Kapitel 43

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Ich rieb mir müde über meine Augen, als könnte dies die Müdigkeit vertreiben. Stattdessen fühlte ich mich aus irgendeinem Grund noch viel müder.

Ich stieg, fast stolpernd und lahm, die Treppen hinauf, während ich mich an dem rostigen Geländer des Wohnheims festhielt.
Ich fragte mich, ob der Chef sich nichts besseres für seine Leute leisten konnte. Mori hat ein riesiges, prunkvolles Gebäude und wir bekamen eine Bruchbude. Bei unserem Chef war doch wenigstens ein Wohnheim drin, das nicht bei einem winzigen Sturm drohen würde weg gepustet zu werden.
Die anderen schien es aber nicht zu stören. Ich hörte sie nie darüber klagen, dass es im Sommer unerträglich heiß wurde, weil es keine Klimaanlage gab.
Außerdem gab es nicht genug Wohnungen für alle Mitarbeiter. Atsushi musste sich mit Kyoka ein Zimmer teilen und ich konnte mir gut vorstellen, wie das wohl aussah. Atsushi, der vernüftigste von uns, schlief bestimmt in seinem Schrank.

Der Alkohol hatte sich in meinen Gliedern ausgebreitet.
Ich fühlte mich warm und flauschig. Offensichtlich wusste ich doch nicht wo meine Grenze war, aber ich war noch nie nach zwei Gläsern betrunken. Der Wein musste hochprozentig gewesen sein. Ich fühlte mich, als würde ich schweben, anstatt laufen. Wenn ich stürzen würde, würde ich den Schmerz erst am nächsten Tag spüren und wohl auch bis dahin liegen bleiben. Ich setzte gerade den ersten Fuß auf die Etage, in der Ranpo wohnte und schüttelte mich, klatschte mir auf meine erhitzten Wangen, um wieder wach zu werden.
Als ich meine Augen wieder öffnete, die ich wegen dem kurzen Schmerz geschlossen hatte, hob ich den Kopf und erschrak mich fast zu Tode, als ich eine Gestalt im Schatten erblickte.
>>War der eben schon da? Dann hätte ich ihn von unten sehen müssen, oder nicht?<<
Dieser Schatten musste erst eben dort erschienen sein, weswegen ich die Schultern zuckte und mit festen, aber leisen, Schritten auf die Gestalt zu schritt. Sie war bloß Einbildung meiner Fantasy, ausgelöst von dem Alkohol. Immerhin fühlte ich mich flauschig, dass konnte kein gutes Zeichen sein.
Je näher ich dem Schatten kam, desto mehr bekam diese Gestalt ein Gesicht und Kleidung.
Allmählich erkannte ich... Fyodor?
"Ich stelle mir bessere Halluzinationen vor, als Fyodor. Alkohol sollte man wirklich mit Vorsicht genießen", wisperte ich zu mir selbst und sah Fyodor spöttisch die Lippen verziehen.
"Oh toll, selbst wenn ich betrunken bin machen sich meine Halluzinationen lustig über mich."
Hatte ich das laut gesagt, oder doch nur in meinem Kopf? Der "Dämon", so nannten ihn alle, grinste bloß breiter.
Als ich gerade durch ihn durch gehen wollte, hielt ich abrupt, zehn Zentimeter vor ihm, an.
"Seltsame Erscheinungen der eigenen Fantasie riechen wohl nicht nach Parfum, nehme ich an?", fragte ich ihn zögernd.
Er besah mich mit einem konsternierten Ausdruck, der nicht sehr überzeugend war.
"Frauen und Alkohol...", glaubte ich ihn brummen zu hören. Ich achtete gar nicht darauf, war fasziniert von seinen lilanen Augen. Fyodor sah wirklich gut aus, selbst wenn er unser Feind war, konnte man es als Frau wirklich nicht abstreiten. Selbst ich war überrascht von dieser Makelosigkeit seines Gesichts.
"Ich nehme an, du willst nicht nur 'Hallo' sagen?"
Er schüttelte den Kopf und sein Grinsen kehrte wieder zurück. Allmählich war ich wieder wach. Die Tatsache, vor einem Psychopathen zu stehen war nicht sehr angenehm. Ich brauchte ihn nur anzusehen und wusste, er hatte schon einen neuen Plan. Es war doch nicht einmal ein ganzer Tag um!

