. Was war ich ohne Raphael an meiner Seite?

„Mit dir passiert gar nichts. Wie du weißt, gibt es Menschen, die keinen Schutzengel besitzen. Manche sind einfach zu dämlich dafür und in ganz seltenen Fällen.. lernen sie ihren Schutzengel sogar kennen. Du bist glücklicherweise kein Adrenalinjunkie, der ständig auf Berge klettert, im Rennsport fährt oder irgendeinen Blödsinn anstellt. Für dich ändert sich gar nichts, solange du ein wenig auf dich aufpasst." Erklärte mir der blonde Engel mit diesen so strahlend blauen Augen, die im Augenblick jedoch eher wie das stürmische, offene Meer wirkten. Einen Hauch dunkler als gewöhnlich. „Dir wird das vermutlich nicht gefallen aber ich habe Lucifer gebeten, an Raphaels Stelle auf dich aufzupassen. Was das betrifft, ist er.."

„Du hast was..?" Ich blickte ihn nur fassungslos an. Meine Stimme war noch immer leise, denn zum Laut werden fehlte mir einfach die nötige Motivation. „Hätte ich Lucifer nie kennengelernt, wäre das hier nie passiert und du bittest ihn darum, auf mich aufzupassen?" ich schüttelte demonstrativ den Kopf und rutschte ein Stück von ihm weg. „Elli, es ist nur zu deinem Besten. Lucifer kennt die Hölle und seine Familie besser als wir alle. Wenn jemand dich vor dem Teufel beschützen kann, dann ist er das." Wieder schüttelte ich nur den Kopf. „Warum nehmt ihr mich nicht einfach wieder mit in den Himmel? Ich war doch schon einmal dort, ich könnte doch.."

Meine Stimme wurde nun doch etwas lauter, während ich angestrengt darüber nachdachte, wie ich dieser aktuellen Situation am besten entkommen konnte. „Ich weiß, was du denkst aber auch das geht nicht. Ein paar Tage, vielleicht. Aber für den Rest deines Lebens.. das würdest du nicht aushalten. Ein lebender Mensch gehört nicht in den Himmel." Daraufhin schwieg ich erstmal und versuchte die vielen Gedanken in meinem Kopf wieder etwas zu ordnen. Die gequälten Schreie, die mein Inneres aufzufressen versuchten, machten dies jedoch ziemlich schwierig. Doch lieber hörte ich sie in meinem Kopf, als all den Personen um mich herum zeigen zu müssen, wie es wirklich in meinem Inneren aussah.

„Ich werde darauf achten, dass Lucifer keine Dummheiten macht, okay? Ist das in Ordnung?" fragte er mich und ich seufzte leise, ehe ich mir über die Augen fuhr um die unvollendeten Tränen zu entfernen. „Habe ich denn eine andere Wahl?" stellte ich als Gegenfrage, woraufhin sich sogar ein leichtes Lächeln auf Chamuels Lippen bildete. „Wir sind für dich da, Elli. Jeder einzelne von uns." Antwortete er mir, erhob sich dann aber von seinem Platz. „Ich gehe schwer davon aus, dass du heute noch nichts angemessenes gegessen hast.. wie wäre es mit Nudeln?" fragte er mich und noch bevor ich mit einem langsamen Nicken darauf reagieren konnte, machte er sich bereits auf den Weg in die Küche.

Ich fühlte mich leer. Wortwörtlich zerschmettert. Als hätte irgendetwas meine gesamte Lebenskraft aus mir herausgesogen und nur diese stumpfe Hülle zurückgelassen. Es war nicht das selbe Gefühl wie in der Hölle. Dort war mir alles regelrecht egal gewesen. So war es in diesem Augenblick nicht. Es war eher wie ein schwarzes Loch in das ich fiel. Ein freier Fall in die bodenlose Tiefe. Ich kannte dieses Gefühl bereits. Es war mir nicht fremd. Doch das letzte Mal, dass ich mich so gefühlt habe, war nun schon einige Jahre her. Damals hatte sich mein gesamtes Leben verändert und so geschah es auch dieses Mal. Ich musste nur hoffen, dass nicht alles davon etwas Schreckliches war.

