Kapitel 48

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Seit ein paar Stunden war ich wieder wach und mit jeder Sekunde die verstrich wurde ich mir sicherer, dass dies wirklich die Realität war. Ranpo hat mich über jede Einzelheit unserer gemeinsamen Erlebnisse aufgeklärt, die bis zu meinem Barbesuch mit Dazai und Chūya reichten.
Dazai hatte mich nach Hause geschleppt, wie ich später erfuhr. Ich musste in der Ohnmacht meiner Betrunkenheit in die andere Realität gebracht worden sein. Dies brachte mir den Hinweis ein, dass die Person wohl noch nicht einmal in der Nähe sein musste, um seine Fähigkeit wirkend zu machen. Ein gefährlicher Aspekt, den wir näher untersuchen mussten.
Drei Tage habe ich in der falschen Realität verbracht. Sie hatten sich für mich lediglich wie ein paar Stunden angefühlt, was mir ihre Gefahr umso stärker verdeutlichte. Diese Fähigkeit hat eine große Macht inne, die einen um jegliches Raum und Zeit Gefühl beraubte.

Die Gewissheit, das alles, ausherhalb der letzten drei Tage, echt gewesen ist und nichts davon Einbildung war, erleichterte mein Herz. Das erdrückende Gefühl der Angst, in einer falschen Realität gefangen gewesen zu sein, löste sich allmählich auf.
Richtig entspannen konnte ich jedoch nicht, da ich an meinen Angreifer dachte, der sicher nicht lange auf seinen nächsten Anschlag auf sich warten ließ. Die Pause des Kreislaufs aus Angst und Wahnsinn diente allein der Funktion, mich in Sicherheit zu wägen und so blieb immer noch ein Funken Misstrauen in mir, das mich wachsam bleiben ließ. Vielleicht war dies auch sein Plan.
Je mehr ich darüber nachdachte, desto verworrener wurde es. Ich konnte nicht aufhören, meine Kollegen zu analysieren, um zu erkennen, ob sie doch nur meiner Einbildung entsprungen waren, die man mir in den Kopf gepflanzt hatte.
Die Ruhe war ungenießbar, wenn man ständig eine Irreführung erwartete. Die Vertrautheit mit dem fremden Mann schien nicht von ungefähr zu kommen, aber in meinem Kopf konnte ich die Teile noch nicht richtig zusammensetzen.

Ranpo gewährte mir ein wenig Freiraum, nachdem er mich beruhigen konnte. Ich genehmigte mir eine lange Dusche in seiner Wohnung, die näher als meine eigene lag.
>>Ich muss Vorsicht walten lassen<<, rief ich mir in Erinnerung.
Während ich meine Kopfhaut von dem Talg und Schweiß frei schrubbte, atmete ich genießerisch den Duft von Jasminblüten ein. Ein berauschendes Gefühl, sich vom Schmutz frei zu schrubben, wenn man ein paar Tage in ihm vegetiert hat. Meine Haut würde es mir danken, den Unreinheiten auf meiner Stirn nach zu urteilen, die der Talg angerichtet hatte.
Der Geruch vom Schweiß verflüchtigte sich, nachdem ich meinen Körper mit Duschgel eingerieben und anschließend abgespült habe.
Nachdem ich fertig war, hüllte ich mich in ein großes Handtuch ein. Ich genoss noch einen Moment den wohlduftenden Geruch, der Seife, in der Luft, bevor ich mich daran machte, mich ab zu trocknen und anschließend wieder anzukleiden.
Das erste Mal seit Tagen putzte ich mir die Zähne und verzog, bei dem Gedanken daran, dennoch von Ranpo mit Leidenschaft geküsst worden zu sein, das Gesicht. Ein Thema, das wir wohl beide niemals anschneiden würden.

Zufrieden, wieder frisch zu sein, trat ich vor die Tür und steuerte die Innenstadt an.
>>Alles wie immer<<, bemerkte ich beim durchlaufen der Passage. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, in der ich das letzte Mal hier gewesen bin, obwohl es gerade Mal ein paar Tage her war.
Vor drei Tagen bin ich mit Dazai über die Seitengassen zur Bar Lupin gegangen, aber es wirkte, als würden dazwischen Jahre liegen.
Mein Handy klingelte in meiner Manteltasche. Das Lied erreichte mich erst kurz vor dem letzten Klingeln, als ich den Anruf gerade noch rechtzeitig entgegen nahm.
"Wer ist da?", fragte ich, hatte nicht auf die Nummer geachtet und war nun ahnungslos, wer am anderen Ende der Leitung war.
"Was heißt hier 'Wer ist da'?", fauchte die Stimme meines Bruders. Er klang mehr als nur aufgebracht. Im Hintergrund hörte ich Meeresrauschen und das laute kreischen der Möwen. Woher hatte er denn meine Nummer? Auch so sah es ihm überhaupt nicht ähnlich, mich von seiner Seite aus zu kontaktieren.
"Ich versuche schon seit Tagen dich anzurufen!"
Machte er sich etwa Sorgen um mich? Chūya, der sich sonst nur für sich selbst interessierte und mir seit Jahren aus dem Weg gegangen ist? Wenn ich mich doch bloß an unser Gespräch in der Nacht erinnern könnte, in der wir zusammen in der Bar getrunken haben. Mir schien, als hätte unser Gespräch nicht nur von meiner Geschichte meines damaligen Verschwindens gehandelt und meiner Angst, ihn nie wieder zu sehen.
"Tut mir leid, ich..."
Ob ich ihm erzählen sollte, was geschehen war?
"Ich vertrage wohl keinen Alkohol und lag ein paar Tage fertig im Bett. Was ist denn?"
Ein genervtes Brummen ertönte durch den Lautsprecher und wurde von einer längeren Pause ausgewechselt. Allein der Hintergrund der Wellen und der Vögel war in dem Moment seines Schweigens zu hören und ich dachte, er würde gar nicht mehr mit mir reden.
"Komm zu meiner Wohnung, ich will dir etwas zeigen. Ich schreibe dir die Adresse." Mit diesen Worten legte er auf und schrieb mir nach nicht einmal einer Minute die Adresse seiner Wohnung, wobei mir jene bereits bekannt war.
>>Was er mir wohl zeigen will?<<

All I see is you (Bungou stray dogs FF Ranpo)Where stories live. Discover now