Als er langsam seine Hand hob, um mich zu berühren, schreckte ich vor ihm zurück. Ich wusste, was er mit nur einer Berührung anstellen konnte. Er kniff verärgert die Brauen zusammen, seine Hand hielt vor meinem Gesicht, ohne es zu berühren, an. Ich kniff die Augen zu und wartete ab, was passieren würde.
"Ich töte doch niemanden, der für mich von Nutzen ist."
Ich wollte ihm gerade sagen, dass ich aber keine Gehirnwäsche wollte, da strich er mir, ungefragt, eine meiner grünen Strähnen hinter mein Ohr.
Ich zitterte.
Er sollte mich nicht anfassen!
"Wenn du ruhig bist, wird dieses Mal niemand sterben müssen. Du weißt doch sicher, wonach ich suche."
>>Nach einem Mythos!<<, sagte meine innere Stimme zickig, doch ich schalte mich selbst, dass ich nicht so mit ihm reden durfte, wenn ich leben wollte.
"Das ungeschriebene Buch", sagte ich stattdessen und nahm eine sture Haltung ein. Ich war doch kein Werkzeug!
"Sei ruhig und komm mit, dann muss ich dich nicht manipulieren, oder dir weh tun. Außer du hast masochistische Neigungen. Nein? Wie schade.~"
Etwas sagte mir, dass er ehrlich war.
Aber nichts würde ihn daran hindern, mir weh zu tun, wenn ihm plötzlich doch danach war. Er hatte schon damals Marionetten, die nach seiner Pfeife tanzten. Fyodor war nicht mehr als ein Puppenspieler, wie Q, nur dass er einem auch den Verstand rauben konnte.
Wenn er wollte, dass man nur noch glücklich war, nahm er einem alle anderen Gefühle.

Ich schluckte meine Worte hinunter und warf einen sehnsüchtigen Blick zu Ranpos Wohnungstür.
Waren denn wirklich alle am schlafen?
Waren wir wirklich so leise?
>>Dazai!<<, rief ich nach jener Person, die dem Gegner sonst auch immer einen Schritt voraus war und wusste, was er als nächstes plante. Der Hilferuf wollte jedoch, aus Angst um meine Freunde und Kollegen, nicht meine Lippen verlassen. Hatte er das vielleicht wieder kommen sehen und ließ mich hier trotzdem im Dunkeln stehen?
"Wenn du um Hilfe rufst, mache ich ihn zu meiner Marionette, um dich leiden zu lassen."
Ich sah mich verzweifelt um.
Es gab keinen Ausweg.
"Meine Fähigkeit ist nicht besonders."
Er hob eine Braue, als ich vorsichtig rückwärts die Treppe ansteuerte.
Er folgte mir nicht.
>>Er folgt mir nicht?<<, wiederholte ich überrascht in Gedanken und blinzelte. Plötzlich stand er direkt vor mir, schien nur darauf gewartet zu haben, dass ich für einen Moment die Augen schloss.
Ich wollte schreien, aber ich konnte nicht.
Auf dem Absatz machte ich kehrt, spürte jedoch sofort das Gefühl des freien Falls.
Eine Hand legte sich, mit einem Mal von hinten, über meine Augen und zog mich zurück. Meine Gedanken wurden ausgeblendet und alles verfiel in die Dunkelheit, die ich so sehr hasste, die jedoch ein treuer Begleiter geworden war. Auf sie war immer Verlass.
Ich verabscheute sie, die Dunkelheit.

All I see is you (Bungou stray dogs FF Ranpo)Where stories live. Discover now