Es dauerte eine Weile bis Chamuel aus der Küche zurückkam und einen Teller mit Nudeln vor mir abstellte. „Es wirkt fast so, als wäre es dir egal, dass Raphael weg ist." Murmelte ich leise, was Cham kurz inne halten ließ. „Wie du schon sagst, es wirkt so." Er hielt mir eine Gabel hin, die ich entgegen nahm, ehe er sich schließlich wieder neben mich setzte. „Ich kannte ihn schon, bevor du überhaupt existiert hast, Elli." Er konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen. „Er war wie ein Bruder für mich. Ich kann um ihn trauern, ohne das zeigen zu müssen. Im Augenblick gibt es Wichtigeres worum ich mich kümmern muss.

Ich runzelte leicht die Stirn. Meinerseits gab es im Moment nichts Wichtigeres als Raphael, der seit diesem einen Moment das einzige war, woran ich dachte. Was gab es denn noch Wichtigeres als ihn? „Und das wäre?" Chamuel griff nach dem Teller der vor mir stand um reichte ihn mir „Du." Ich schwieg daraufhin nur, nahm ihm den Teller ab und begann schließlich langsam die Nudeln zu essen. Dass ich im Augenblick wichtiger war als Raphael, den er sogar als seinen Bruder bezeichnete, war völlig absurd. Der Teufel war wieder weg, also bestand im Augenblick keine Gefahr für mich.

„Ich weiß nicht genau, was mit ihm in der Hölle passiert aber ich werde sehen, was ich tun kann. Raphael ist nicht tot, er.. ist nur an einem Ort ganz weit von uns entfernt." Auch diese andere Umschreibung für die Tatsache, dass ich Raphael vermutlich nie wieder sehen würde, machte das Ganze nicht gerade besser. „Was willst du denn tun? Nicht einmal Luc und Zane können etwas gegen ihren Vater tun. Von Levia ganz zu schweigen. Wir können Raph nicht helfen. Keiner von uns kann das." Ich lachte leise auf. Es kam einem so vor, als würden die Engel nie ihre Hoffnung verlieren, egal was geschah. Doch ich wusste es besser. Solange der Teufel existierte, war Raphael dem Tode geweiht.

„Elodie?" Ich verschluckte mich direkt an einer der Nudeln, als ich plötzlich diese mir so bekannte raue Stimme vernahm und brauchte einen Augenblick, bis ich dies wieder im Griff hatte und die Person, zu der die Stimme gehörte, feindselig anstarren konnte. „Ich denke, sie hat sich deutlich genug ausgedrückt, Lucifer. Lass sie in Ruhe, wenigstens heute." „Wir ändern nicht einfach die Spielregeln, Chamuel. Du sagtest, ich soll auf sie aufpassen. Also mache ich das auch. Ich musste nur zuvor etwas klären." Es war ein regelrechtes Knurren, welches von Lucifer ausging. Ich wagte es kaum, weiter zu essen, um mich nicht erneut zu verschlucken, sobald er auch nur etwas sagte. Das er auf mich aufpassen sollte, war mir bedauerlicherweise bewusst, doch warum er genau jetzt so darauf bestand, war mir unklar.

Wirhatten uns zwar einander genähert, durch diesen Vorfall mit Raphael schien esjedoch so, als hätte ich das kleine bisschen Vertrauen in ihn schlagartigverloren. Chamuel war der einzige, dem ich im Augenblick noch seelenruhig überden Weg traute. „Wenn du dich also bitte zu deinem eigenen Schützling verkriechstund mich mit Elodie alleine lässt, wäre ich dir sehr dankbar." „Du wärstdankbar?" Es folgte ein verächtliches Schnauben von Chamuel, der sichallerdings widerwillig von seinem Platz auf dem Sofa erhob. „Dankbarkeit siehtdir gar nicht ähnlich." 

Des Teufels KöniginOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz