Kapitel 28

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Jungkook

"Was machst du hier?"

Eigentlich wollte er gerade gehen. Gegen ärztlichen Rat und gegen den Schwindel, der ihn ab und an ergriff, wenn er sich zu schnell in seinem Zustand bewegte. Er hatte sogar schon versucht Bigum anzurufen, um ihn davon abzuhalten seine Kleidung vorbei zu bringen, doch auf dem Weg nach draußen fiel ihm etwas ins Auge. Oder jemand. Die Person wirkte bekannt und gleichzeitig hätte er sie nicht an solch einem Ort wie dem Krankenhaus erwartet... Es machte ihn etwas stutzig und setzt seine Alarmsignale im Körper in Aufruhr.

"Ich...", Taehyung sah mehr als überfordert aus. Gestresst und peinlich berührt zur gleichen Zeit und erst, als er langsam den Blick nach unten schwenkte, erkannte er den Grund für dessen Anwesenheit.

"Das ist mein Koffer... Was machst du... Wie bist du..." Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag fest in seine Magengegend.

Das war ein schlechter Scherz... Irgendwas, aber nicht das, was er gerade glaubte. Leider schien der Ältere genau das aussprechen zu wollen, was in seinem Bauch schon schmerzlich angekommen war.

"Ich war bei Bigum und-"

"Das hast du nicht gemacht..." So schnell seine Krücken ihn tragen konnten humpelte er auf Taehyung zu, griff sich dessen Jacke, ließ ihn kurz wieder los und griff im nächsten Moment noch fester dessen Kleidung, während das, was er vorher noch in den Händen hatte, klappernd auf dem Boden fiel.

"HAT DICH JEMAND GESEHEN? HAST DU MIT JEMANDEN GEREDET?"

Panisch blickte er sich den Schwarzhaarigen an. Versuchte irgendwas zu finden, was ihm sagte, dass seine Panik berechtigt war, doch alles schien noch am richtigen Ort zu sein. Keine Wunden, blaue Flecken oder andere Dinge, die ihm sagten, dass sein Stiefvater auch Taehyung erwischt hatte.

"Jungkook... Jungkook, beruhig dich!", versuchte Taehyung ihn wohl aufzuhalten, aber es war schon zu spät. Mit einem Schwall übergab er den Schmerz in seinem Bauch und Kopf auf den weißen Boden unter ihren Füßen, brach kurz darauf in dessen Armen zusammen, während die Welt sich immer mehr drehte und schlussendlich in der Dunkelheit endete.

Als er wieder aufwachte, war sicherlich nicht viel Zeit verstrichen, aber die Schmerzen, die Übelkeit und der Schwindel waren wie weg gepustet. Er schwebte geradezu, wogegen sich seine Augen stattdessen anfühlten, als ob schwere Backsteine sie daran hinderten aufzugehen.

Ein komisches Gefühl, vor allem, weil die Stimme, die an seine Ohren herangetragen wurde, ihm so komisch bekannt vor kam. Nur allmählich kam die Erinnerung daran zurück, was gerade passiert war, aber die gerade noch empfundene Panik stellte sich nicht ein. Als ob sein Körper in einen Ruhezustand versetzt wurde, der nicht freiwillig war.

"... er wurde in einer Gasse hier in Seoul gefunden. Bewusstlos und mit zahlreichen Verletzungen. Darunter ein Schädelhirntrauma, ein gebrochenes Bein und zahlreiche Prellungen, Schrammen und Wunden. Wir haben ihn notdürftig verarztet, doch ihr Freund scheint keine Krankenversicherung zu haben, weshalb wir-"

"Keine Krankenversicherung? Aber wie..." Kurz herrschte Stille. Eine kleine Pause in der auch er selbst seine Gedanken formen konnte. Wer da sprach. Mit dieser dunklen samtigen Stimme. Wie Honig.

"Wie viel würde es denn kosten, wenn er die volle ärztliche Versorgung erhält?"

"Naja, wenn wir davon ausgehen, dass er noch einige Tage hier ist, sind es sicher um die 5 Millionen Won..."

Ein Schnauben erklang. Ein Geräusch, dass ihm nun gänzlich vor Augen führte, wer da redete.

