Kapitel 6

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Taehyung

Jetzt hatte er also ein Alkoholproblem.

Das war also die gelogene Entschuldigung für sein Verhalten heute?

Die Frage war: war das besser, als der eigentliche Grund?

Hatte er lieber ein Alkoholproblem, als vor seinen Freunden zu zugeben, dass er gerade seine Sexualität hinterfragte?

Aus dem Wohnzimmer konnte er immer wieder das Getuschel seiner Freunde hören, die wohl gerade bereits über mögliche AA-Treffen sprachen oder gleich eine Kur verordnen wollten. Wie das wohl aussehen würde, wenn es um eine mögliche Homosexualität ging? Würden sie dann auch nach Kuren für ihn suchen oder ihn direkt einweisen lassen? Ging das überhaupt, wenn er doch schon erwachsen war? Vielleicht würden sie ja sogar seine Eltern einschalten, die ihn dann mitnehmen würden und in sein altes Kinderzimmer stopfen. Da würde er dann zwischen Kuscheltieren und Erinnerungen an schreckliche Schulzeiten sein Leben Fristen, bis er als ewiger Single in seinem Kinderbett verstirbt und auf dem Grabstein würde stehen:

Auf ewig Allein!

"Taehyung, bist du wieder nüchtern?"

In der Tür stand Namjoon. Groß und breit, während er verschrocken wie ein Hase in seiner Decke erstarrt war.

Er hatte demnach nun zwei Möglichkeiten. Ja sagen und aufstehen oder schweigen und liegen bleiben.

"Steh auf, ich seh, dass du mich anschaust!", daraufhin wurde das Licht angeknipst, welches ihm schmerzhaft in den Augen brannte.

"Aus... Mach das scheiß Licht -"

"Niemals! Steh auf!" Fest packte sein Kumpel ihn an den Beinen und während er versuchte die Hände wegzutreten, wurde er aus dem Bett gezogen.

"Ich bin nicht dein Kind!"

"DANN BENEHM DICH NICHT SO!!!"

Das saß.

Stumm und reglos blickte er in dessen wütendes Gesicht. Konnte die Luft förmlich sehen, die in elektrischen Ladungen zwischen ihnen aufleuchtete - dabei war es am Ende nur dessen Pulsuhr, die wohl Alarm schlug.

"Du benimmst dich wie ein Teenager, dabei sind wir in unseren 30ern! Wir sind Erwachsen! Verhalte dich einmal in deinem Leben auch so!!!"

Das war das letzte Wort, welches an ihn gerichtet wurde, bevor Namjoon das Zimmer mit stampfenden Schritten verließ und ihn damit allein zurück ließ.

Das Bedürfnis war da, sich einfach wieder in die Decken-Wurst zu verwandeln, die er gerade eben noch gewesen war, aber gleichzeitig kratzen dessen Worte an seinem Selbstbewusstsein...

Er war Erwachsen! Er arbeitete bei der Stadt Seoul. Hatte Verantwortung und eine eigene Wohnung. Hatte Versicherungen, Anwälte und Geld...

Wie viel mehr Erwachsen kann man denn bitte sein!?

Wütend sprang er aus seinem Bett raus. Stampfte in noch viel zornigerem Schritt Richtung Wohnzimmer und schrie in einer sich überschlagenen Stimme:

"Ich bin Erwachsen!!!"

Als er um die Ecke blickte, hätte er das jedoch gerne wieder zurück genommen.

Vor ihm saßen nicht nur seine Freunde aus Kindheitstagen, sondern auch dessen Freundinnen und auf einem großen Plakat stand: Interventionsgespräch

Was um alles in der Welt...

"Hallo Taehyung!" Alle winkten und die Sprecherin fuhr fort: "Wir möchten dir etwas sagen. Etwas, was uns sehr wichtig ist und uns schon sehr lange auf der Seele brennt."

Ungläubig wanderten seine Augenbrauen nach oben und alles was er dachte war: natürlich, das war bestimmt Minseo zu verdanken.

Die Freundin von Namjoon machte gerade ihren Schein für die systemische Beratung und würde danach gerne eine Praxis eröffnen - und er schien wohl gerade perfekt für ein Experiment zu passen.

