Kapitel 1 - Kleider machen Leute

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Zappelnd stand ich auf dem Schemel und ließ mir den Umhang von Madam Malkin zurechtstecken. Gerade hatte ich eine kleine, dunkelhaarige Gestalt neben einem wahren Riesen durch das Schaufenster des Ladens gesehen, die unwillkürlich meinen Blick auf sich gezogen hatten. Daher bemühte ich mich, über den Kopf von Madam Malkin hinwegzusehen um einen weiteren Blick auf den Jungen und den Riesen erhaschen zu können.

„Könntest du bitte stillhalten, meine Liebe?", bat mich Madam Malkin. Sie sprach etwas undeutlich, was allerdings an den Stecknadeln liegen könnte, die zwischen ihren Lippen klemmten.

Ich versuchte nun weniger herumzuhampeln, schließlich wollte ich nicht von einer der sehr spitz aussehenden Nadeln durchbohrt werden. Misstrauisch beäugte ich mich im Spiegel konnte aber noch keine falsch platzierte Nadel entdecken. Dafür aber meinen Cousin Draco Malfoy, dem sein Umhang gerade ebenfalls angepasst wurde. Wie immer blickte er gelangweilt durch die Gegend und schien nichts zu sehen, das seiner Beachtung würdig war. Das änderte sich allerdings, als der schmale Junge, den ich vorhin schon ausgespäht hatte, hereintrat.

Endlich hatte ich die Gelegenheit, ihn mir genauer anzusehen. Er hatte schwarze, wirre Haare, die ihm derartig vom Kopf abstanden, als hätte man mit einem Luftballon daran gerieben. Mit seinen grünen Augen blickte er sich nervös im Laden um, wobei sei Blick an Draco und mir hängen blieb.

Madam Malkins fixierte die letzte Nadel an meinem Umhang und eilte dann zu dem Jungen.

„Hogwarts, mein Lieber?", sagte sie, kaum hatte er den Mund aufgemacht.

„Hab die Sachen hier – übrigens werden hier gerade noch zwei zukünftige Hogwartsschüler ausgestattet."

Der Junge nickte zögerlich und wurde gleich von der Ladenbesitzerin in unsere Richtung gezerrt. Madam Malkin stellte ihn auf einen Stuhl neben Draco, ließ einen langen Umhang über seinen Kopf gleiten und steckte mit Nadeln die richtige Länge ab.

„Hallo", sagten Draco und ich mehr oder weniger gleichzeitig. Allerdings hatte meine Stimme definitiv nicht den blasierten Tonfall von Dracos Stimme.

„Auch Hogwarts?", hakte Draco nach, obwohl Madam Malkin das doch vorhin schon gefragt hatte.

„Ja", antwortete der fremde Junge und warf uns scheue, aber neugierige Blicke zu.

„Mein Vater ist nebenan und kauft die Bücher, und Mutter ist ein paar Läden weiter und sucht nach Zauberstäben«, sagte Draco, während ich innerlich aufseufzte. Natürlich musste er wieder zuerst seinen Vater erwähnen.

„Danach werde ich sie mitschleifen und mir einen Rennbesen aussuchen. Ich seh nicht ein, warum Erstklässler keinen eigenen haben dürfen. Ich glaub, ich geh meinem Vater so lange auf die Nerven, bis er mir einen kauft, und schmuggel ihn dann irgendwie rein."
Ich verdrehte sie Augen und warf dem Jungen ein Lächeln zu. Ich hoffte, dass er so merkte, dass nicht alle in unsere Familie solche Quälgeister wie mein Cousin waren.

„Hast du denn deinen eigenen Besen?", fuhr Draco fort, denn er hatte den Blickwechsel zwischen dem Jungen und mir glücklicherweise nicht bemerkt. Allerdings merkte er so auch nicht, dass weder der Fremde, noch ich sonderliches Interesse an seinen Worten hatten.

„Nein", sagte der Junge und entlockte Draco so ein überlegenes Lächeln. Vermutlich würde jetzt wieder seine Rede über seine außergewöhnliche Quidditschbegabung kommen. Kurz überlegte ich, ob ich mir dann einfach die Finger in die Ohren stecken sollte und laut irgendein Lied der Rolling Bones, meiner Lieblingsband, anstimmen sollte. Ich verwarf diese Idee allerdings schnell wieder, denn Draco würde es seinem Vater petzen und ich würde Ärger bekommen. Und da es bald nach Hogwarts gehen würde, wollte ich mich davon möglichst fernhalten.
„Spielst du überhaupt Quidditch?"

„Nein", sagte der Schwarzhaarige erneut und machte ein verwundertes Gesicht.
„Aber ich – Vater sagt, es wäre eine Schande, wenn ich nicht ausgewählt werde, um für mein Haus zu spielen, und ich muss sagen, er hat Recht. Weißt du schon, in welches Haus du kommst?"
„Na ja, eigentlich weiß es doch keiner, bevor er hinkommt", mischte ich mich nun auch in das Gespräch ein. Ich hatte genug von Dracos Geschwafel.

„Das stimmt zwar, aber ich weiß, dass ich im Slytherin sein werde, unsere ganze Familie war da. – Stell dir vor, du kommst nach Hufflepuff, ich glaub, ich würde abhauen, du nicht?"

„Vielleicht gibt es ja noch die Möglichkeit zu tauschen. Aber der Hut sortiert die Schüler ja aufgrund ihrer Persönlichkeit in die Häuser ein. Deshalb würde eine Flucht wohl auch nichts bringen – es sei denn du fliehst vor dir selbst", verkündete ich. Die Häuserwahl spielte für mich persönlich eigentlich keine Rolle, immerhin konnte ich kaum etwas daran verändern. Aber Lucius, Narcissa und Draco würden auch von mir erwarten, nach Slytherin zu kommen. So wie fast alle in unserer Familie.

„Mmm", sagte der Junge und blickte etwas verzweifelt. Ich vermutete, dass er muggelstämmig war, immerhin machte er nicht gerade den Eindruck, als ob er wüsste, wovon Draco da so selbstverständlich redete. Ich hatte etwas Mitleid mit ihm und lächelte ihm aufmunternd zu.

„Ach herrje, schau dir mal diesen Mann an!", sagte Draco plötzlich und deutete auf das Schaufenster. Draußen stand der Hüne, den ich vorhin zusammen mit dem Jungen gesehen hatte. Er grinste dem nun sichbar erleichterten Dunkelhaarigen zu und hielt zwei große Tüten mit Eiscreme hoch, um zu zeigen, dass er nicht hereinkommen konnte.

„Das ist Hagrid", erklärte der Junge, der ausnahmsweise mehr wusste als Draco und darüber sichlich erfreut war. „Er arbeitet in Hogwarts."

„Oh", sagte Draco, „ich hab von ihm gehört. Er ist ein Knecht oder so was, nicht wahr?"

„Er ist der Wildhüter", korrigierte der Junge und bedachte Draco mit einem etwas wütenden Blick. Scheinbar mochte er Draco nicht besonders und ich teilte seine Meinung, auch wenn ich das natürlich niemals zugeben würde. Immerhin war ich auf die Malfoys angewiesen, die mich freundlicherweise bei sich aufgenommen hatten, nachdem man mich als Baby bei einem alten Hauselfen gefunden hatte.

„Ja, genau. Ich hab gehört, dass er eine Art Wilder ist – lebt in einer Hütte auf dem Schulgelände, betrinkt sich des Öfteren, versucht zu zaubern und steckt am Ende sein Bett in Brand." Draco beleidigte immer noch Hagrid.

„Ich halte ihn für brillant", sagte der Junge kühl und ihm war die Abneigung gegenüber Malfoy nun deutlich anzumerken.

„Tatsächlich?", sagte Malfoy mit einer Spur Häme. „Warum ist er mit dir zusammen? Wo sind deine Eltern?"

„Sie sind tot", antwortete der Junge knapp. Er hatte wohl keine große Lust, mit Malfoy darüber zu sprechen, was ich absolut verstehen konnte. Ich hatte Mitleid mit ihm.

„Tut mir Leid", sagte ich und meinte es auch so. Mit toten oder nicht vorhandenen Eltern kannte ich mich schließlich aus. Und doch fragte ich mich, bei wem er wohl aufgewachsen war? Hagrid konnte es ja nicht sein, wenn der doch als Wildhüter in Hogwarts arbeitete ...

Draco hingegen ließ nicht locker. „Aber sie gehörten zu uns, oder?"

Am liebsten hätte ich ihm eine geklatscht. Dieser Junge schien derart offensichtlich nicht darüber reden zu wollen, dass Dracos Wahn nach Reinblütigkeit völlig unangemessen war. Ich räusperte mich, was mir einen stirnrunzelnden Seitenblick von Draco einbrachte, er daraufhin aber wieder den Fremden abwartend ansah.
„Sie war eine Hexe und er ein Zauberer, falls du das meinst."

„Ich halte überhaupt nichts davon, die andern aufzunehmen, du etwa? Die sind einfach anders erzogen worden als wir und gehören eben nicht dazu. Stell dir vor, manche von ihnen wissen nicht einmal von Hogwarts, bis sie ihren Brief bekommen. Ich meine, die alten Zaubererfamilien sollten unter sich bleiben. Wie heißt du eigentlich mit Nachnamen?"

Doch bevor er antworten konnte, sagte Madam Malkin: „So, das wär's, mein Lieber", und der Fremde, froh über die Gelegenheit, von Draco und seinen Fragen loszukommen, sprang von seinem Schemel herunter.
„Gut, wir sehen uns in Hogwarts, nehme ich an", rief mein Cousin ihm noch hinterher.

„Du bist übrigens auch schon fertig, Schätzchen", eröffnete Madam Malkin mir und half mir aus dem nun passenden Umhang.

„Komischer Junge", sagte Malfoy und sah dem fremden Jungen nach, wie er vor dem Laden ein Eis schleckte, das Hagrid ihm gegeben hatte.

Ich zuckte mit den Schultern. Mir war er eigentlich ganz sympathisch gewesen.


Eleonora Black und der Verbotene Korridor ∥ Ⅰ ∥ AbgeschlossenDove le storie prendono vita. Scoprilo ora