"-hyung...", es klang nicht wirklich nach dem, was er eigentlich sagen wollte, doch er spürte sofort, wie warme Hände sich auf seinem nackten Arm legten und beruhigend darüber strichen. Es kribbelte, als ob seine Arme eingeschlafen waren und das Gefühl trieb ihm die Tränen in die Augen.

"Ich bin da... Hi...", leise und sanft wurden ihm die Worte entgegen gehaucht. Machten sein Herz schwerer, aber auch spürbarer und in einem etwas lauteren Ton, hängte Taehyung noch an.

"Ich bezahl es! Ich komm nachher und gebe Ihnen meine Bankdaten."

Eigentlich wollte er sich dagegen wehren, was der Ältere gesagt hatte. Wollte sagen, dass das auf gar keinen Fall ging, doch die Medikamente, die er wohl intus hatte, machten das völlig unmöglich. Stattdessen liefen seine Tränen stumm über sein Gesicht. Warme Hände gesellten sich dazu. Strichen die feuchten Spuren davon und um so länger er diese Nähe spürte, diese wohlige Fürsorge, um so müder wurde er. Der Kampf gegen diese Dunkelheit war noch nie schwerer gewesen und er spürte, wie er langsam verlor. Das einzige, was half, war diese dunkle Stimme, die immer wieder sagte, dass jetzt alles in Ordnung sei. Das man sich jetzt um ihn kümmern würde und das er schlafen dürfte. Die Gründe, die dagegen sprachen zu schlafen, wurden von einem Moment auf den nächsten weniger. Bis am Ende nichts mehr da war und ihn die Schwärze völlig übermannte.

Als er wieder aufwachte, war wieder Tag. Er wusste nicht, wie viele Nächte er verpasst hatte, aber er wusste, dass er nicht allein war. Stetig hatte er gespürt, wie Taehyung an seiner Seite verweilte. Mal telefonierte dieser, mal streichelten dessen Hände über seinen Arm und mal gesellten sich andere Stimmen hinzu. Es waren immer nur Ausschnitte und doch reichten sie, um ihm zu sagen, dass er nicht alleine war. Das jemand für ihn da war und das war ein überwältigendes Gefühl gewesen. Etwas, was er schon sehr sehr lange nicht mehr so empfunden hatte. Eine Empfindung, die abermals die Tränen in ihm empor brachte, nur diesmal gewann er den Kampf dagegen, konzentrierte sich stattdessen auf seine Lider, die sich flatternd zu öffnen schienen. Das Licht stach ihm dabei schmerzhaft in die Augen, die er mit viel Anstrengung mit den Händen verdeckte. Es kostete ihn fast seine ganze Energie und seine Arme wollten sich deswegen auch ständig wieder verabschieden, doch Taehyung schien ihm sofort zur Hilfe zu eilen. Hielt seine Hände fest und als das nicht half, waren dessen Hände es, die das Licht von seinen Augen fern hielten.

"...danke...", brachte er erschöpft raus. Das "gern geschehen", was darauf folgte, fühlte sich wie ein Lächeln in seinem Herzen an. Breit und einmalig. Eine Weile verharrten sie so. Er konnte den Atem des Älteren auf seiner Haut spüren. Warm. Angenehm und leicht nach Pfefferminze duftend. Ganz automatisch zuckten auch seine Mundwinkel. Nicht weit, aber bemerkbar.

"Geht es dir besser?"

Abermals wanderten seine Gedanken zu warmen zähflüssigen Honig, zu dem goldbraunen Nektar und den zahlreichen Blüten eines Blumenfeldes. Zu gerne wollte er ihm sagen, an was er denken musste, wenn er dessen Stimme hörte, doch das einzige, was er über die Lippen brachte war: "Besser..."

"Das freut mich..."

Er glaubte ihm. Wenn er doch so wenig in seinem Leben glaubte, so glaubte er zumindestens diese drei Worte und sie erwärmten sein Herz. So sehr, dass es nur heftiger und schneller Schlug, als vorher. In diesem Moment zählte nur das. Nicht, wo er war und was ihn hier her gebracht hatte, sondern nur die Stimme. Diese Wärme und diese drei Worte.

Was Medikamente doch so schafften...

Taste of Love - Taekook Where stories live. Discover now