"Ich brauche das ni-", wollte er eigentlich das ganze direkt abbrechen, doch Namjoon unterbrach ihn einfach mit einem lauten Brüllen.

"SETZ DICH, DU UNDANKBARER BENGEL!"

Perplex über diesen Ausruf setzte er sich auf den einzigen Platz in diesem Raum, der noch frei war: der Sessel genau gegenüber der Massenansammlung.

"Es freut uns, dass du bereit bist, uns zu zuhören - Jin darf direkt anfangen."

Der Angesprochene schien etwas Probleme damit zu haben, der erste zu sein, trotzdem trat er nach vorne.

"Taehyung -"

"Begrüß ihn erst", unterbrach Minseo dessen Ansprache und brachte damit noch etwas mehr Unsicherheit mit rein.

"Ok, ähm - Hallo Taehyung! Mir ist in den letzten Monaten aufgefallen, wie sehr du dich verändert hast und das macht mir Sorgen. Sumi und ich hatten dich zum Barbecue essen eingeladen, aber du bist erst um 16 Uhr gekommen. Hattest bereits getrunken und bist trotzdem mit dem Auto gefahren. Ich habe Angst, das dir beim nächsten Mal etwas passieren könnte."

"Sehr gut - Sumi möchtest du gleich anschließen?"

Jin trat einen Schritt zurück, während dessen Freundin einen nach vorne kam.

"Hallo Taehyung - kannst du dich noch an den Tag im Park erinnern? Ich war mit unserem Hund Bob spazieren und du saßt auf der Parkbank. In deiner Hand ein Hotdog, den du nur einmal angebissen hattest. Du sahst unglaublich traurig aus, aber als ich dich angesprochen habe, wolltest du nicht reden und hast stattdessen gesagt, dass du einen ganz dringenden Termin hast. Ich mach mir Sorgen, dass du niemanden zum Reden hast."

"Wunderbar gesagt - Jimin möchtest du weiter machen?"

Eine gefühlte Ewigkeit ging das so weiter. Jimin erzählte von dem Tag, als er ihn auf der Arbeit besucht hatte und mit allem geflirtet hatte, was weiblich war und keinen Ring am Finger besaß. Namjoon sprach über die Kinder, so wie eigentlich immer, Hoseok sprach über gemeinsame Ausflüge und das er kaum noch dabei wäre und deren Partnerinnen brachten weitere unangenehme Begegnungen mit ein. Der letzte war Yoongi, der wohl den größten Elefanten in diesem Raum ansprach:

"Hallo Taehyung - ich fand dieses Interventionsgespräch eigentlich blödsinnig", der böse Blick von Minseo hätte in diesem Moment wohl töten können und irgendwie amüsierte ihn das auf eine gewisse Art und Weise, vor allem, weil er sich gerade schon neun Situationen anhören durfte, in denen er nicht sonderlich geglänzt hatte. Absolut keine einfache Sache, wenn das Leben sich eh gerade auf einer abwärts Spirale bewegte. Nur mit Mühe und Not hielt er sich auf dem Sessel.

"... Aber irgendwie verstehe ich langsam den Sinn dahinter. Es wird einem klarer, was gerade nicht gut läuft, findest du nicht auch? Naja, dann komm ich Mal mit meiner Story. Sie handelt von heute.

Heute morgen bin ich aufgestanden. Sehr früh, weil ich etwas Angst hatte vor dem, was du geplant hattest, nur um festzustellen, dass du gar nicht da bist. Auch nach zig Anrufen von verschiedenen Handys aus bist du nicht dran gegangen. Die Sorge, dass jetzt, nach all der Zeit, der Punkt gekommen ist, dass dir wirklich etwas passiert ist, steckte bei uns allen in den Knochen. Von einem wildfremden Mann aus einer Bar haben wir dann erfahren, dass du am Morgen noch gelebt hast. Die Erleichterung war groß, doch dein plötzliches Auftauchen und dein Verhalten waren doch sehr fragwürdig. Ich mache mir Sorgen, dass du eventuell das Gefühl hast, mit deinen Sorgen und Zweifeln nicht mehr zu uns kommen zu können. Ob das der Alkohol ist, die Einsamkeit oder deine sexuellen Wünsche..."

Taste of Love - Taekook Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt