Kapitel 4

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Ich fiel.
Ein seltsames Gefühl überkam mich.
Ein Gefühl, das man hatte, wenn man sich für einen kurzen Moment, auf einer Wippe, in der Luft befand und diese für eine Sekunde nicht berührte.
War es der Wind, der mir in den Ohren rauschte, oder war es das Blut, das mir in den Kopf schoss?
Kopfüber fiel ich senkrecht von einem hohen Gebäude.
Die Sonne ging auf und schuf ein mystisches Licht.
Perfekt für meinen Tod.
Früher, wenn ich darüber nachgedacht hatte, wie ich sterben würde, hatte ich mir vorgestellt, dass ich traurig sein würde. Irgendwann wäre ich im Schlaf gestorben, hätte gerne noch etwas erlebt. Aber ich war jung und hatte in meinem Leben nichts erreicht.
Aber ich bereute es nicht.
Ich bedauerte nur, dass ich jemandem ein Versprechen gegeben hatte, das er nicht halten konnte.
>>Wenn's für mich gut ist, dann ist alles gut!<<, hatte er gesagt. Ich hatte seinen Worten geglaubt, seinen ehrlichen, grünen Augen. Doch nun sah ich den Schatten meines Todes.
Wie war ich nur in diese Lage geraten? 

********************

Ich war wie verabredet nach Hause gegangen. Anfangs war ich allein in meiner kleinen Wohnung und ließ das Licht aus.
Es war meine Schuld, ich hätte es anmachen müssen.
Blind betrat ich mein kleines Wohnzimmer und stieß sofort gegen mein Bücherregal, das näher an der Tür stand, als ich dachte.
Ein paar Bücher waren umgefallen, eines lag auf dem Boden. Als ich mich bückte, um es aufzuheben, packten mich zwei starke Arme und zogen mich an einen fremden Körper.
Man hielt mir den Mund zu, ich konnte nicht um Hilfe rufen. Niemand bemerkte mein Verschwinden.
Eine stumme Träne hatte ihren Weg über mein Gesicht gefunden und war von meinem Kinn auf die kalten Fliesen meiner Küche getropft.

Als ich wieder etwas sehen konnte, befand ich mich auf dem Dach eines hohen Gebäudes. Das Gebäude von dem ich nun fiel.
,,Ich habe dich gewarnt. Du bist nicht so schlau, wie du dachtest."
Das habe ich nie behauptet. Nur seine kalte Hand hielt mich davon ab, in den Tod zu stürzen.
,,Wir hatten also recht. Natürlich mussten Sie die Frau loswerden. Was eignet sich da besser als ein hohes Gebäude und ein kleiner Abschiedsbrief", sagte eine amüsierte Stimme, die aus dem Schatten trat. Die Person wedelte mit einem Umschlag in der Hand.
,,Dazai...", stöhnte ich und merkte, wie mir das Atmen immer schwerer fiel.
Mein Hals brannte.
Stumm liefen mir weitere Tränen über das Gesicht und in den Mund, den ich geöffnet hatte, um Luft zu schnappen.
Der salzige Geschmack breitete sich in meinem Mund aus.
,,Es ist vorbei. Lassen Sie Doyle gehen. Sie werden sowieso im Gefängnis landen. Ihr Tod wäre sinnlos."
Er versuchte, mich zu retten.
Vergeblich.
Der Mann lachte bitter, während er mich ein Stück weiter schob, bis nur noch meine Zehenspitzen die Dachkante berührten. Dann setzte Dazai seine Kraft ein und der Mann war kein Schatten mehr.
Ich erkannte ihn und war überrascht, nicht das Gesicht zu sehen, das ich vermutet hatte.
,,Du...? Aber warum?"
,,Hast du wirklich geglaubt, meine Schergen wären so schlau wie ich? Was für eine Beleidigung! Aber jetzt werde ich das letzte Gesicht sein, das du vor deinem Tod siehst!"
Seine Hand ließ mich los.
Dazai versuchte noch, mich festzuhalten, aber seine Hand streifte die meine, ohne mich festhalten zu können.

Mein Körper drehte sich.
Ich würde mit dem Kopf aufschlagen.
Ein schneller Tod.
Ein kurzer Tod.
Ein fast schmerzloser Tod.
Hier war ich nun...
Und lächelte.
Traurige Züge auf meinem toten Gesicht würden ihn nur glücklich machen.
Also lächelte ich und weinte meine Tränen der Verzweiflung.
Ich wollte nicht sterben, schon gar nicht so.

**********************

,,Lass mich nicht sterben!", schrie ich mit dem letzten Willen zu leben, als ich daran dachte, was noch alles vor mir lag, und wiederholte meine Bitte an Ranpo so laut, dass meine Kehle schmerzte.
Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, war die Welt um mich herum in einen schwarzen Schleier gehüllt.
Wie der Vorhang in einem Theaterstück,
der das Ende des Aktes ankündigt.
Aber ich wusste nicht, ob sich dieser Vorhang für den nächsten Akt wieder öffnen würde.

All I see is you (Bungou stray dogs FF Ranpo)Where stories live. Discover now